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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Reform der Arbeiterversicherung

anerkannt und als Grundlage ihrer eignen Gesetzgebung angenommen worden
sind. Erweisen sich so die Grundmauern dieses großartigen Gebäudes als fest
und wohlgefügt, so ist es um so mehr Pflicht aller derer, die in der Durch¬
führung unsrer Arbeiterversicherung eine der größten gesetzgeberischen Thaten
dieses Jahrhunderts sehen, auch ihrerseits daran mitzuwirken, daß die Fehler
im innern Ausbau, die uns die Freude an dem herrlichen Bauwerk verkümmern
und das Wohnen darin erschweren, mehr und mehr beseitigt werden. Hierzu
wollen auch diese Zeilen einen bescheidnen Beitrag liefern.

Von allen Arbeiterversicherungsgesetzen hat sich zweifellos das Kranken¬
versicherungsgesetz am besten bewährt. Ohne Murren läßt sich der Arbeiter
die Beiträge für die Krankenversicherung abziehen, da ihre Vorteile für jeden
erkennbar sind. Unzählige sind schon in der Lage gewesen, die Hilfe der
Krankenkasse in Anspruch nehmen zu müssen, denn in den Jahren 1885 bis
1893 kamen im Durchschnitt ans 100 Versicherte 36,3 erkrankte Personen und
auf jeden Versicherten 6 bis 7 Krankheitstage.") Dabei sind die Verwaltungs¬
kosten der Krankenkassen gering. Während sich die Ausgaben für Krankheits¬
kosten im Durchschnitt für jeden Versicherten auf 12 Mark 46 Pfennige stellen,
betragen die Verwaltungskosten nur 89 Pfennige; der Arbeiter, der einen Durch¬
schnittsbeitrag von 10 Mark 10 Pfennigen zu leisten hat, erhalt also an
Unterstützungen 2 Mark 36 Pfennige mehr zurück, als er gezahlt hat.

Während daher die Segnungen des Krankenversicherungsgesetzes rück¬
haltlos anerkannt werden, sind gegen das Unfallversicherungsgesetz, noch
mehr aber gegen das Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz Klagen laut
geworden. Die Beschwerden gegen das Unfallversicherungsgesetz richten sich
vor allem gegen die Höhe der Verwaltungskosten. Sie können auch nicht als
grundlos bezeichnet werden, wenn man bedenkt, daß im Jahre 1890 im Durch¬
schnitt auf einen Versicherten 1 Mark 40 Pfennige Entschädigungssumme und
40 Pfennige Verwaltungskosten kamen, daß also die Verwaltungskosten bei
18 Millionen Versicherten über 7 Millionen Mark betrugen und sich im Durch¬
schnitt auf 29 Prozent der Entschädigungskosten, bei Berufsgenossenschaften,
deren Mitglieder im ganzen Reiche zerstreut wohnen, natürlich weit höher
stellen.

Daß sich die Berufsgenossenschaften große Verdienste erworben haben, soll
nicht geleugnet werden, insbesondre sind ihre Verdienste auf dem Gebiete der
Unfallverhütung durchaus anzuerkennen. Aber die ganze Organisation kann
nicht als glücklich bezeichnet werden. Der Fehler liegt in der Beschränkung
auf die einzelnen Betriebsarten und in der Ausdehnung auf große Bezirke.
Wenn sich die Berufsgenossenschaften wie die Versicherungsanstalten aus kleinere
Bezirke beschränkten, in diesen aber die Unternehmer aller gefährlichern Vc-



Diese und die folgende" Zahlen sind dem Bvdikerschen Werke entnommen.
Zur Reform der Arbeiterversicherung

anerkannt und als Grundlage ihrer eignen Gesetzgebung angenommen worden
sind. Erweisen sich so die Grundmauern dieses großartigen Gebäudes als fest
und wohlgefügt, so ist es um so mehr Pflicht aller derer, die in der Durch¬
führung unsrer Arbeiterversicherung eine der größten gesetzgeberischen Thaten
dieses Jahrhunderts sehen, auch ihrerseits daran mitzuwirken, daß die Fehler
im innern Ausbau, die uns die Freude an dem herrlichen Bauwerk verkümmern
und das Wohnen darin erschweren, mehr und mehr beseitigt werden. Hierzu
wollen auch diese Zeilen einen bescheidnen Beitrag liefern.

Von allen Arbeiterversicherungsgesetzen hat sich zweifellos das Kranken¬
versicherungsgesetz am besten bewährt. Ohne Murren läßt sich der Arbeiter
die Beiträge für die Krankenversicherung abziehen, da ihre Vorteile für jeden
erkennbar sind. Unzählige sind schon in der Lage gewesen, die Hilfe der
Krankenkasse in Anspruch nehmen zu müssen, denn in den Jahren 1885 bis
1893 kamen im Durchschnitt ans 100 Versicherte 36,3 erkrankte Personen und
auf jeden Versicherten 6 bis 7 Krankheitstage.") Dabei sind die Verwaltungs¬
kosten der Krankenkassen gering. Während sich die Ausgaben für Krankheits¬
kosten im Durchschnitt für jeden Versicherten auf 12 Mark 46 Pfennige stellen,
betragen die Verwaltungskosten nur 89 Pfennige; der Arbeiter, der einen Durch¬
schnittsbeitrag von 10 Mark 10 Pfennigen zu leisten hat, erhalt also an
Unterstützungen 2 Mark 36 Pfennige mehr zurück, als er gezahlt hat.

Während daher die Segnungen des Krankenversicherungsgesetzes rück¬
haltlos anerkannt werden, sind gegen das Unfallversicherungsgesetz, noch
mehr aber gegen das Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz Klagen laut
geworden. Die Beschwerden gegen das Unfallversicherungsgesetz richten sich
vor allem gegen die Höhe der Verwaltungskosten. Sie können auch nicht als
grundlos bezeichnet werden, wenn man bedenkt, daß im Jahre 1890 im Durch¬
schnitt auf einen Versicherten 1 Mark 40 Pfennige Entschädigungssumme und
40 Pfennige Verwaltungskosten kamen, daß also die Verwaltungskosten bei
18 Millionen Versicherten über 7 Millionen Mark betrugen und sich im Durch¬
schnitt auf 29 Prozent der Entschädigungskosten, bei Berufsgenossenschaften,
deren Mitglieder im ganzen Reiche zerstreut wohnen, natürlich weit höher
stellen.

Daß sich die Berufsgenossenschaften große Verdienste erworben haben, soll
nicht geleugnet werden, insbesondre sind ihre Verdienste auf dem Gebiete der
Unfallverhütung durchaus anzuerkennen. Aber die ganze Organisation kann
nicht als glücklich bezeichnet werden. Der Fehler liegt in der Beschränkung
auf die einzelnen Betriebsarten und in der Ausdehnung auf große Bezirke.
Wenn sich die Berufsgenossenschaften wie die Versicherungsanstalten aus kleinere
Bezirke beschränkten, in diesen aber die Unternehmer aller gefährlichern Vc-



Diese und die folgende» Zahlen sind dem Bvdikerschen Werke entnommen.
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[0364] Zur Reform der Arbeiterversicherung anerkannt und als Grundlage ihrer eignen Gesetzgebung angenommen worden sind. Erweisen sich so die Grundmauern dieses großartigen Gebäudes als fest und wohlgefügt, so ist es um so mehr Pflicht aller derer, die in der Durch¬ führung unsrer Arbeiterversicherung eine der größten gesetzgeberischen Thaten dieses Jahrhunderts sehen, auch ihrerseits daran mitzuwirken, daß die Fehler im innern Ausbau, die uns die Freude an dem herrlichen Bauwerk verkümmern und das Wohnen darin erschweren, mehr und mehr beseitigt werden. Hierzu wollen auch diese Zeilen einen bescheidnen Beitrag liefern. Von allen Arbeiterversicherungsgesetzen hat sich zweifellos das Kranken¬ versicherungsgesetz am besten bewährt. Ohne Murren läßt sich der Arbeiter die Beiträge für die Krankenversicherung abziehen, da ihre Vorteile für jeden erkennbar sind. Unzählige sind schon in der Lage gewesen, die Hilfe der Krankenkasse in Anspruch nehmen zu müssen, denn in den Jahren 1885 bis 1893 kamen im Durchschnitt ans 100 Versicherte 36,3 erkrankte Personen und auf jeden Versicherten 6 bis 7 Krankheitstage.") Dabei sind die Verwaltungs¬ kosten der Krankenkassen gering. Während sich die Ausgaben für Krankheits¬ kosten im Durchschnitt für jeden Versicherten auf 12 Mark 46 Pfennige stellen, betragen die Verwaltungskosten nur 89 Pfennige; der Arbeiter, der einen Durch¬ schnittsbeitrag von 10 Mark 10 Pfennigen zu leisten hat, erhalt also an Unterstützungen 2 Mark 36 Pfennige mehr zurück, als er gezahlt hat. Während daher die Segnungen des Krankenversicherungsgesetzes rück¬ haltlos anerkannt werden, sind gegen das Unfallversicherungsgesetz, noch mehr aber gegen das Jnvaliditäts- und Altersversicherungsgesetz Klagen laut geworden. Die Beschwerden gegen das Unfallversicherungsgesetz richten sich vor allem gegen die Höhe der Verwaltungskosten. Sie können auch nicht als grundlos bezeichnet werden, wenn man bedenkt, daß im Jahre 1890 im Durch¬ schnitt auf einen Versicherten 1 Mark 40 Pfennige Entschädigungssumme und 40 Pfennige Verwaltungskosten kamen, daß also die Verwaltungskosten bei 18 Millionen Versicherten über 7 Millionen Mark betrugen und sich im Durch¬ schnitt auf 29 Prozent der Entschädigungskosten, bei Berufsgenossenschaften, deren Mitglieder im ganzen Reiche zerstreut wohnen, natürlich weit höher stellen. Daß sich die Berufsgenossenschaften große Verdienste erworben haben, soll nicht geleugnet werden, insbesondre sind ihre Verdienste auf dem Gebiete der Unfallverhütung durchaus anzuerkennen. Aber die ganze Organisation kann nicht als glücklich bezeichnet werden. Der Fehler liegt in der Beschränkung auf die einzelnen Betriebsarten und in der Ausdehnung auf große Bezirke. Wenn sich die Berufsgenossenschaften wie die Versicherungsanstalten aus kleinere Bezirke beschränkten, in diesen aber die Unternehmer aller gefährlichern Vc- Diese und die folgende» Zahlen sind dem Bvdikerschen Werke entnommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/364>, abgerufen am 21.06.2024.