Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Beiträge zu einer künftigen Anthologie

Tvukmist el" von großen Ideen bewegtes Geschlecht, unter allen Umstünden
aber eine planvoll organisirte Mnsikpflege gehört. Die Grundlagen der alten
Organisation sind heute verschwunden oder erschüttert, die Förderung, die die
Musik ehemals von den gebildeten standet! und von den Schulen her erfuhr,
ist heute auch in Sachsen merklich verringert. Unsre Zeit steht vor schweren
materiellen Ausgaben. Möge darüber nicht vergessen werden, das; auch das
äußere Wohl, daß Sieg und Sturz im Wettbewerb der Nationen im letzten
Grunde mit abhängt von der poetischen Kraft der Völker. Unter ihren Quellen
bleibt aber trotz Kant und trotz allem der stärksten eine die Musik.




Beiträge zu einer künftigen Anthologie

eit Jahrzehnten ist es kein Geheimnis, daß der breit angeschwolluc
Strom unsrer deutschen Lyrik, soweit er nicht ganz kläglich im
Sande der Vergessenheit verläuft, fast nur dnrch die Kanäle der
Anthologien, der Blutenlesen, der lyrischen Sammlungen aller
Art, ans Vergangenheit und Gegenwart, aus allen deutschen
Landen oder aus einer einzelnen Provinz, dem größern Publikum zugeführt
wird. Alle Jahre zieht einer unter tausend Lyrikern das große Los, über den
engsten Kreis seiner persönlichen Freunde hinaus ein paar hundert Menschen
als Leser seiner gesammelten Gedichte zu gewinnen, alle Jahrzehnte hebt irgend
ein besondrer Vorzug oder äußrer Umstand einen Namen in die kleine Gruppe
derer, die es bei Lebzeiten zu zehn und zwanzig Auflagen bringen, im ganzen
aber bleibt es bei der Thatsache, daß die Anthologien fast allein dafür zu
sorgen haben, daß die deutsche Bildung auch über Geibel und Scheffel hinaus
etwas von den Strömungen und den Persönlichkeiten der neuern lyrischen
Dichtung erfährt. Wie unzulänglich und schlecht die große Mehrzahl der
Sammler und Herausgeber solcher lyrischen Anthologien ihres verantwortungs¬
vollen Amtes waltet, ist auch tausendmal erörtert worden und wird durch
eine neue Philippika nicht besser werden. Das meiste entlehnen die Antho¬
logien von einander, nur sehr wenige schöpfen unmittelbar ans den Quellen-
Die Besprechungen lyrischer Gedichte (soweit sie nicht bloß Reklamen des Ver¬
legers oder -- Kommissionärs sind) werden so allgemein gehalten, daß ihnen
selten ein Fingerzeig zu entnehmen ist. Man spürt ihnen nur zu oft um, daß


Beiträge zu einer künftigen Anthologie

Tvukmist el» von großen Ideen bewegtes Geschlecht, unter allen Umstünden
aber eine planvoll organisirte Mnsikpflege gehört. Die Grundlagen der alten
Organisation sind heute verschwunden oder erschüttert, die Förderung, die die
Musik ehemals von den gebildeten standet! und von den Schulen her erfuhr,
ist heute auch in Sachsen merklich verringert. Unsre Zeit steht vor schweren
materiellen Ausgaben. Möge darüber nicht vergessen werden, das; auch das
äußere Wohl, daß Sieg und Sturz im Wettbewerb der Nationen im letzten
Grunde mit abhängt von der poetischen Kraft der Völker. Unter ihren Quellen
bleibt aber trotz Kant und trotz allem der stärksten eine die Musik.




Beiträge zu einer künftigen Anthologie

eit Jahrzehnten ist es kein Geheimnis, daß der breit angeschwolluc
Strom unsrer deutschen Lyrik, soweit er nicht ganz kläglich im
Sande der Vergessenheit verläuft, fast nur dnrch die Kanäle der
Anthologien, der Blutenlesen, der lyrischen Sammlungen aller
Art, ans Vergangenheit und Gegenwart, aus allen deutschen
Landen oder aus einer einzelnen Provinz, dem größern Publikum zugeführt
wird. Alle Jahre zieht einer unter tausend Lyrikern das große Los, über den
engsten Kreis seiner persönlichen Freunde hinaus ein paar hundert Menschen
als Leser seiner gesammelten Gedichte zu gewinnen, alle Jahrzehnte hebt irgend
ein besondrer Vorzug oder äußrer Umstand einen Namen in die kleine Gruppe
derer, die es bei Lebzeiten zu zehn und zwanzig Auflagen bringen, im ganzen
aber bleibt es bei der Thatsache, daß die Anthologien fast allein dafür zu
sorgen haben, daß die deutsche Bildung auch über Geibel und Scheffel hinaus
etwas von den Strömungen und den Persönlichkeiten der neuern lyrischen
Dichtung erfährt. Wie unzulänglich und schlecht die große Mehrzahl der
Sammler und Herausgeber solcher lyrischen Anthologien ihres verantwortungs¬
vollen Amtes waltet, ist auch tausendmal erörtert worden und wird durch
eine neue Philippika nicht besser werden. Das meiste entlehnen die Antho¬
logien von einander, nur sehr wenige schöpfen unmittelbar ans den Quellen-
Die Besprechungen lyrischer Gedichte (soweit sie nicht bloß Reklamen des Ver¬
legers oder — Kommissionärs sind) werden so allgemein gehalten, daß ihnen
selten ein Fingerzeig zu entnehmen ist. Man spürt ihnen nur zu oft um, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221013"/>
          <fw type="header" place="top"> Beiträge zu einer künftigen Anthologie</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_81" prev="#ID_80"> Tvukmist el» von großen Ideen bewegtes Geschlecht, unter allen Umstünden<lb/>
aber eine planvoll organisirte Mnsikpflege gehört. Die Grundlagen der alten<lb/>
Organisation sind heute verschwunden oder erschüttert, die Förderung, die die<lb/>
Musik ehemals von den gebildeten standet! und von den Schulen her erfuhr,<lb/>
ist heute auch in Sachsen merklich verringert. Unsre Zeit steht vor schweren<lb/>
materiellen Ausgaben. Möge darüber nicht vergessen werden, das; auch das<lb/>
äußere Wohl, daß Sieg und Sturz im Wettbewerb der Nationen im letzten<lb/>
Grunde mit abhängt von der poetischen Kraft der Völker. Unter ihren Quellen<lb/>
bleibt aber trotz Kant und trotz allem der stärksten eine die Musik.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Beiträge zu einer künftigen Anthologie</head><lb/>
          <p xml:id="ID_82" next="#ID_83"> eit Jahrzehnten ist es kein Geheimnis, daß der breit angeschwolluc<lb/>
Strom unsrer deutschen Lyrik, soweit er nicht ganz kläglich im<lb/>
Sande der Vergessenheit verläuft, fast nur dnrch die Kanäle der<lb/>
Anthologien, der Blutenlesen, der lyrischen Sammlungen aller<lb/>
Art, ans Vergangenheit und Gegenwart, aus allen deutschen<lb/>
Landen oder aus einer einzelnen Provinz, dem größern Publikum zugeführt<lb/>
wird. Alle Jahre zieht einer unter tausend Lyrikern das große Los, über den<lb/>
engsten Kreis seiner persönlichen Freunde hinaus ein paar hundert Menschen<lb/>
als Leser seiner gesammelten Gedichte zu gewinnen, alle Jahrzehnte hebt irgend<lb/>
ein besondrer Vorzug oder äußrer Umstand einen Namen in die kleine Gruppe<lb/>
derer, die es bei Lebzeiten zu zehn und zwanzig Auflagen bringen, im ganzen<lb/>
aber bleibt es bei der Thatsache, daß die Anthologien fast allein dafür zu<lb/>
sorgen haben, daß die deutsche Bildung auch über Geibel und Scheffel hinaus<lb/>
etwas von den Strömungen und den Persönlichkeiten der neuern lyrischen<lb/>
Dichtung erfährt. Wie unzulänglich und schlecht die große Mehrzahl der<lb/>
Sammler und Herausgeber solcher lyrischen Anthologien ihres verantwortungs¬<lb/>
vollen Amtes waltet, ist auch tausendmal erörtert worden und wird durch<lb/>
eine neue Philippika nicht besser werden. Das meiste entlehnen die Antho¬<lb/>
logien von einander, nur sehr wenige schöpfen unmittelbar ans den Quellen-<lb/>
Die Besprechungen lyrischer Gedichte (soweit sie nicht bloß Reklamen des Ver¬<lb/>
legers oder &#x2014; Kommissionärs sind) werden so allgemein gehalten, daß ihnen<lb/>
selten ein Fingerzeig zu entnehmen ist. Man spürt ihnen nur zu oft um, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] Beiträge zu einer künftigen Anthologie Tvukmist el» von großen Ideen bewegtes Geschlecht, unter allen Umstünden aber eine planvoll organisirte Mnsikpflege gehört. Die Grundlagen der alten Organisation sind heute verschwunden oder erschüttert, die Förderung, die die Musik ehemals von den gebildeten standet! und von den Schulen her erfuhr, ist heute auch in Sachsen merklich verringert. Unsre Zeit steht vor schweren materiellen Ausgaben. Möge darüber nicht vergessen werden, das; auch das äußere Wohl, daß Sieg und Sturz im Wettbewerb der Nationen im letzten Grunde mit abhängt von der poetischen Kraft der Völker. Unter ihren Quellen bleibt aber trotz Kant und trotz allem der stärksten eine die Musik. Beiträge zu einer künftigen Anthologie eit Jahrzehnten ist es kein Geheimnis, daß der breit angeschwolluc Strom unsrer deutschen Lyrik, soweit er nicht ganz kläglich im Sande der Vergessenheit verläuft, fast nur dnrch die Kanäle der Anthologien, der Blutenlesen, der lyrischen Sammlungen aller Art, ans Vergangenheit und Gegenwart, aus allen deutschen Landen oder aus einer einzelnen Provinz, dem größern Publikum zugeführt wird. Alle Jahre zieht einer unter tausend Lyrikern das große Los, über den engsten Kreis seiner persönlichen Freunde hinaus ein paar hundert Menschen als Leser seiner gesammelten Gedichte zu gewinnen, alle Jahrzehnte hebt irgend ein besondrer Vorzug oder äußrer Umstand einen Namen in die kleine Gruppe derer, die es bei Lebzeiten zu zehn und zwanzig Auflagen bringen, im ganzen aber bleibt es bei der Thatsache, daß die Anthologien fast allein dafür zu sorgen haben, daß die deutsche Bildung auch über Geibel und Scheffel hinaus etwas von den Strömungen und den Persönlichkeiten der neuern lyrischen Dichtung erfährt. Wie unzulänglich und schlecht die große Mehrzahl der Sammler und Herausgeber solcher lyrischen Anthologien ihres verantwortungs¬ vollen Amtes waltet, ist auch tausendmal erörtert worden und wird durch eine neue Philippika nicht besser werden. Das meiste entlehnen die Antho¬ logien von einander, nur sehr wenige schöpfen unmittelbar ans den Quellen- Die Besprechungen lyrischer Gedichte (soweit sie nicht bloß Reklamen des Ver¬ legers oder — Kommissionärs sind) werden so allgemein gehalten, daß ihnen selten ein Fingerzeig zu entnehmen ist. Man spürt ihnen nur zu oft um, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/37>, abgerufen am 24.07.2024.