Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Prügelstrafe in der Volksschule

berg. (Die Juristen kümmern sich übrigens durchweg nicht um diese Bestim¬
mung.) Nun hat es schon etwas Gefährliches, eine oberste Grenze in solcher
Höhe festzusetzen, sie wird gar zu leicht zum Durchschnitt. Das Erlaubte faßt
man als das Gehörige, das für ganz außergewöhnliche Vergehen Bestimmte
als das immer und jeweilig Passende, zumal wo jede Kontrolle fehlt. Und
ist eine solche Strafe nicht wirklich brutal, für ein zartes Kind unerhört
grausam? Nämlich so, wie sie wirklich vollstreckt wird, mit solcher Heftigkeit,
solchen Zuchtinstrumenten, nicht wie sie vollstreckt werden könnte. Bei keiner
Frage ist Prinzipienreiterei weniger angebracht als bei dieser. Züchtigung und
Züchtigung ist zweierlei, und Körperstrafen überhaupt für grausam zu erklären,
wäre lächerliche Sentimentalität. (Etwas andres ist die Frage, ob wir unsern
Lehrern eine so verantwortungsvolle Gewalt anvertrauen können.) Ein Kind,
dem die Mutter für seine Unart ein paar Schläge giebt, wird das trotz des
Schmerzes durchaus in der Ordnung finden und der Mutter keinen Augenblick
darob zürnen, vorausgesetzt, daß die Strafe gerecht und -- leicht war. Fenelon
fagt: "Die Körperstrafe muß möglichst leicht und mit Umständen verbunden
sein, die das Kind mit Scham und Reue erfüllen." Statt dessen greift in
den Schulen immermehr die Unsitte platz, die Strafen so zu bemessen, wie sie
gerade noch ohne Gesundheitsschüdigung ertragen werden können. Ein raffi-
nirter Schultyrann kann seinen Kindern das Leben bis aufs Blut verbittern,
sie zu jammervollen, menschenscheuen Geschöpfen herabwürdigen, ohne daß er
strafrechtlich saßbnr ist. Die Schläge auf die Hand -- eine Strafart, die na¬
mentlich Mädchen gegenüber angewandt wird -- sind äußerst schmerzhaft,
zumal da bei mehreren Schlägen fast dieselbe Stelle getroffen wird.") Einem
fühlenden Menschen kehrt sich das Herz um bei der bloßen Vorstellung, daß
die innere Handfläche eines Kindes mit ihrem zarten Nervengewebe mit dem
Rohrstock geschlagen wird! Was die andre Strafart betrifft, so ist sie viel¬
leicht weniger schädlich, dafür aber unanständig, gemein und läppisch. Ein
Kind, dem diese Schande angethan wird, wird nie wieder mit Achtung und
Vertrauen zu seinem Lehrer ausblicken. Ein Lehrer, der Menschenwürde in
seinen Pflegebefohlnen wecken will, wird nie zu einer solchen Strafe greifen.

Und damit nähern wir uns bereits dem seelischen Gebiet, den schweren
Nachteilen für die Charakterbildung, die die körperliche Züchtigung mit sich
bringt. Dostojewski.) sagt in seinem erschütternden -- nicht Roman, sondern
aus Selbsterlebnissen in Sibirien geschöpften Buch "Das tote Haus": "Die
körperliche Züchtigung ist eine Wunde der Gesellschaft, ist eines der kräftigsten
Mittel, um in ihr jeden Keim, jeden Versuch zum Bürgertum zu vernichten,
ist eine vollständige genügende Ursache zu ihrer unfehlbaren und unabwend-



*) Noch im Anfang des Jahrhunderts war diese rohe Strafart nicht gestattet. Ein Bay-
ther Lehrer wurde von der Negierung von Oberfranken deswegen verwarnt.
Die Prügelstrafe in der Volksschule

berg. (Die Juristen kümmern sich übrigens durchweg nicht um diese Bestim¬
mung.) Nun hat es schon etwas Gefährliches, eine oberste Grenze in solcher
Höhe festzusetzen, sie wird gar zu leicht zum Durchschnitt. Das Erlaubte faßt
man als das Gehörige, das für ganz außergewöhnliche Vergehen Bestimmte
als das immer und jeweilig Passende, zumal wo jede Kontrolle fehlt. Und
ist eine solche Strafe nicht wirklich brutal, für ein zartes Kind unerhört
grausam? Nämlich so, wie sie wirklich vollstreckt wird, mit solcher Heftigkeit,
solchen Zuchtinstrumenten, nicht wie sie vollstreckt werden könnte. Bei keiner
Frage ist Prinzipienreiterei weniger angebracht als bei dieser. Züchtigung und
Züchtigung ist zweierlei, und Körperstrafen überhaupt für grausam zu erklären,
wäre lächerliche Sentimentalität. (Etwas andres ist die Frage, ob wir unsern
Lehrern eine so verantwortungsvolle Gewalt anvertrauen können.) Ein Kind,
dem die Mutter für seine Unart ein paar Schläge giebt, wird das trotz des
Schmerzes durchaus in der Ordnung finden und der Mutter keinen Augenblick
darob zürnen, vorausgesetzt, daß die Strafe gerecht und — leicht war. Fenelon
fagt: „Die Körperstrafe muß möglichst leicht und mit Umständen verbunden
sein, die das Kind mit Scham und Reue erfüllen." Statt dessen greift in
den Schulen immermehr die Unsitte platz, die Strafen so zu bemessen, wie sie
gerade noch ohne Gesundheitsschüdigung ertragen werden können. Ein raffi-
nirter Schultyrann kann seinen Kindern das Leben bis aufs Blut verbittern,
sie zu jammervollen, menschenscheuen Geschöpfen herabwürdigen, ohne daß er
strafrechtlich saßbnr ist. Die Schläge auf die Hand — eine Strafart, die na¬
mentlich Mädchen gegenüber angewandt wird — sind äußerst schmerzhaft,
zumal da bei mehreren Schlägen fast dieselbe Stelle getroffen wird.") Einem
fühlenden Menschen kehrt sich das Herz um bei der bloßen Vorstellung, daß
die innere Handfläche eines Kindes mit ihrem zarten Nervengewebe mit dem
Rohrstock geschlagen wird! Was die andre Strafart betrifft, so ist sie viel¬
leicht weniger schädlich, dafür aber unanständig, gemein und läppisch. Ein
Kind, dem diese Schande angethan wird, wird nie wieder mit Achtung und
Vertrauen zu seinem Lehrer ausblicken. Ein Lehrer, der Menschenwürde in
seinen Pflegebefohlnen wecken will, wird nie zu einer solchen Strafe greifen.

Und damit nähern wir uns bereits dem seelischen Gebiet, den schweren
Nachteilen für die Charakterbildung, die die körperliche Züchtigung mit sich
bringt. Dostojewski.) sagt in seinem erschütternden — nicht Roman, sondern
aus Selbsterlebnissen in Sibirien geschöpften Buch „Das tote Haus": „Die
körperliche Züchtigung ist eine Wunde der Gesellschaft, ist eines der kräftigsten
Mittel, um in ihr jeden Keim, jeden Versuch zum Bürgertum zu vernichten,
ist eine vollständige genügende Ursache zu ihrer unfehlbaren und unabwend-



*) Noch im Anfang des Jahrhunderts war diese rohe Strafart nicht gestattet. Ein Bay-
ther Lehrer wurde von der Negierung von Oberfranken deswegen verwarnt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220999"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Prügelstrafe in der Volksschule</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_39" prev="#ID_38"> berg. (Die Juristen kümmern sich übrigens durchweg nicht um diese Bestim¬<lb/>
mung.) Nun hat es schon etwas Gefährliches, eine oberste Grenze in solcher<lb/>
Höhe festzusetzen, sie wird gar zu leicht zum Durchschnitt. Das Erlaubte faßt<lb/>
man als das Gehörige, das für ganz außergewöhnliche Vergehen Bestimmte<lb/>
als das immer und jeweilig Passende, zumal wo jede Kontrolle fehlt. Und<lb/>
ist eine solche Strafe nicht wirklich brutal, für ein zartes Kind unerhört<lb/>
grausam? Nämlich so, wie sie wirklich vollstreckt wird, mit solcher Heftigkeit,<lb/>
solchen Zuchtinstrumenten, nicht wie sie vollstreckt werden könnte. Bei keiner<lb/>
Frage ist Prinzipienreiterei weniger angebracht als bei dieser. Züchtigung und<lb/>
Züchtigung ist zweierlei, und Körperstrafen überhaupt für grausam zu erklären,<lb/>
wäre lächerliche Sentimentalität. (Etwas andres ist die Frage, ob wir unsern<lb/>
Lehrern eine so verantwortungsvolle Gewalt anvertrauen können.) Ein Kind,<lb/>
dem die Mutter für seine Unart ein paar Schläge giebt, wird das trotz des<lb/>
Schmerzes durchaus in der Ordnung finden und der Mutter keinen Augenblick<lb/>
darob zürnen, vorausgesetzt, daß die Strafe gerecht und &#x2014; leicht war. Fenelon<lb/>
fagt: &#x201E;Die Körperstrafe muß möglichst leicht und mit Umständen verbunden<lb/>
sein, die das Kind mit Scham und Reue erfüllen." Statt dessen greift in<lb/>
den Schulen immermehr die Unsitte platz, die Strafen so zu bemessen, wie sie<lb/>
gerade noch ohne Gesundheitsschüdigung ertragen werden können. Ein raffi-<lb/>
nirter Schultyrann kann seinen Kindern das Leben bis aufs Blut verbittern,<lb/>
sie zu jammervollen, menschenscheuen Geschöpfen herabwürdigen, ohne daß er<lb/>
strafrechtlich saßbnr ist. Die Schläge auf die Hand &#x2014; eine Strafart, die na¬<lb/>
mentlich Mädchen gegenüber angewandt wird &#x2014; sind äußerst schmerzhaft,<lb/>
zumal da bei mehreren Schlägen fast dieselbe Stelle getroffen wird.") Einem<lb/>
fühlenden Menschen kehrt sich das Herz um bei der bloßen Vorstellung, daß<lb/>
die innere Handfläche eines Kindes mit ihrem zarten Nervengewebe mit dem<lb/>
Rohrstock geschlagen wird! Was die andre Strafart betrifft, so ist sie viel¬<lb/>
leicht weniger schädlich, dafür aber unanständig, gemein und läppisch. Ein<lb/>
Kind, dem diese Schande angethan wird, wird nie wieder mit Achtung und<lb/>
Vertrauen zu seinem Lehrer ausblicken. Ein Lehrer, der Menschenwürde in<lb/>
seinen Pflegebefohlnen wecken will, wird nie zu einer solchen Strafe greifen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_40" next="#ID_41"> Und damit nähern wir uns bereits dem seelischen Gebiet, den schweren<lb/>
Nachteilen für die Charakterbildung, die die körperliche Züchtigung mit sich<lb/>
bringt. Dostojewski.) sagt in seinem erschütternden &#x2014; nicht Roman, sondern<lb/>
aus Selbsterlebnissen in Sibirien geschöpften Buch &#x201E;Das tote Haus": &#x201E;Die<lb/>
körperliche Züchtigung ist eine Wunde der Gesellschaft, ist eines der kräftigsten<lb/>
Mittel, um in ihr jeden Keim, jeden Versuch zum Bürgertum zu vernichten,<lb/>
ist eine vollständige genügende Ursache zu ihrer unfehlbaren und unabwend-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_2" place="foot"> *) Noch im Anfang des Jahrhunderts war diese rohe Strafart nicht gestattet. Ein Bay-<lb/>
ther Lehrer wurde von der Negierung von Oberfranken deswegen verwarnt.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0023] Die Prügelstrafe in der Volksschule berg. (Die Juristen kümmern sich übrigens durchweg nicht um diese Bestim¬ mung.) Nun hat es schon etwas Gefährliches, eine oberste Grenze in solcher Höhe festzusetzen, sie wird gar zu leicht zum Durchschnitt. Das Erlaubte faßt man als das Gehörige, das für ganz außergewöhnliche Vergehen Bestimmte als das immer und jeweilig Passende, zumal wo jede Kontrolle fehlt. Und ist eine solche Strafe nicht wirklich brutal, für ein zartes Kind unerhört grausam? Nämlich so, wie sie wirklich vollstreckt wird, mit solcher Heftigkeit, solchen Zuchtinstrumenten, nicht wie sie vollstreckt werden könnte. Bei keiner Frage ist Prinzipienreiterei weniger angebracht als bei dieser. Züchtigung und Züchtigung ist zweierlei, und Körperstrafen überhaupt für grausam zu erklären, wäre lächerliche Sentimentalität. (Etwas andres ist die Frage, ob wir unsern Lehrern eine so verantwortungsvolle Gewalt anvertrauen können.) Ein Kind, dem die Mutter für seine Unart ein paar Schläge giebt, wird das trotz des Schmerzes durchaus in der Ordnung finden und der Mutter keinen Augenblick darob zürnen, vorausgesetzt, daß die Strafe gerecht und — leicht war. Fenelon fagt: „Die Körperstrafe muß möglichst leicht und mit Umständen verbunden sein, die das Kind mit Scham und Reue erfüllen." Statt dessen greift in den Schulen immermehr die Unsitte platz, die Strafen so zu bemessen, wie sie gerade noch ohne Gesundheitsschüdigung ertragen werden können. Ein raffi- nirter Schultyrann kann seinen Kindern das Leben bis aufs Blut verbittern, sie zu jammervollen, menschenscheuen Geschöpfen herabwürdigen, ohne daß er strafrechtlich saßbnr ist. Die Schläge auf die Hand — eine Strafart, die na¬ mentlich Mädchen gegenüber angewandt wird — sind äußerst schmerzhaft, zumal da bei mehreren Schlägen fast dieselbe Stelle getroffen wird.") Einem fühlenden Menschen kehrt sich das Herz um bei der bloßen Vorstellung, daß die innere Handfläche eines Kindes mit ihrem zarten Nervengewebe mit dem Rohrstock geschlagen wird! Was die andre Strafart betrifft, so ist sie viel¬ leicht weniger schädlich, dafür aber unanständig, gemein und läppisch. Ein Kind, dem diese Schande angethan wird, wird nie wieder mit Achtung und Vertrauen zu seinem Lehrer ausblicken. Ein Lehrer, der Menschenwürde in seinen Pflegebefohlnen wecken will, wird nie zu einer solchen Strafe greifen. Und damit nähern wir uns bereits dem seelischen Gebiet, den schweren Nachteilen für die Charakterbildung, die die körperliche Züchtigung mit sich bringt. Dostojewski.) sagt in seinem erschütternden — nicht Roman, sondern aus Selbsterlebnissen in Sibirien geschöpften Buch „Das tote Haus": „Die körperliche Züchtigung ist eine Wunde der Gesellschaft, ist eines der kräftigsten Mittel, um in ihr jeden Keim, jeden Versuch zum Bürgertum zu vernichten, ist eine vollständige genügende Ursache zu ihrer unfehlbaren und unabwend- *) Noch im Anfang des Jahrhunderts war diese rohe Strafart nicht gestattet. Ein Bay- ther Lehrer wurde von der Negierung von Oberfranken deswegen verwarnt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/23
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/23>, abgerufen am 25.08.2024.