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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Das Alte Testament und der Dichter des Heliand

sondern daß ihn auch eigne Flügel trügen, wenn ihn ein aus der heimischen
Dichtung und Sage vertrautes Ziel lockte. Muspilli und Rognarök (wie sie
die Völuspa erzählt) drängten sich vielleicht in seine Erinnerung, und das
Erbe einer in der Schilderung alles Furchtbaren und Gewaltige" wohlgeübten
heimischen Dichtersprache bot seine wirkungsvollen Stilmittel dar. Mit diesem
Schatz in Kopf und Herzen sang er nun vom Untergang Sodvms und Gv-
morrhas so:

Der Schluß dieses Abschnitts berichtet von der Verwandlung von Loth
Frau in eine Salzsäule. Einem Dichter, der gern mit starken Schlußeffekteu
oder anschaulichen, dem Gedächtnis sich einprägenden und in die Zukunft
weihenden Bildern arbeitet, wird sich dieses Ereignis von vornherein als der
glücklichste Abschluß der ganzen Schilderung empfohlen haben. Auch hier ist
die Darstellung wieder bedeutend erweitert und ausgeschmückt. Zeit, Situation,
Grund und Ursache des Anschauens werden angegeben, und Loth adliche Frau
wird uns als ein aus Gutem -- den" Act^lboisn setzt für den Germanen auch
eine edle Gesinnung voraus -- und Bösem gemischter Charakter näher ge¬
bracht: ihr Schicksal rührt uus mit etwas wie tragischen Mitleid:

Mit diesen Versen enden die nen aufgefundnen altsüchsischeu Gencsisbruch-
stncke; die Geschichte Loth und seiner Töchter wird nicht weiter verfolgt. Und
schwerlich hat auch ein in der verloren gegangnen Gesamtdichtung vielleicht
folgender Teil Lot wieder eingeführt. Wer die schmutzigen Sünden der Sodo-
miter überging, mußte die schamlose, blutschänderische Unzucht, die Loth Töchter
mit ihrem trunken gemachten Vater treiben, erst recht verschweigen. Auch sonst


(Äreuzboteu IV 1895 J5>
Das Alte Testament und der Dichter des Heliand

sondern daß ihn auch eigne Flügel trügen, wenn ihn ein aus der heimischen
Dichtung und Sage vertrautes Ziel lockte. Muspilli und Rognarök (wie sie
die Völuspa erzählt) drängten sich vielleicht in seine Erinnerung, und das
Erbe einer in der Schilderung alles Furchtbaren und Gewaltige» wohlgeübten
heimischen Dichtersprache bot seine wirkungsvollen Stilmittel dar. Mit diesem
Schatz in Kopf und Herzen sang er nun vom Untergang Sodvms und Gv-
morrhas so:

Der Schluß dieses Abschnitts berichtet von der Verwandlung von Loth
Frau in eine Salzsäule. Einem Dichter, der gern mit starken Schlußeffekteu
oder anschaulichen, dem Gedächtnis sich einprägenden und in die Zukunft
weihenden Bildern arbeitet, wird sich dieses Ereignis von vornherein als der
glücklichste Abschluß der ganzen Schilderung empfohlen haben. Auch hier ist
die Darstellung wieder bedeutend erweitert und ausgeschmückt. Zeit, Situation,
Grund und Ursache des Anschauens werden angegeben, und Loth adliche Frau
wird uns als ein aus Gutem — den» Act^lboisn setzt für den Germanen auch
eine edle Gesinnung voraus — und Bösem gemischter Charakter näher ge¬
bracht: ihr Schicksal rührt uus mit etwas wie tragischen Mitleid:

Mit diesen Versen enden die nen aufgefundnen altsüchsischeu Gencsisbruch-
stncke; die Geschichte Loth und seiner Töchter wird nicht weiter verfolgt. Und
schwerlich hat auch ein in der verloren gegangnen Gesamtdichtung vielleicht
folgender Teil Lot wieder eingeführt. Wer die schmutzigen Sünden der Sodo-
miter überging, mußte die schamlose, blutschänderische Unzucht, die Loth Töchter
mit ihrem trunken gemachten Vater treiben, erst recht verschweigen. Auch sonst


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[0201] Das Alte Testament und der Dichter des Heliand sondern daß ihn auch eigne Flügel trügen, wenn ihn ein aus der heimischen Dichtung und Sage vertrautes Ziel lockte. Muspilli und Rognarök (wie sie die Völuspa erzählt) drängten sich vielleicht in seine Erinnerung, und das Erbe einer in der Schilderung alles Furchtbaren und Gewaltige» wohlgeübten heimischen Dichtersprache bot seine wirkungsvollen Stilmittel dar. Mit diesem Schatz in Kopf und Herzen sang er nun vom Untergang Sodvms und Gv- morrhas so: Der Schluß dieses Abschnitts berichtet von der Verwandlung von Loth Frau in eine Salzsäule. Einem Dichter, der gern mit starken Schlußeffekteu oder anschaulichen, dem Gedächtnis sich einprägenden und in die Zukunft weihenden Bildern arbeitet, wird sich dieses Ereignis von vornherein als der glücklichste Abschluß der ganzen Schilderung empfohlen haben. Auch hier ist die Darstellung wieder bedeutend erweitert und ausgeschmückt. Zeit, Situation, Grund und Ursache des Anschauens werden angegeben, und Loth adliche Frau wird uns als ein aus Gutem — den» Act^lboisn setzt für den Germanen auch eine edle Gesinnung voraus — und Bösem gemischter Charakter näher ge¬ bracht: ihr Schicksal rührt uus mit etwas wie tragischen Mitleid: Mit diesen Versen enden die nen aufgefundnen altsüchsischeu Gencsisbruch- stncke; die Geschichte Loth und seiner Töchter wird nicht weiter verfolgt. Und schwerlich hat auch ein in der verloren gegangnen Gesamtdichtung vielleicht folgender Teil Lot wieder eingeführt. Wer die schmutzigen Sünden der Sodo- miter überging, mußte die schamlose, blutschänderische Unzucht, die Loth Töchter mit ihrem trunken gemachten Vater treiben, erst recht verschweigen. Auch sonst (Äreuzboteu IV 1895 J5>

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/201>, abgerufen am 21.10.2024.