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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Sachsen in der Musikgeschichte

Leipziger Studentenschaft in die Geschichte des deutschen Liedes eingriff; es
war much nicht das erste mal, daß sie sich musikalisch regte. Schon im letzten
Drittel des sechzehnten Jahrhunderts hatte sich aus ihren Reihen ein besondrer
(Aoru8 musious gebildet, der bei den Festgvttesdiensten und bei den akade¬
mischen Feierlichkeiten wirkte. Aus ihm sind unter andern Calvisius und
Neander, einer der bedeutendsten Kantoren der Dresdner Kreuzschule, hervor¬
gegangen. Als Strungk 1693 in Leipzig eine Oper eröffnete, kamen sofort
Studenten, um als Säuger oder als Komponisten mitzuhelfen. Keiser, Hei¬
nichen, Granpner begannen ihre Laufbahn bei ihm. Bis ans Ende des acht¬
zehnten Jahrhunderts machen sich die musikalischen Kräfte der Studentenschaft
fast ununterbrochen bemerklich. Ihr Sammelpunkt war wohl das Konvikt.
Wenigstens schreibt der bekannte Sicut die häufigen Serenaden, über die er
zu berichten hat, immer ohne weiteres den "Konviktoristen" zu. Der feudale
Verfasser des im Jahre 1798 erschienenen Pamphlets "Leipzig als Uni¬
versitätsstadt" ärgert sich bei der Schilderung jenes segensreichen Instituts
ganz besonders über das regelmäßige Singen als über einen "mönchischen
Zug."

Besonders wichtig wurde es, daß sich die Leipziger Studenten im Anfange
des achtzehnten Jahrhunderts der notleidenden Instrumentalmusik annahmen.
Sie war in frühern Zeiten in Sachsen wohl bedacht worden. Noch auf
Luthers Anregung soll das Turmblasen, das hie und da ja noch heute vor¬
kommt, eingeführt worden sein. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts haben
wir eine große Anzahl von Stadtpfeifereien, deren Vorsteher mit ihren Ge¬
hilfen in guten und wohlgeordneten Verhältnissen lebten. Die erste künst¬
lerische Entwicklung der Orchestersuite stützt sich denn auch wesentlich ans
sächsische Kräfte wie Schein und Dcmantius. Sachsen war auch eins der
ersten Länder, das nach dein dreißigjährigen Kriege der eingetretenen Ver¬
wilderung des Spielmannstandes steuerte. Im Jahre 1657 gründen die be¬
stallter Musiei der ober- und niedersächsischen Kreise eine neue Sozietät, deren
vom Kaiser bestätigte Satzungen das Gewerbe wieder auf die alten soliden
Grundlagen zurückführten. Auch brandenburgische Städte schlossen sich dieser
Sozietät an. Sie lieferte Männer von hervorragender Tüchtigkeit. Der auch
als Komponist bekannte Gottfried Reiche, für den Sebastian Bach seine schweren
Trompetenpartien schrieb, ist einer der Vertreter des sächsischen Kunstpfeifer-
tums im achtzehnten Jahrhundert; auch Quanz ging aus diesem Stande hervor.
Aber es hing an alten Formen und vermochte sich mit der neuen Violinen¬
musik, mit der Sinfonie und dem Qoiuzsrto FrMso, die das Gefolge der ita¬
lienischen Oper bildeten, nicht genügend abzufinden. Da wurde die Studenten¬
schaft ungeduldig. Der junge sont. jur. Telemann, der nachmalige Hamburger
Kapellmeister, gründete im Jahre 1701 in Leipzig ein studentisches (üollögwm
muÄLum. Und dank diesem Institut wurde das Versäumte bis zu einem ge-


Sachsen in der Musikgeschichte

Leipziger Studentenschaft in die Geschichte des deutschen Liedes eingriff; es
war much nicht das erste mal, daß sie sich musikalisch regte. Schon im letzten
Drittel des sechzehnten Jahrhunderts hatte sich aus ihren Reihen ein besondrer
(Aoru8 musious gebildet, der bei den Festgvttesdiensten und bei den akade¬
mischen Feierlichkeiten wirkte. Aus ihm sind unter andern Calvisius und
Neander, einer der bedeutendsten Kantoren der Dresdner Kreuzschule, hervor¬
gegangen. Als Strungk 1693 in Leipzig eine Oper eröffnete, kamen sofort
Studenten, um als Säuger oder als Komponisten mitzuhelfen. Keiser, Hei¬
nichen, Granpner begannen ihre Laufbahn bei ihm. Bis ans Ende des acht¬
zehnten Jahrhunderts machen sich die musikalischen Kräfte der Studentenschaft
fast ununterbrochen bemerklich. Ihr Sammelpunkt war wohl das Konvikt.
Wenigstens schreibt der bekannte Sicut die häufigen Serenaden, über die er
zu berichten hat, immer ohne weiteres den „Konviktoristen" zu. Der feudale
Verfasser des im Jahre 1798 erschienenen Pamphlets „Leipzig als Uni¬
versitätsstadt" ärgert sich bei der Schilderung jenes segensreichen Instituts
ganz besonders über das regelmäßige Singen als über einen „mönchischen
Zug."

Besonders wichtig wurde es, daß sich die Leipziger Studenten im Anfange
des achtzehnten Jahrhunderts der notleidenden Instrumentalmusik annahmen.
Sie war in frühern Zeiten in Sachsen wohl bedacht worden. Noch auf
Luthers Anregung soll das Turmblasen, das hie und da ja noch heute vor¬
kommt, eingeführt worden sein. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts haben
wir eine große Anzahl von Stadtpfeifereien, deren Vorsteher mit ihren Ge¬
hilfen in guten und wohlgeordneten Verhältnissen lebten. Die erste künst¬
lerische Entwicklung der Orchestersuite stützt sich denn auch wesentlich ans
sächsische Kräfte wie Schein und Dcmantius. Sachsen war auch eins der
ersten Länder, das nach dein dreißigjährigen Kriege der eingetretenen Ver¬
wilderung des Spielmannstandes steuerte. Im Jahre 1657 gründen die be¬
stallter Musiei der ober- und niedersächsischen Kreise eine neue Sozietät, deren
vom Kaiser bestätigte Satzungen das Gewerbe wieder auf die alten soliden
Grundlagen zurückführten. Auch brandenburgische Städte schlossen sich dieser
Sozietät an. Sie lieferte Männer von hervorragender Tüchtigkeit. Der auch
als Komponist bekannte Gottfried Reiche, für den Sebastian Bach seine schweren
Trompetenpartien schrieb, ist einer der Vertreter des sächsischen Kunstpfeifer-
tums im achtzehnten Jahrhundert; auch Quanz ging aus diesem Stande hervor.
Aber es hing an alten Formen und vermochte sich mit der neuen Violinen¬
musik, mit der Sinfonie und dem Qoiuzsrto FrMso, die das Gefolge der ita¬
lienischen Oper bildeten, nicht genügend abzufinden. Da wurde die Studenten¬
schaft ungeduldig. Der junge sont. jur. Telemann, der nachmalige Hamburger
Kapellmeister, gründete im Jahre 1701 in Leipzig ein studentisches (üollögwm
muÄLum. Und dank diesem Institut wurde das Versäumte bis zu einem ge-


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[0035] Sachsen in der Musikgeschichte Leipziger Studentenschaft in die Geschichte des deutschen Liedes eingriff; es war much nicht das erste mal, daß sie sich musikalisch regte. Schon im letzten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts hatte sich aus ihren Reihen ein besondrer (Aoru8 musious gebildet, der bei den Festgvttesdiensten und bei den akade¬ mischen Feierlichkeiten wirkte. Aus ihm sind unter andern Calvisius und Neander, einer der bedeutendsten Kantoren der Dresdner Kreuzschule, hervor¬ gegangen. Als Strungk 1693 in Leipzig eine Oper eröffnete, kamen sofort Studenten, um als Säuger oder als Komponisten mitzuhelfen. Keiser, Hei¬ nichen, Granpner begannen ihre Laufbahn bei ihm. Bis ans Ende des acht¬ zehnten Jahrhunderts machen sich die musikalischen Kräfte der Studentenschaft fast ununterbrochen bemerklich. Ihr Sammelpunkt war wohl das Konvikt. Wenigstens schreibt der bekannte Sicut die häufigen Serenaden, über die er zu berichten hat, immer ohne weiteres den „Konviktoristen" zu. Der feudale Verfasser des im Jahre 1798 erschienenen Pamphlets „Leipzig als Uni¬ versitätsstadt" ärgert sich bei der Schilderung jenes segensreichen Instituts ganz besonders über das regelmäßige Singen als über einen „mönchischen Zug." Besonders wichtig wurde es, daß sich die Leipziger Studenten im Anfange des achtzehnten Jahrhunderts der notleidenden Instrumentalmusik annahmen. Sie war in frühern Zeiten in Sachsen wohl bedacht worden. Noch auf Luthers Anregung soll das Turmblasen, das hie und da ja noch heute vor¬ kommt, eingeführt worden sein. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts haben wir eine große Anzahl von Stadtpfeifereien, deren Vorsteher mit ihren Ge¬ hilfen in guten und wohlgeordneten Verhältnissen lebten. Die erste künst¬ lerische Entwicklung der Orchestersuite stützt sich denn auch wesentlich ans sächsische Kräfte wie Schein und Dcmantius. Sachsen war auch eins der ersten Länder, das nach dein dreißigjährigen Kriege der eingetretenen Ver¬ wilderung des Spielmannstandes steuerte. Im Jahre 1657 gründen die be¬ stallter Musiei der ober- und niedersächsischen Kreise eine neue Sozietät, deren vom Kaiser bestätigte Satzungen das Gewerbe wieder auf die alten soliden Grundlagen zurückführten. Auch brandenburgische Städte schlossen sich dieser Sozietät an. Sie lieferte Männer von hervorragender Tüchtigkeit. Der auch als Komponist bekannte Gottfried Reiche, für den Sebastian Bach seine schweren Trompetenpartien schrieb, ist einer der Vertreter des sächsischen Kunstpfeifer- tums im achtzehnten Jahrhundert; auch Quanz ging aus diesem Stande hervor. Aber es hing an alten Formen und vermochte sich mit der neuen Violinen¬ musik, mit der Sinfonie und dem Qoiuzsrto FrMso, die das Gefolge der ita¬ lienischen Oper bildeten, nicht genügend abzufinden. Da wurde die Studenten¬ schaft ungeduldig. Der junge sont. jur. Telemann, der nachmalige Hamburger Kapellmeister, gründete im Jahre 1701 in Leipzig ein studentisches (üollögwm muÄLum. Und dank diesem Institut wurde das Versäumte bis zu einem ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/35>, abgerufen am 24.07.2024.