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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Heimat und volkstum

ihren hübschen Einrichtungen heute fast überall verschwunden, so kann man
dafür doch die Nachahmungen aller möglichen alten Tische, Stühle und Schränke
überall kaufen, und die "altdeutsche Trinkstube" findet man schon auf dem
Lande. Da der früher vorhcmdne Zusammenhang des "stilvollen" mit dem
Volkstum fehlt, so kommt einem freilich die ganze moderne Einrichtung oft
wie eine Maskerade vor, und wenn man in den großen Städten die Läden
mit den hunderterlei Gegenständen zum Zimmerschmuck sieht, von denen einer
genau so überflüssig ist wie der andre, so möchte man wenigstens eine Art
Kunstgewerbe für eine zwecklose Vergeudung deutscher Volkskraft erklären; aber
im ganzen kann man einen wirklichen Aufschwung doch nicht leugnen, etwas
lebendiger und bunter sehe" unsre Stuben schon wieder aus, es fehlt nur viel¬
fach noch der gute Geschmack. Den kann mau den Einzelnen nicht immer
geben, aber es ist möglich, überall so etwas wie einen Volksgeschmack zu schaffen
im Anschluß an das Altheimische, dem sich der Einzelne unterordnet. Da darf
mau jedoch nicht alle erhaltnen Schätze in die kunstgewerblichen Museen der
großen Städte schleppen, sondern muß etwas von ihnen an Ort und Stelle
lassen, damit es dem Volke nicht aus dem Sinn komme. Vielleicht schafft sich
einmal jede deutsche Landschaft ihr Musterbauernhaus, ihr eignes ethnographisch-
tulturgeschichtlich-kunstgewerbliches Museum.

Darin würden dann auch die alten Trachten Platz finden, soweit sie schon
untergegangen oder im Untergehen begriffen sind. Es bilden sich ja jetzt Ver¬
eine zur Erhaltung der Volkstrachten, so im Schwarzwald, und die Trachten¬
feste, die sie geben, mögen immer den Stolz auf die ererbte Tracht hie und
da wieder wecken; dennoch gewinnt die moderne Kleidung von Jahr zu Jahr
mehr Boden -- das hängt vor allem mit ihrer Billigkeit, also mit sozialen
Mißständen zusammen. Ein guter Beobachter des Volkslebens kann aber be¬
merken, daß sich auch die moderne Tracht gelegentlich wieder lokalisirt; der
rasche Wechsel der Mode wird auf dem Laude ja überhaupt nicht mitgemacht.
Wie tren z. B. hält man an dem roten Flanellrock, der in Otto Ludwigs
"Heiterethei" öfter erwähnt wird, den ich in meiner Jugend an der Nordsee
und im Mannesalter auf dem Schwarzwald fand.

Die alten Sitten kann man leider nicht ins Museum thun wie die Trachten,
aber doch aufzeichnen. Es waren gewiß auch Unsitte" dabei, und zum Teil
war der Büreaukratismus im Recht, wenn er sie unterdrückte. Aber oft ist
er auch läppisch und thöricht, ja brutal verfahren und hat nnr mit der Poesie
im Volksleben gründlich aufgeräumt. Seine Lust läßt sich das Volk aber
uicht rauben; heute haben wir weniger Poesie, aber mehr Leichtsinn, und wie
man behauptet, auch mehr Roheit bei deu Volksfesten. Sie find jetzt alle
über einen Leisten, die Gesangs-, Schützen-, Turm- und Fcuerwehrfeste wie die
Patriotischen. Ich habe das Sedcmfest im äußersten Norden wie im äußersten
Süden unsers Vaterlandes mitgefeiert -- es stimmte alles genau zusammen,


Heimat und volkstum

ihren hübschen Einrichtungen heute fast überall verschwunden, so kann man
dafür doch die Nachahmungen aller möglichen alten Tische, Stühle und Schränke
überall kaufen, und die „altdeutsche Trinkstube" findet man schon auf dem
Lande. Da der früher vorhcmdne Zusammenhang des „stilvollen" mit dem
Volkstum fehlt, so kommt einem freilich die ganze moderne Einrichtung oft
wie eine Maskerade vor, und wenn man in den großen Städten die Läden
mit den hunderterlei Gegenständen zum Zimmerschmuck sieht, von denen einer
genau so überflüssig ist wie der andre, so möchte man wenigstens eine Art
Kunstgewerbe für eine zwecklose Vergeudung deutscher Volkskraft erklären; aber
im ganzen kann man einen wirklichen Aufschwung doch nicht leugnen, etwas
lebendiger und bunter sehe» unsre Stuben schon wieder aus, es fehlt nur viel¬
fach noch der gute Geschmack. Den kann mau den Einzelnen nicht immer
geben, aber es ist möglich, überall so etwas wie einen Volksgeschmack zu schaffen
im Anschluß an das Altheimische, dem sich der Einzelne unterordnet. Da darf
mau jedoch nicht alle erhaltnen Schätze in die kunstgewerblichen Museen der
großen Städte schleppen, sondern muß etwas von ihnen an Ort und Stelle
lassen, damit es dem Volke nicht aus dem Sinn komme. Vielleicht schafft sich
einmal jede deutsche Landschaft ihr Musterbauernhaus, ihr eignes ethnographisch-
tulturgeschichtlich-kunstgewerbliches Museum.

Darin würden dann auch die alten Trachten Platz finden, soweit sie schon
untergegangen oder im Untergehen begriffen sind. Es bilden sich ja jetzt Ver¬
eine zur Erhaltung der Volkstrachten, so im Schwarzwald, und die Trachten¬
feste, die sie geben, mögen immer den Stolz auf die ererbte Tracht hie und
da wieder wecken; dennoch gewinnt die moderne Kleidung von Jahr zu Jahr
mehr Boden — das hängt vor allem mit ihrer Billigkeit, also mit sozialen
Mißständen zusammen. Ein guter Beobachter des Volkslebens kann aber be¬
merken, daß sich auch die moderne Tracht gelegentlich wieder lokalisirt; der
rasche Wechsel der Mode wird auf dem Laude ja überhaupt nicht mitgemacht.
Wie tren z. B. hält man an dem roten Flanellrock, der in Otto Ludwigs
„Heiterethei" öfter erwähnt wird, den ich in meiner Jugend an der Nordsee
und im Mannesalter auf dem Schwarzwald fand.

Die alten Sitten kann man leider nicht ins Museum thun wie die Trachten,
aber doch aufzeichnen. Es waren gewiß auch Unsitte» dabei, und zum Teil
war der Büreaukratismus im Recht, wenn er sie unterdrückte. Aber oft ist
er auch läppisch und thöricht, ja brutal verfahren und hat nnr mit der Poesie
im Volksleben gründlich aufgeräumt. Seine Lust läßt sich das Volk aber
uicht rauben; heute haben wir weniger Poesie, aber mehr Leichtsinn, und wie
man behauptet, auch mehr Roheit bei deu Volksfesten. Sie find jetzt alle
über einen Leisten, die Gesangs-, Schützen-, Turm- und Fcuerwehrfeste wie die
Patriotischen. Ich habe das Sedcmfest im äußersten Norden wie im äußersten
Süden unsers Vaterlandes mitgefeiert — es stimmte alles genau zusammen,


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[0284] Heimat und volkstum ihren hübschen Einrichtungen heute fast überall verschwunden, so kann man dafür doch die Nachahmungen aller möglichen alten Tische, Stühle und Schränke überall kaufen, und die „altdeutsche Trinkstube" findet man schon auf dem Lande. Da der früher vorhcmdne Zusammenhang des „stilvollen" mit dem Volkstum fehlt, so kommt einem freilich die ganze moderne Einrichtung oft wie eine Maskerade vor, und wenn man in den großen Städten die Läden mit den hunderterlei Gegenständen zum Zimmerschmuck sieht, von denen einer genau so überflüssig ist wie der andre, so möchte man wenigstens eine Art Kunstgewerbe für eine zwecklose Vergeudung deutscher Volkskraft erklären; aber im ganzen kann man einen wirklichen Aufschwung doch nicht leugnen, etwas lebendiger und bunter sehe» unsre Stuben schon wieder aus, es fehlt nur viel¬ fach noch der gute Geschmack. Den kann mau den Einzelnen nicht immer geben, aber es ist möglich, überall so etwas wie einen Volksgeschmack zu schaffen im Anschluß an das Altheimische, dem sich der Einzelne unterordnet. Da darf mau jedoch nicht alle erhaltnen Schätze in die kunstgewerblichen Museen der großen Städte schleppen, sondern muß etwas von ihnen an Ort und Stelle lassen, damit es dem Volke nicht aus dem Sinn komme. Vielleicht schafft sich einmal jede deutsche Landschaft ihr Musterbauernhaus, ihr eignes ethnographisch- tulturgeschichtlich-kunstgewerbliches Museum. Darin würden dann auch die alten Trachten Platz finden, soweit sie schon untergegangen oder im Untergehen begriffen sind. Es bilden sich ja jetzt Ver¬ eine zur Erhaltung der Volkstrachten, so im Schwarzwald, und die Trachten¬ feste, die sie geben, mögen immer den Stolz auf die ererbte Tracht hie und da wieder wecken; dennoch gewinnt die moderne Kleidung von Jahr zu Jahr mehr Boden — das hängt vor allem mit ihrer Billigkeit, also mit sozialen Mißständen zusammen. Ein guter Beobachter des Volkslebens kann aber be¬ merken, daß sich auch die moderne Tracht gelegentlich wieder lokalisirt; der rasche Wechsel der Mode wird auf dem Laude ja überhaupt nicht mitgemacht. Wie tren z. B. hält man an dem roten Flanellrock, der in Otto Ludwigs „Heiterethei" öfter erwähnt wird, den ich in meiner Jugend an der Nordsee und im Mannesalter auf dem Schwarzwald fand. Die alten Sitten kann man leider nicht ins Museum thun wie die Trachten, aber doch aufzeichnen. Es waren gewiß auch Unsitte» dabei, und zum Teil war der Büreaukratismus im Recht, wenn er sie unterdrückte. Aber oft ist er auch läppisch und thöricht, ja brutal verfahren und hat nnr mit der Poesie im Volksleben gründlich aufgeräumt. Seine Lust läßt sich das Volk aber uicht rauben; heute haben wir weniger Poesie, aber mehr Leichtsinn, und wie man behauptet, auch mehr Roheit bei deu Volksfesten. Sie find jetzt alle über einen Leisten, die Gesangs-, Schützen-, Turm- und Fcuerwehrfeste wie die Patriotischen. Ich habe das Sedcmfest im äußersten Norden wie im äußersten Süden unsers Vaterlandes mitgefeiert — es stimmte alles genau zusammen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/284>, abgerufen am 02.07.2024.