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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Heimat und Volkstum

das Neue zu bieten haben, und einige glückliche Anfänge sind ja auch schon
gemacht.

Damit wären die meisten Gebiete des Kulturlebens wenigstens gestreift.
Aber vergessen wir auch das Essen und Trinken nicht! Auch da macht sich
der zentralisirende Zug unsrer Zeit stark bemerkbar, die Wirtshauskost dürfte
heute in: ganzen deutschen Reiche ungefähr dieselbe sein, auch sind in die
Familienkost überall manche fremde Gerichte eingedrungen: mau ißt den Königs-
berger Klops auch in Frankfurt am Main und die bairischen Leberknvdel much
in Berlin. Wenns mir schmeckt! Vielleicht bildet sich aus den Lieblings¬
gerichten der einzelnen deutschen Stämme einmal eine deutsche Nationalküche
von idealer Vielseitigkeit und Vollkommenheit aus, und das Choucrvut gilt
dann nicht mehr als die deutsche Nationalspcise, was es auch nicht ohne
weiteres ist, da es manche Gegenden Deutschlands gar nicht kennen. Pietät
gegen die Nationalspeiseu empfehlen zu wollen, könnte komisch wirken, doch
haben vielleicht die Festgebäcke darauf Anspruch, die wie die Leipziger Weih¬
nachtsstollen und die holsteinischen "bunten Stuten" und Fastuachtsheißwecken
namentlich für die Kinderwelt so notwendig zum Feste gehören und selbst im
alten Mann oft noch wehmütige Kindheits- und Heimatserinnernngen wecken.
Vielfach hat sich leider, namentlich in den großen Städten, auch der Luxus
der Festprodukte bemächtigt, und mit Ostereiern z. B. wird schon ein ganz
alberner Mißbrauch getrieben; statt der mit Zwiebelschalen und sonstwie farbig
hergestellten natürlichen Eier sieht man nur noch künstliche aus Zucker und
Schokolade, zum Teil von Riesengröße, mit Glasfenstern und Bildern drin!
Auch das ist eine Gesahr für das Volkstum, wie denn alles, was die In¬
dustrie anfaßt, auch sofort fabrikmäßigen Charakter bekommt und seinen "m-
einem" Reiz verliert. Gar nicht recht gefallen will mir auch der Triumphzug
zunächst des nach bairischer Art gebrauten und dann des echten bairischen
Bieres, dem heute wieder im böhmischen ein Nebenbuhler zu erwachsen droht;
die alten einheimischen Biere sind darüber sast alle eingegangen, und der Kultur¬
geschichtschreiber kann nicht einmal feststellen, wie sie schmeckten, da sie sich in
Museen nicht konserviren lassen. Die Wissenschaft der Methyologie, die Lichten-
berg den Deutschen wünschte, und zu der er selbst einen hübschen Beitrag ge¬
liefert hat, ist aber überhaupt nicht mit der Wichtigkeit und Gründlichkeit, mit
der die Deutschen immer das Trinken selbst betrieben, behandelt worden, und
auch für die Kulturgeschichte des Essens sehlt noch der Fachmann, das Material
ist weit zerstreut und teilweise noch ungehoben. Schon über die verschiednen
Formen des Kaffeebrvts in Deutschland und des Brots überhaupt ließe sich
ein Büchlein schreiben. Und erst über die Würste!

Aber unsre jüngern Knlturhistoriker haben gewöhnlich nicht den Überblick
über das Ganze, und so entgeht ihnen auch manches. So glaube ich z. B
kaum, daß es eine Übersicht der natürlichen Handels- und Verkehrsmittelpunkte


Heimat und Volkstum

das Neue zu bieten haben, und einige glückliche Anfänge sind ja auch schon
gemacht.

Damit wären die meisten Gebiete des Kulturlebens wenigstens gestreift.
Aber vergessen wir auch das Essen und Trinken nicht! Auch da macht sich
der zentralisirende Zug unsrer Zeit stark bemerkbar, die Wirtshauskost dürfte
heute in: ganzen deutschen Reiche ungefähr dieselbe sein, auch sind in die
Familienkost überall manche fremde Gerichte eingedrungen: mau ißt den Königs-
berger Klops auch in Frankfurt am Main und die bairischen Leberknvdel much
in Berlin. Wenns mir schmeckt! Vielleicht bildet sich aus den Lieblings¬
gerichten der einzelnen deutschen Stämme einmal eine deutsche Nationalküche
von idealer Vielseitigkeit und Vollkommenheit aus, und das Choucrvut gilt
dann nicht mehr als die deutsche Nationalspcise, was es auch nicht ohne
weiteres ist, da es manche Gegenden Deutschlands gar nicht kennen. Pietät
gegen die Nationalspeiseu empfehlen zu wollen, könnte komisch wirken, doch
haben vielleicht die Festgebäcke darauf Anspruch, die wie die Leipziger Weih¬
nachtsstollen und die holsteinischen „bunten Stuten" und Fastuachtsheißwecken
namentlich für die Kinderwelt so notwendig zum Feste gehören und selbst im
alten Mann oft noch wehmütige Kindheits- und Heimatserinnernngen wecken.
Vielfach hat sich leider, namentlich in den großen Städten, auch der Luxus
der Festprodukte bemächtigt, und mit Ostereiern z. B. wird schon ein ganz
alberner Mißbrauch getrieben; statt der mit Zwiebelschalen und sonstwie farbig
hergestellten natürlichen Eier sieht man nur noch künstliche aus Zucker und
Schokolade, zum Teil von Riesengröße, mit Glasfenstern und Bildern drin!
Auch das ist eine Gesahr für das Volkstum, wie denn alles, was die In¬
dustrie anfaßt, auch sofort fabrikmäßigen Charakter bekommt und seinen „m-
einem" Reiz verliert. Gar nicht recht gefallen will mir auch der Triumphzug
zunächst des nach bairischer Art gebrauten und dann des echten bairischen
Bieres, dem heute wieder im böhmischen ein Nebenbuhler zu erwachsen droht;
die alten einheimischen Biere sind darüber sast alle eingegangen, und der Kultur¬
geschichtschreiber kann nicht einmal feststellen, wie sie schmeckten, da sie sich in
Museen nicht konserviren lassen. Die Wissenschaft der Methyologie, die Lichten-
berg den Deutschen wünschte, und zu der er selbst einen hübschen Beitrag ge¬
liefert hat, ist aber überhaupt nicht mit der Wichtigkeit und Gründlichkeit, mit
der die Deutschen immer das Trinken selbst betrieben, behandelt worden, und
auch für die Kulturgeschichte des Essens sehlt noch der Fachmann, das Material
ist weit zerstreut und teilweise noch ungehoben. Schon über die verschiednen
Formen des Kaffeebrvts in Deutschland und des Brots überhaupt ließe sich
ein Büchlein schreiben. Und erst über die Würste!

Aber unsre jüngern Knlturhistoriker haben gewöhnlich nicht den Überblick
über das Ganze, und so entgeht ihnen auch manches. So glaube ich z. B
kaum, daß es eine Übersicht der natürlichen Handels- und Verkehrsmittelpunkte


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[0286] Heimat und Volkstum das Neue zu bieten haben, und einige glückliche Anfänge sind ja auch schon gemacht. Damit wären die meisten Gebiete des Kulturlebens wenigstens gestreift. Aber vergessen wir auch das Essen und Trinken nicht! Auch da macht sich der zentralisirende Zug unsrer Zeit stark bemerkbar, die Wirtshauskost dürfte heute in: ganzen deutschen Reiche ungefähr dieselbe sein, auch sind in die Familienkost überall manche fremde Gerichte eingedrungen: mau ißt den Königs- berger Klops auch in Frankfurt am Main und die bairischen Leberknvdel much in Berlin. Wenns mir schmeckt! Vielleicht bildet sich aus den Lieblings¬ gerichten der einzelnen deutschen Stämme einmal eine deutsche Nationalküche von idealer Vielseitigkeit und Vollkommenheit aus, und das Choucrvut gilt dann nicht mehr als die deutsche Nationalspcise, was es auch nicht ohne weiteres ist, da es manche Gegenden Deutschlands gar nicht kennen. Pietät gegen die Nationalspeiseu empfehlen zu wollen, könnte komisch wirken, doch haben vielleicht die Festgebäcke darauf Anspruch, die wie die Leipziger Weih¬ nachtsstollen und die holsteinischen „bunten Stuten" und Fastuachtsheißwecken namentlich für die Kinderwelt so notwendig zum Feste gehören und selbst im alten Mann oft noch wehmütige Kindheits- und Heimatserinnernngen wecken. Vielfach hat sich leider, namentlich in den großen Städten, auch der Luxus der Festprodukte bemächtigt, und mit Ostereiern z. B. wird schon ein ganz alberner Mißbrauch getrieben; statt der mit Zwiebelschalen und sonstwie farbig hergestellten natürlichen Eier sieht man nur noch künstliche aus Zucker und Schokolade, zum Teil von Riesengröße, mit Glasfenstern und Bildern drin! Auch das ist eine Gesahr für das Volkstum, wie denn alles, was die In¬ dustrie anfaßt, auch sofort fabrikmäßigen Charakter bekommt und seinen „m- einem" Reiz verliert. Gar nicht recht gefallen will mir auch der Triumphzug zunächst des nach bairischer Art gebrauten und dann des echten bairischen Bieres, dem heute wieder im böhmischen ein Nebenbuhler zu erwachsen droht; die alten einheimischen Biere sind darüber sast alle eingegangen, und der Kultur¬ geschichtschreiber kann nicht einmal feststellen, wie sie schmeckten, da sie sich in Museen nicht konserviren lassen. Die Wissenschaft der Methyologie, die Lichten- berg den Deutschen wünschte, und zu der er selbst einen hübschen Beitrag ge¬ liefert hat, ist aber überhaupt nicht mit der Wichtigkeit und Gründlichkeit, mit der die Deutschen immer das Trinken selbst betrieben, behandelt worden, und auch für die Kulturgeschichte des Essens sehlt noch der Fachmann, das Material ist weit zerstreut und teilweise noch ungehoben. Schon über die verschiednen Formen des Kaffeebrvts in Deutschland und des Brots überhaupt ließe sich ein Büchlein schreiben. Und erst über die Würste! Aber unsre jüngern Knlturhistoriker haben gewöhnlich nicht den Überblick über das Ganze, und so entgeht ihnen auch manches. So glaube ich z. B kaum, daß es eine Übersicht der natürlichen Handels- und Verkehrsmittelpunkte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/286>, abgerufen am 27.06.2024.