Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.Das Alte Testament >ab der Dichter des Heliand er zur Seite seines Herrn standhalte, ohne zu wanken, für ihn freiwillig sterbe. Deutsch und volkstümlich wie diese Ailffnssung und Darstellungsart ist Das Alte Testament >ab der Dichter des Heliand er zur Seite seines Herrn standhalte, ohne zu wanken, für ihn freiwillig sterbe. Deutsch und volkstümlich wie diese Ailffnssung und Darstellungsart ist <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/221165"/> <fw type="header" place="top"> Das Alte Testament >ab der Dichter des Heliand</fw><lb/> <p xml:id="ID_578" prev="#ID_577"> er zur Seite seines Herrn standhalte, ohne zu wanken, für ihn freiwillig sterbe.<lb/> Denn mir wenn wir vor dem Feinde mit unserm Herrn sterben, dann folgt<lb/> uns Ehre nach, guter Leumund unter den Leuten." Das ist gewiß ein echtes<lb/> Echo jener rühmenden Worte deS Tacitus über germanische Gefolgstreue:<lb/> „Schimpf und Schande fürs ganze Leben bedeutet es ihnen, seinen Führer<lb/> vor dem Feinde verlieren und selber lebend heimkommen." Als nun aber die<lb/> Jünger ihren Herrn endlich doch verlassen (Matth. 26, 56), da sucht der Ger¬<lb/> mane, dem solcher Treubruch unerhört war, ängstlich nach einer Erklärung,<lb/> um die Fliehenden nicht der Verachtung seiner Hörer preiszugeben: „Es war<lb/> lange vorher der Wahrsager Wort, entschuldigt er sie, daß es so geschehen<lb/> sollte, deshalb konnten sie es nicht vermeiden." Auch bei Petri Verleumdung<lb/> war der geraden Seele des Dichters offenbar nicht wohl, wie sein gewundner<lb/> Ausdruck verrät; aber mit frohem Behagen verweilt er bei der einzigen Streit¬<lb/> szene, die das Neue Testament bietet, wie derselbe Petrus seinen Herrn mit<lb/> dem Schwerte verteidigt und dem Malchus ein Ohr nbhaut. Daß Christus,<lb/> der mächtige Volkskönig (eiiniiiZ'o rllcLüst. oder erg-ltigost) demütig ans einer<lb/> Eselin seinen Einzug in Jerusalem hielt, wollte ihm auch nicht in den Kopf,<lb/> weshalb er diesen Zug als zu würdelos einfach unterdrückt; desto wohler sühlt<lb/> er sich bei der Schilderung der Hochzeit zu Kana, wo er die altgermanische<lb/> Frende an einem tüchtigen Trunk in der außerordentlich lebendigen und glück¬<lb/> lichen Ausmalung des Gelages sich genugthun läßt. Auch die Natur des<lb/> heiligen Landes muß sich dem Klima der Heimat anpassen; deutlich merkt man,<lb/> daß sich über diese deutsche Evangeliencrzählung ein rauherer Himmel spannt<lb/> als über Galiläa und Samaria, und beim Fischzug und Seesturm spürt man<lb/> einen kräftigen Hauch jener niederdeutschen Nordseebrise, die durch unsre Gudrun<lb/> weht. Ja selbst von dem alten Laube des Heidentums sitzen noch einige Blätter<lb/> an den frischbegrünten Zweigen: noch schimmert der Glaube an mehrere Götter<lb/> durch, die Seelen der gestorbnen Helden fahren in Hels lichtes Reich, in die<lb/> strahlenden Wohnungen, die grüne Ane Gottes, und der Engel vom Himmel<lb/> kommt in dem Federhemde Lokis oder der Schwanenjuugfraneu.</p><lb/> <p xml:id="ID_579" next="#ID_580"> Deutsch und volkstümlich wie diese Ailffnssung und Darstellungsart ist<lb/> auch die Form des Heliand. Das kennzeichnende Merkmal unsrer ältesten<lb/> deutschen Dichtungen ist der Stabreim, d. h. der gleiche Anklang der sinn¬<lb/> schweren Wörter einer Zeile, wie es sich unter der Herrschaft des immer die<lb/> Anfaugssilbe betonenden germanischen Accents ausbildete. Alle Vokale gelten<lb/> dabei für alliterirenden Gleichklang, weil man vor jedem denselben konsonantischen<lb/> Stimmcinsatz zu vernehmen meinte, etwa deu Lxiriws Wpsr der Griechen. DaS<lb/> Grundmaß der altgermanischen Epik, die namentlich im Angelsächsischen, Alt-<lb/> sächsischen und Altnordischen zu Hanse ist, ist der zweimal gehobne Kurzvers<lb/> »>it zwei Viervierteltakten; zu Anfang eines Tales steht je eine Hebung, während<lb/> für die sogenanten Senkungen ursprünglich die größte Mannichfaltigkeit denkbar</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0189]
Das Alte Testament >ab der Dichter des Heliand
er zur Seite seines Herrn standhalte, ohne zu wanken, für ihn freiwillig sterbe.
Denn mir wenn wir vor dem Feinde mit unserm Herrn sterben, dann folgt
uns Ehre nach, guter Leumund unter den Leuten." Das ist gewiß ein echtes
Echo jener rühmenden Worte deS Tacitus über germanische Gefolgstreue:
„Schimpf und Schande fürs ganze Leben bedeutet es ihnen, seinen Führer
vor dem Feinde verlieren und selber lebend heimkommen." Als nun aber die
Jünger ihren Herrn endlich doch verlassen (Matth. 26, 56), da sucht der Ger¬
mane, dem solcher Treubruch unerhört war, ängstlich nach einer Erklärung,
um die Fliehenden nicht der Verachtung seiner Hörer preiszugeben: „Es war
lange vorher der Wahrsager Wort, entschuldigt er sie, daß es so geschehen
sollte, deshalb konnten sie es nicht vermeiden." Auch bei Petri Verleumdung
war der geraden Seele des Dichters offenbar nicht wohl, wie sein gewundner
Ausdruck verrät; aber mit frohem Behagen verweilt er bei der einzigen Streit¬
szene, die das Neue Testament bietet, wie derselbe Petrus seinen Herrn mit
dem Schwerte verteidigt und dem Malchus ein Ohr nbhaut. Daß Christus,
der mächtige Volkskönig (eiiniiiZ'o rllcLüst. oder erg-ltigost) demütig ans einer
Eselin seinen Einzug in Jerusalem hielt, wollte ihm auch nicht in den Kopf,
weshalb er diesen Zug als zu würdelos einfach unterdrückt; desto wohler sühlt
er sich bei der Schilderung der Hochzeit zu Kana, wo er die altgermanische
Frende an einem tüchtigen Trunk in der außerordentlich lebendigen und glück¬
lichen Ausmalung des Gelages sich genugthun läßt. Auch die Natur des
heiligen Landes muß sich dem Klima der Heimat anpassen; deutlich merkt man,
daß sich über diese deutsche Evangeliencrzählung ein rauherer Himmel spannt
als über Galiläa und Samaria, und beim Fischzug und Seesturm spürt man
einen kräftigen Hauch jener niederdeutschen Nordseebrise, die durch unsre Gudrun
weht. Ja selbst von dem alten Laube des Heidentums sitzen noch einige Blätter
an den frischbegrünten Zweigen: noch schimmert der Glaube an mehrere Götter
durch, die Seelen der gestorbnen Helden fahren in Hels lichtes Reich, in die
strahlenden Wohnungen, die grüne Ane Gottes, und der Engel vom Himmel
kommt in dem Federhemde Lokis oder der Schwanenjuugfraneu.
Deutsch und volkstümlich wie diese Ailffnssung und Darstellungsart ist
auch die Form des Heliand. Das kennzeichnende Merkmal unsrer ältesten
deutschen Dichtungen ist der Stabreim, d. h. der gleiche Anklang der sinn¬
schweren Wörter einer Zeile, wie es sich unter der Herrschaft des immer die
Anfaugssilbe betonenden germanischen Accents ausbildete. Alle Vokale gelten
dabei für alliterirenden Gleichklang, weil man vor jedem denselben konsonantischen
Stimmcinsatz zu vernehmen meinte, etwa deu Lxiriws Wpsr der Griechen. DaS
Grundmaß der altgermanischen Epik, die namentlich im Angelsächsischen, Alt-
sächsischen und Altnordischen zu Hanse ist, ist der zweimal gehobne Kurzvers
»>it zwei Viervierteltakten; zu Anfang eines Tales steht je eine Hebung, während
für die sogenanten Senkungen ursprünglich die größte Mannichfaltigkeit denkbar
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