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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Auiist und Polizei

dung genügte. Für die lyrische Dichtung und das Gebiet des Humors war
der Gebrauch des Dialekts in vielen Fällen so lange geradezu unvermeidlich,
als noch ein ungebrochnes heimisches Volkstum bestand, und die Klaus Groth
und Reuter, die Anzengruber und Rosegger traten meiner Ansicht nach gerade
da mit Notwendigkeit hervor, als es leise zu bröckeln anfing. Solange es
noch ein Heimatgefühl in Deutschland giebt, werden die Werke, die mit Not¬
wendigkeit im Dialekt geschrieben sind, auch sicher dauern, aber neben der
hochdeutschen Nationallittcratur noch verhältnismäßig selbständige Litteraturen
im Dialekt zu unterhalten, dazu reicht die talentebildende Kraft des deutschen
Volkes nicht aus, und so mag man sich denn begnügen, die vvrhandne gute
Dinlektlitteratnr -- es giebt auch viel schwaches Zeug darunter -- noch mehr,
als es bisher geschehen ist, im Volke zu verbreiten.

(Schluß folgt)




Kunst und Polizei
Konrcid Tciiige l)c>"

MKMn der ersten Kunststadt Deutschlands, in München, haben sich vor
einigen Wochen zwei Dinge ereignet, die für unser modernes
Kunstleben zu charakteristisch sind, als daß die Grenzboten daran
mit Stillschweigen vorübergehen dürften. Das eine Ereignis
spielte sich in dem Atelier eines Bildhauers ab, das andre im
königlichen Kupferstichkabinett.

Im Kupferstichkabinett befand sich nnter den zur allgemeinen Besichtigung
aufgehängten Blättern die bekannte Nadirung eines männlichen Aktes von
Karl Stcmffer, wie alle Radirungen dieses leider zu früh verstorbnen begabten
Künstlers ein wunderbar naturalistisches und deshalb rein künstlerisch wirkendes
Blatt. Es ist ja klar, daß eine nackte menschliche Gestalt in der Kunst um so
reiner und unverfänglicher wirken muß, je ernster und aufrichtiger das na¬
turalistische Studium ist, das sich in ihrer Darstellung bekundet. Der Genuß,
den der Beschauer an einer solchen Arbeit hat, ist eben rein künstlerischer Art
und schließt deshalb, und je großer er ist, um so mehr, jeden unlautern
Nebengedanken aus. Darum ist auch in den großen Blütezeiten der Kunst,
besonders in der Antike und in der italienischen Renaissance, die Darstellung


Auiist und Polizei

dung genügte. Für die lyrische Dichtung und das Gebiet des Humors war
der Gebrauch des Dialekts in vielen Fällen so lange geradezu unvermeidlich,
als noch ein ungebrochnes heimisches Volkstum bestand, und die Klaus Groth
und Reuter, die Anzengruber und Rosegger traten meiner Ansicht nach gerade
da mit Notwendigkeit hervor, als es leise zu bröckeln anfing. Solange es
noch ein Heimatgefühl in Deutschland giebt, werden die Werke, die mit Not¬
wendigkeit im Dialekt geschrieben sind, auch sicher dauern, aber neben der
hochdeutschen Nationallittcratur noch verhältnismäßig selbständige Litteraturen
im Dialekt zu unterhalten, dazu reicht die talentebildende Kraft des deutschen
Volkes nicht aus, und so mag man sich denn begnügen, die vvrhandne gute
Dinlektlitteratnr — es giebt auch viel schwaches Zeug darunter — noch mehr,
als es bisher geschehen ist, im Volke zu verbreiten.

(Schluß folgt)




Kunst und Polizei
Konrcid Tciiige l)c>»

MKMn der ersten Kunststadt Deutschlands, in München, haben sich vor
einigen Wochen zwei Dinge ereignet, die für unser modernes
Kunstleben zu charakteristisch sind, als daß die Grenzboten daran
mit Stillschweigen vorübergehen dürften. Das eine Ereignis
spielte sich in dem Atelier eines Bildhauers ab, das andre im
königlichen Kupferstichkabinett.

Im Kupferstichkabinett befand sich nnter den zur allgemeinen Besichtigung
aufgehängten Blättern die bekannte Nadirung eines männlichen Aktes von
Karl Stcmffer, wie alle Radirungen dieses leider zu früh verstorbnen begabten
Künstlers ein wunderbar naturalistisches und deshalb rein künstlerisch wirkendes
Blatt. Es ist ja klar, daß eine nackte menschliche Gestalt in der Kunst um so
reiner und unverfänglicher wirken muß, je ernster und aufrichtiger das na¬
turalistische Studium ist, das sich in ihrer Darstellung bekundet. Der Genuß,
den der Beschauer an einer solchen Arbeit hat, ist eben rein künstlerischer Art
und schließt deshalb, und je großer er ist, um so mehr, jeden unlautern
Nebengedanken aus. Darum ist auch in den großen Blütezeiten der Kunst,
besonders in der Antike und in der italienischen Renaissance, die Darstellung


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[0232] Auiist und Polizei dung genügte. Für die lyrische Dichtung und das Gebiet des Humors war der Gebrauch des Dialekts in vielen Fällen so lange geradezu unvermeidlich, als noch ein ungebrochnes heimisches Volkstum bestand, und die Klaus Groth und Reuter, die Anzengruber und Rosegger traten meiner Ansicht nach gerade da mit Notwendigkeit hervor, als es leise zu bröckeln anfing. Solange es noch ein Heimatgefühl in Deutschland giebt, werden die Werke, die mit Not¬ wendigkeit im Dialekt geschrieben sind, auch sicher dauern, aber neben der hochdeutschen Nationallittcratur noch verhältnismäßig selbständige Litteraturen im Dialekt zu unterhalten, dazu reicht die talentebildende Kraft des deutschen Volkes nicht aus, und so mag man sich denn begnügen, die vvrhandne gute Dinlektlitteratnr — es giebt auch viel schwaches Zeug darunter — noch mehr, als es bisher geschehen ist, im Volke zu verbreiten. (Schluß folgt) Kunst und Polizei Konrcid Tciiige l)c>» MKMn der ersten Kunststadt Deutschlands, in München, haben sich vor einigen Wochen zwei Dinge ereignet, die für unser modernes Kunstleben zu charakteristisch sind, als daß die Grenzboten daran mit Stillschweigen vorübergehen dürften. Das eine Ereignis spielte sich in dem Atelier eines Bildhauers ab, das andre im königlichen Kupferstichkabinett. Im Kupferstichkabinett befand sich nnter den zur allgemeinen Besichtigung aufgehängten Blättern die bekannte Nadirung eines männlichen Aktes von Karl Stcmffer, wie alle Radirungen dieses leider zu früh verstorbnen begabten Künstlers ein wunderbar naturalistisches und deshalb rein künstlerisch wirkendes Blatt. Es ist ja klar, daß eine nackte menschliche Gestalt in der Kunst um so reiner und unverfänglicher wirken muß, je ernster und aufrichtiger das na¬ turalistische Studium ist, das sich in ihrer Darstellung bekundet. Der Genuß, den der Beschauer an einer solchen Arbeit hat, ist eben rein künstlerischer Art und schließt deshalb, und je großer er ist, um so mehr, jeden unlautern Nebengedanken aus. Darum ist auch in den großen Blütezeiten der Kunst, besonders in der Antike und in der italienischen Renaissance, die Darstellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/232>, abgerufen am 24.07.2024.