Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

mir wie ein Sterbeglöcklein. Die Harpersdorfer Kirche ist nämlich nur eine
Kapelle, und statt des Glockengeläutes hat sie nur ein Glöckchen. Harpers-
dorf liegt zwischen Schönau, Goldberg und Löwenberg im ehemaligen Fürsten¬
tum Liegnitz, das im sechzehnten Jahrhundert ganz evangelisch gewesen war,
nur zwei Stunden von dem Dorfe Neukirch, von wo die schlesische Reformation
ausgegangen ist. Nachdem dieses Herzogtum samt dem von Brieg 1672 an
Österreich gefallen war, wurden eine Anzahl evangelische Kirchen eingezogen,
den noch vorhandnen Überresten der ehemaligen katholischen Gemeinden über¬
wiesen und so neue katholische Gemeinden begründet. Zur Stiftung der Harpers¬
dorfer Parochie gab die von Kaspar von Schwenkfeld gestiftete Sekte den Anlaß.
Anhänger dieses liebenswürdigen Schwärmers, dem Luther seine unliebens¬
würdigste Seite zuzukehren pflegte, erhielten sich in der Umgegend, vermischten
sich mit andern Sektirern und hielten bald hie bald da ihre Konventikel ab.
Der Teufel, klagte ein Prediger im Stil jener Zeit, sei einst mit einem Sack
voll Ketzer über Schlesien dahergefahren; am Spitzberge sei der Sack hängen
geblieben und zerrissen und habe seinen verwünschten Inhalt ausgeschüttet.
Gemeine ist der eine reichliche Stunde von Harpersdvrf gelegne Probsthainer
Spitzberg. Gegen 1720 fingen diese Ketzer wieder einmal an zu rumoren, sie
verbreiteten Büchlein über die Hoffart der Pfarrfrauen und sagten den Pastoren
sonst noch allerlei unangenehme Dinge. Diese baten die kaiserliche Regierung,
dagegen einzuschreiten. Sie erhörte eine so verständige Bitte mit Vergnügen
und schickte zwei Jesuiten nach Harpersdvrf, die einen regelmäßigen Unterricht
zur Bekehrung der Ketzer erteilten; selbstverständlich wurden diese zum Besuch
des Unterrichts gezwungen. Einige ließen sich bekehren, die meisten aber blieben
standhaft und wanderten aus: zuerst nach Holland, dann nach England, end¬
lich nach Amerika. Friedrich der Große lud sie 1744 zur Rückkehr ein, aber
sie dankten schön. Die Jesuiten nun erwarben ein Grundstück und errichteten
darauf ein Kirchlein nebst einem Pfnrrhäuschen. Mit dem feinen Sinn für
Passende Lagen und schöne Landschaftsbilder, der allen katholischen Orden eigen
zu sein scheint, hatten sie sich den schönsten Platz ausgesucht. Das Dorf liegt
in der von einzelnen Hügeln und Bergen unterbrochner welligen Ebne, zu der
sich das dem Riesengebirge vorgelagerte Bober-Katzbachgebirge abdacht, und
zwar in der vom Dorfbach ausgefurchtcn Thalschlucht. Auf den höchsten Buckel
des nördlichen Thalrandes nun haben sie ihr Anwesen gesetzt, sodaß die
schmucke Kapelle mit Zubehör das Dorf beherrscht. Die Kapelle bildet ein
ovales Achteck von schönen Verhältnissen und beweist mit ihrer geschickten
Chor- und Fensteranlage und der Vermeidung alles überflüssigen und geschmack¬
losen Aufputzes, daß die Bäter als Architekten auch im kleinen groß zu sein
verstanden. Sei es nun, daß sie das Pfarrhaus in Harmonie mit der kleinen
Kirche bringen oder eine den Umständen angemessene Bescheidenheit zeigen
wollten, oder daß das Geld nicht weiter reichte, sie, die sonst großartige, weite


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

mir wie ein Sterbeglöcklein. Die Harpersdorfer Kirche ist nämlich nur eine
Kapelle, und statt des Glockengeläutes hat sie nur ein Glöckchen. Harpers-
dorf liegt zwischen Schönau, Goldberg und Löwenberg im ehemaligen Fürsten¬
tum Liegnitz, das im sechzehnten Jahrhundert ganz evangelisch gewesen war,
nur zwei Stunden von dem Dorfe Neukirch, von wo die schlesische Reformation
ausgegangen ist. Nachdem dieses Herzogtum samt dem von Brieg 1672 an
Österreich gefallen war, wurden eine Anzahl evangelische Kirchen eingezogen,
den noch vorhandnen Überresten der ehemaligen katholischen Gemeinden über¬
wiesen und so neue katholische Gemeinden begründet. Zur Stiftung der Harpers¬
dorfer Parochie gab die von Kaspar von Schwenkfeld gestiftete Sekte den Anlaß.
Anhänger dieses liebenswürdigen Schwärmers, dem Luther seine unliebens¬
würdigste Seite zuzukehren pflegte, erhielten sich in der Umgegend, vermischten
sich mit andern Sektirern und hielten bald hie bald da ihre Konventikel ab.
Der Teufel, klagte ein Prediger im Stil jener Zeit, sei einst mit einem Sack
voll Ketzer über Schlesien dahergefahren; am Spitzberge sei der Sack hängen
geblieben und zerrissen und habe seinen verwünschten Inhalt ausgeschüttet.
Gemeine ist der eine reichliche Stunde von Harpersdvrf gelegne Probsthainer
Spitzberg. Gegen 1720 fingen diese Ketzer wieder einmal an zu rumoren, sie
verbreiteten Büchlein über die Hoffart der Pfarrfrauen und sagten den Pastoren
sonst noch allerlei unangenehme Dinge. Diese baten die kaiserliche Regierung,
dagegen einzuschreiten. Sie erhörte eine so verständige Bitte mit Vergnügen
und schickte zwei Jesuiten nach Harpersdvrf, die einen regelmäßigen Unterricht
zur Bekehrung der Ketzer erteilten; selbstverständlich wurden diese zum Besuch
des Unterrichts gezwungen. Einige ließen sich bekehren, die meisten aber blieben
standhaft und wanderten aus: zuerst nach Holland, dann nach England, end¬
lich nach Amerika. Friedrich der Große lud sie 1744 zur Rückkehr ein, aber
sie dankten schön. Die Jesuiten nun erwarben ein Grundstück und errichteten
darauf ein Kirchlein nebst einem Pfnrrhäuschen. Mit dem feinen Sinn für
Passende Lagen und schöne Landschaftsbilder, der allen katholischen Orden eigen
zu sein scheint, hatten sie sich den schönsten Platz ausgesucht. Das Dorf liegt
in der von einzelnen Hügeln und Bergen unterbrochner welligen Ebne, zu der
sich das dem Riesengebirge vorgelagerte Bober-Katzbachgebirge abdacht, und
zwar in der vom Dorfbach ausgefurchtcn Thalschlucht. Auf den höchsten Buckel
des nördlichen Thalrandes nun haben sie ihr Anwesen gesetzt, sodaß die
schmucke Kapelle mit Zubehör das Dorf beherrscht. Die Kapelle bildet ein
ovales Achteck von schönen Verhältnissen und beweist mit ihrer geschickten
Chor- und Fensteranlage und der Vermeidung alles überflüssigen und geschmack¬
losen Aufputzes, daß die Bäter als Architekten auch im kleinen groß zu sein
verstanden. Sei es nun, daß sie das Pfarrhaus in Harmonie mit der kleinen
Kirche bringen oder eine den Umständen angemessene Bescheidenheit zeigen
wollten, oder daß das Geld nicht weiter reichte, sie, die sonst großartige, weite


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221363"/>
          <fw type="header" place="top"> Wandlungen des Ich im Zeitenstrome</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1324" prev="#ID_1323" next="#ID_1325"> mir wie ein Sterbeglöcklein.  Die Harpersdorfer Kirche ist nämlich nur eine<lb/>
Kapelle, und statt des Glockengeläutes hat sie nur ein Glöckchen. Harpers-<lb/>
dorf liegt zwischen Schönau, Goldberg und Löwenberg im ehemaligen Fürsten¬<lb/>
tum Liegnitz, das im sechzehnten Jahrhundert ganz evangelisch gewesen war,<lb/>
nur zwei Stunden von dem Dorfe Neukirch, von wo die schlesische Reformation<lb/>
ausgegangen ist.  Nachdem dieses Herzogtum samt dem von Brieg 1672 an<lb/>
Österreich gefallen war, wurden eine Anzahl evangelische Kirchen eingezogen,<lb/>
den noch vorhandnen Überresten der ehemaligen katholischen Gemeinden über¬<lb/>
wiesen und so neue katholische Gemeinden begründet. Zur Stiftung der Harpers¬<lb/>
dorfer Parochie gab die von Kaspar von Schwenkfeld gestiftete Sekte den Anlaß.<lb/>
Anhänger dieses liebenswürdigen Schwärmers, dem Luther seine unliebens¬<lb/>
würdigste Seite zuzukehren pflegte, erhielten sich in der Umgegend, vermischten<lb/>
sich mit andern Sektirern und hielten bald hie bald da ihre Konventikel ab.<lb/>
Der Teufel, klagte ein Prediger im Stil jener Zeit, sei einst mit einem Sack<lb/>
voll Ketzer über Schlesien dahergefahren; am Spitzberge sei der Sack hängen<lb/>
geblieben und zerrissen und habe seinen verwünschten Inhalt ausgeschüttet.<lb/>
Gemeine ist der eine reichliche Stunde von Harpersdvrf gelegne Probsthainer<lb/>
Spitzberg. Gegen 1720 fingen diese Ketzer wieder einmal an zu rumoren, sie<lb/>
verbreiteten Büchlein über die Hoffart der Pfarrfrauen und sagten den Pastoren<lb/>
sonst noch allerlei unangenehme Dinge. Diese baten die kaiserliche Regierung,<lb/>
dagegen einzuschreiten.  Sie erhörte eine so verständige Bitte mit Vergnügen<lb/>
und schickte zwei Jesuiten nach Harpersdvrf, die einen regelmäßigen Unterricht<lb/>
zur Bekehrung der Ketzer erteilten; selbstverständlich wurden diese zum Besuch<lb/>
des Unterrichts gezwungen. Einige ließen sich bekehren, die meisten aber blieben<lb/>
standhaft und wanderten aus: zuerst nach Holland, dann nach England, end¬<lb/>
lich nach Amerika.  Friedrich der Große lud sie 1744 zur Rückkehr ein, aber<lb/>
sie dankten schön.  Die Jesuiten nun erwarben ein Grundstück und errichteten<lb/>
darauf ein Kirchlein nebst einem Pfnrrhäuschen.  Mit dem feinen Sinn für<lb/>
Passende Lagen und schöne Landschaftsbilder, der allen katholischen Orden eigen<lb/>
zu sein scheint, hatten sie sich den schönsten Platz ausgesucht. Das Dorf liegt<lb/>
in der von einzelnen Hügeln und Bergen unterbrochner welligen Ebne, zu der<lb/>
sich das dem Riesengebirge vorgelagerte Bober-Katzbachgebirge abdacht, und<lb/>
zwar in der vom Dorfbach ausgefurchtcn Thalschlucht. Auf den höchsten Buckel<lb/>
des nördlichen Thalrandes nun haben sie ihr Anwesen gesetzt, sodaß die<lb/>
schmucke Kapelle mit Zubehör das Dorf beherrscht.  Die Kapelle bildet ein<lb/>
ovales Achteck von schönen Verhältnissen und beweist mit ihrer geschickten<lb/>
Chor- und Fensteranlage und der Vermeidung alles überflüssigen und geschmack¬<lb/>
losen Aufputzes, daß die Bäter als Architekten auch im kleinen groß zu sein<lb/>
verstanden. Sei es nun, daß sie das Pfarrhaus in Harmonie mit der kleinen<lb/>
Kirche bringen oder eine den Umständen angemessene Bescheidenheit zeigen<lb/>
wollten, oder daß das Geld nicht weiter reichte, sie, die sonst großartige, weite</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0389] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome mir wie ein Sterbeglöcklein. Die Harpersdorfer Kirche ist nämlich nur eine Kapelle, und statt des Glockengeläutes hat sie nur ein Glöckchen. Harpers- dorf liegt zwischen Schönau, Goldberg und Löwenberg im ehemaligen Fürsten¬ tum Liegnitz, das im sechzehnten Jahrhundert ganz evangelisch gewesen war, nur zwei Stunden von dem Dorfe Neukirch, von wo die schlesische Reformation ausgegangen ist. Nachdem dieses Herzogtum samt dem von Brieg 1672 an Österreich gefallen war, wurden eine Anzahl evangelische Kirchen eingezogen, den noch vorhandnen Überresten der ehemaligen katholischen Gemeinden über¬ wiesen und so neue katholische Gemeinden begründet. Zur Stiftung der Harpers¬ dorfer Parochie gab die von Kaspar von Schwenkfeld gestiftete Sekte den Anlaß. Anhänger dieses liebenswürdigen Schwärmers, dem Luther seine unliebens¬ würdigste Seite zuzukehren pflegte, erhielten sich in der Umgegend, vermischten sich mit andern Sektirern und hielten bald hie bald da ihre Konventikel ab. Der Teufel, klagte ein Prediger im Stil jener Zeit, sei einst mit einem Sack voll Ketzer über Schlesien dahergefahren; am Spitzberge sei der Sack hängen geblieben und zerrissen und habe seinen verwünschten Inhalt ausgeschüttet. Gemeine ist der eine reichliche Stunde von Harpersdvrf gelegne Probsthainer Spitzberg. Gegen 1720 fingen diese Ketzer wieder einmal an zu rumoren, sie verbreiteten Büchlein über die Hoffart der Pfarrfrauen und sagten den Pastoren sonst noch allerlei unangenehme Dinge. Diese baten die kaiserliche Regierung, dagegen einzuschreiten. Sie erhörte eine so verständige Bitte mit Vergnügen und schickte zwei Jesuiten nach Harpersdvrf, die einen regelmäßigen Unterricht zur Bekehrung der Ketzer erteilten; selbstverständlich wurden diese zum Besuch des Unterrichts gezwungen. Einige ließen sich bekehren, die meisten aber blieben standhaft und wanderten aus: zuerst nach Holland, dann nach England, end¬ lich nach Amerika. Friedrich der Große lud sie 1744 zur Rückkehr ein, aber sie dankten schön. Die Jesuiten nun erwarben ein Grundstück und errichteten darauf ein Kirchlein nebst einem Pfnrrhäuschen. Mit dem feinen Sinn für Passende Lagen und schöne Landschaftsbilder, der allen katholischen Orden eigen zu sein scheint, hatten sie sich den schönsten Platz ausgesucht. Das Dorf liegt in der von einzelnen Hügeln und Bergen unterbrochner welligen Ebne, zu der sich das dem Riesengebirge vorgelagerte Bober-Katzbachgebirge abdacht, und zwar in der vom Dorfbach ausgefurchtcn Thalschlucht. Auf den höchsten Buckel des nördlichen Thalrandes nun haben sie ihr Anwesen gesetzt, sodaß die schmucke Kapelle mit Zubehör das Dorf beherrscht. Die Kapelle bildet ein ovales Achteck von schönen Verhältnissen und beweist mit ihrer geschickten Chor- und Fensteranlage und der Vermeidung alles überflüssigen und geschmack¬ losen Aufputzes, daß die Bäter als Architekten auch im kleinen groß zu sein verstanden. Sei es nun, daß sie das Pfarrhaus in Harmonie mit der kleinen Kirche bringen oder eine den Umständen angemessene Bescheidenheit zeigen wollten, oder daß das Geld nicht weiter reichte, sie, die sonst großartige, weite

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/389
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/389>, abgerufen am 04.07.2024.