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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Petroleum

armseligen Verhältnissen lebte, hatte sich irgend eine kleine Verbessern"", in der
Reinigung des rohen Petroleums ausgedacht. Er wußte seinen Freund, den
Krämer Rockefeller, zu überzeugen, daß "Geld in seiner Idee wäre," und ihn
zu veranlassen, seine paar Dreier zur Gründung einer kleinen Quetsche von
Raffinerie herzugeben. Zuerst wurden alle Arbeitskräfte auf Anteil gemietet,
Buchhalter, Advokaten, Eisenbahnbeamte, Makler usw.

Dieser kleine Kreis von Leuten saß ruhig in dem vom Oldistrikt mehrere
hundert Meilen entfernten Cleveland, kein einziger von ihnen wohnte in
den Ölgegenden, kein einziger war Eigentümer von Ölquellen oder Ollän-
dereien. Aber mit vielen andern zusammen Besitzer einer der vielen kleinen
Raffinerien zu sein, genügte Johnys Ehrgeiz nicht. Zu arbeiten, die Methode
der Fabrikation zu verbessern, abzuhängen von den Schwankungen des Marktes,
die damals sehr groß waren, je nachdem große neue Quellen angebohrt wurden
oder ältere versiegten, jahrelang thätig zu sein und dann vielleicht doch das
sauer erworbne kleine Vermöge" durch solche Eingriffe unberechenbarer Ge¬
walten wieder zu verlieren, das schien ihm "kein Geschäft." Er war ein
Mann von ungewöhnlicher Intelligenz, der Herr Rockefeller, und begriff sehr
früh, daß der Witz bei jedem Geschäft doch schließlich das Geld der andern
ist. Wenn dem aber so ist, weshalb sich vor dem kürzesten Wege geniren?
Ohne Proudhon zu kennen, übersetzte er dessen "Eigentum ist Diebstahl" in
das praktisch besser verwertbare Dogma "Diebstahl wird Eigentum, wenn man
nicht zu fassen ist." Sein sektenhast fester Bibelglaube -- Herr Rockefeller ist
Baptist -- störte ihn dabei keineswegs, vermutlich nahm er den "Heiden" ihr
Geld nur mit um so ruhigeren Gewissen ab.

Ich habe da eben den Ausdruck Intelligenz gebraucht. Das Wort er¬
weckt aber bei dem deutschen Leser vielleicht ein falsches Bild, denn Intelligenz
in unserm Sinne hat Rockefeller nicht, er ist ein völlig beschränkter Kopf, ohne
jedes höhere Interesse oder irgend welches geistige Bedürfnis, an sich ein voll-
kommner Banause, und ohne sein Geld wäre er ein ganz trauriger Mensch.
Sein Seelenleben ist ausgefüllt von zweierlei: von stupiden Gottesdienst und
vom Geldmacher. Für dieses Geldmacher hat er aber einen angebornen rohen
Instinkt, der durch keine Regung, durch keine Rücksicht, durch kein Gewissen,
durch kein Bedenken jemals gehemmt wird. Einer meiner frühern Bekannten
sagte einmal von ihm: er ist ein Tiger. Das ist nicht ganz richtig, denn ein
Tiger hat Mut. Ein feiger Tiger -- das charakterisirt ihn wohl am nächsten.
Feige Verschlagenheit und vollendete Empfindungslosigkeit für Jammer und
Elend von Tausenden, satte Seelenruhe, die niemals ein Gedanke an die Un¬
zähligen stört, die er durch Gewalt oder Betrug zu Grunde gerichtet hat, das
sind seine hervorragendsten Eigenschaften. Die meisten Leute, die über ihn ge¬
schrieben haben, dcirnnter ganz kluge Köpfe, denen aber doch unbewußt die
soundsoviel hundert Millionen imponiren, Pflegen ihn gewöhnlich einen "Mann


Das Petroleum

armseligen Verhältnissen lebte, hatte sich irgend eine kleine Verbessern»«, in der
Reinigung des rohen Petroleums ausgedacht. Er wußte seinen Freund, den
Krämer Rockefeller, zu überzeugen, daß „Geld in seiner Idee wäre," und ihn
zu veranlassen, seine paar Dreier zur Gründung einer kleinen Quetsche von
Raffinerie herzugeben. Zuerst wurden alle Arbeitskräfte auf Anteil gemietet,
Buchhalter, Advokaten, Eisenbahnbeamte, Makler usw.

Dieser kleine Kreis von Leuten saß ruhig in dem vom Oldistrikt mehrere
hundert Meilen entfernten Cleveland, kein einziger von ihnen wohnte in
den Ölgegenden, kein einziger war Eigentümer von Ölquellen oder Ollän-
dereien. Aber mit vielen andern zusammen Besitzer einer der vielen kleinen
Raffinerien zu sein, genügte Johnys Ehrgeiz nicht. Zu arbeiten, die Methode
der Fabrikation zu verbessern, abzuhängen von den Schwankungen des Marktes,
die damals sehr groß waren, je nachdem große neue Quellen angebohrt wurden
oder ältere versiegten, jahrelang thätig zu sein und dann vielleicht doch das
sauer erworbne kleine Vermöge» durch solche Eingriffe unberechenbarer Ge¬
walten wieder zu verlieren, das schien ihm „kein Geschäft." Er war ein
Mann von ungewöhnlicher Intelligenz, der Herr Rockefeller, und begriff sehr
früh, daß der Witz bei jedem Geschäft doch schließlich das Geld der andern
ist. Wenn dem aber so ist, weshalb sich vor dem kürzesten Wege geniren?
Ohne Proudhon zu kennen, übersetzte er dessen „Eigentum ist Diebstahl" in
das praktisch besser verwertbare Dogma „Diebstahl wird Eigentum, wenn man
nicht zu fassen ist." Sein sektenhast fester Bibelglaube — Herr Rockefeller ist
Baptist — störte ihn dabei keineswegs, vermutlich nahm er den „Heiden" ihr
Geld nur mit um so ruhigeren Gewissen ab.

Ich habe da eben den Ausdruck Intelligenz gebraucht. Das Wort er¬
weckt aber bei dem deutschen Leser vielleicht ein falsches Bild, denn Intelligenz
in unserm Sinne hat Rockefeller nicht, er ist ein völlig beschränkter Kopf, ohne
jedes höhere Interesse oder irgend welches geistige Bedürfnis, an sich ein voll-
kommner Banause, und ohne sein Geld wäre er ein ganz trauriger Mensch.
Sein Seelenleben ist ausgefüllt von zweierlei: von stupiden Gottesdienst und
vom Geldmacher. Für dieses Geldmacher hat er aber einen angebornen rohen
Instinkt, der durch keine Regung, durch keine Rücksicht, durch kein Gewissen,
durch kein Bedenken jemals gehemmt wird. Einer meiner frühern Bekannten
sagte einmal von ihm: er ist ein Tiger. Das ist nicht ganz richtig, denn ein
Tiger hat Mut. Ein feiger Tiger — das charakterisirt ihn wohl am nächsten.
Feige Verschlagenheit und vollendete Empfindungslosigkeit für Jammer und
Elend von Tausenden, satte Seelenruhe, die niemals ein Gedanke an die Un¬
zähligen stört, die er durch Gewalt oder Betrug zu Grunde gerichtet hat, das
sind seine hervorragendsten Eigenschaften. Die meisten Leute, die über ihn ge¬
schrieben haben, dcirnnter ganz kluge Köpfe, denen aber doch unbewußt die
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[0375] Das Petroleum armseligen Verhältnissen lebte, hatte sich irgend eine kleine Verbessern»«, in der Reinigung des rohen Petroleums ausgedacht. Er wußte seinen Freund, den Krämer Rockefeller, zu überzeugen, daß „Geld in seiner Idee wäre," und ihn zu veranlassen, seine paar Dreier zur Gründung einer kleinen Quetsche von Raffinerie herzugeben. Zuerst wurden alle Arbeitskräfte auf Anteil gemietet, Buchhalter, Advokaten, Eisenbahnbeamte, Makler usw. Dieser kleine Kreis von Leuten saß ruhig in dem vom Oldistrikt mehrere hundert Meilen entfernten Cleveland, kein einziger von ihnen wohnte in den Ölgegenden, kein einziger war Eigentümer von Ölquellen oder Ollän- dereien. Aber mit vielen andern zusammen Besitzer einer der vielen kleinen Raffinerien zu sein, genügte Johnys Ehrgeiz nicht. Zu arbeiten, die Methode der Fabrikation zu verbessern, abzuhängen von den Schwankungen des Marktes, die damals sehr groß waren, je nachdem große neue Quellen angebohrt wurden oder ältere versiegten, jahrelang thätig zu sein und dann vielleicht doch das sauer erworbne kleine Vermöge» durch solche Eingriffe unberechenbarer Ge¬ walten wieder zu verlieren, das schien ihm „kein Geschäft." Er war ein Mann von ungewöhnlicher Intelligenz, der Herr Rockefeller, und begriff sehr früh, daß der Witz bei jedem Geschäft doch schließlich das Geld der andern ist. Wenn dem aber so ist, weshalb sich vor dem kürzesten Wege geniren? Ohne Proudhon zu kennen, übersetzte er dessen „Eigentum ist Diebstahl" in das praktisch besser verwertbare Dogma „Diebstahl wird Eigentum, wenn man nicht zu fassen ist." Sein sektenhast fester Bibelglaube — Herr Rockefeller ist Baptist — störte ihn dabei keineswegs, vermutlich nahm er den „Heiden" ihr Geld nur mit um so ruhigeren Gewissen ab. Ich habe da eben den Ausdruck Intelligenz gebraucht. Das Wort er¬ weckt aber bei dem deutschen Leser vielleicht ein falsches Bild, denn Intelligenz in unserm Sinne hat Rockefeller nicht, er ist ein völlig beschränkter Kopf, ohne jedes höhere Interesse oder irgend welches geistige Bedürfnis, an sich ein voll- kommner Banause, und ohne sein Geld wäre er ein ganz trauriger Mensch. Sein Seelenleben ist ausgefüllt von zweierlei: von stupiden Gottesdienst und vom Geldmacher. Für dieses Geldmacher hat er aber einen angebornen rohen Instinkt, der durch keine Regung, durch keine Rücksicht, durch kein Gewissen, durch kein Bedenken jemals gehemmt wird. Einer meiner frühern Bekannten sagte einmal von ihm: er ist ein Tiger. Das ist nicht ganz richtig, denn ein Tiger hat Mut. Ein feiger Tiger — das charakterisirt ihn wohl am nächsten. Feige Verschlagenheit und vollendete Empfindungslosigkeit für Jammer und Elend von Tausenden, satte Seelenruhe, die niemals ein Gedanke an die Un¬ zähligen stört, die er durch Gewalt oder Betrug zu Grunde gerichtet hat, das sind seine hervorragendsten Eigenschaften. Die meisten Leute, die über ihn ge¬ schrieben haben, dcirnnter ganz kluge Köpfe, denen aber doch unbewußt die soundsoviel hundert Millionen imponiren, Pflegen ihn gewöhnlich einen „Mann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/375>, abgerufen am 25.07.2024.