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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Heimol und volkstum

benutzt, bald besser unterrichtet als der Einheimische. Die deutschen Mittel-
uud Kleinstädte sind meist nicht sonderlich reich an Sehenswürdigkeiten; was
vorhanden ist. prägt sich ohne weiteres ein, sodaß es hier jenes Anschauungs¬
unterrichts nicht bedarf. An seine Stelle sollten hier Schulausflüge in die
nähere und weitere Umgebung treten, aber sie finden selten genug, meist nur
einmal im Jahre statt. Als Unterrichtsgegenstand hat man die Heimatkunde
wohl jetzt in allen deutschen Volksschulen, sie leitet den geographische" Unter¬
richt ein; doch fürchte ich fast, daß man kaum bemerkenswerte Ergebnisse
damit erzielt: die Schüler sind meist noch zu klein, als daß sie dauernde Ein¬
drucke empfangen konnten, und der Unterricht bleibt im ganzen auf die Fest¬
legung der Örtlichkeiten nach den Himmelsrichtungen beschränkt. Als Er¬
gänzung kommt später der Unterricht in der Landesgeschichte hinzu, das heißt,
wenn das Land zufällig einen Staat bildet; allzu viel hat man aber auch für
diese nicht übrig, und man kann mit Sicherheit annehmen, daß der künftige
deutsche Staatsbürger, wenn er ein leidlicher Schüler war, beim Verlassen der
Schule zwar Geographie und Geschichte Deutschlands, vielleicht sogar Europas
einigermaßen beherrscht, in seiner engern Heimat aber, vielleicht abgesehen von
dem Geburtsort und seiner nächsten Umgebung, so schlecht wie möglich zu
Hause ist, weder von ihren geschichtlich oder anderswie merkwürdigen Stätten,
noch den Ereignissen, die sich ans ihnen abspielten, noch den berühmten Männern,
die aus der Heimat stammten oder in ihr wirkten, etwas Rechtes weiß. Die
höhern Lehranstalten leisten auf dem Gebiete der Heimatkunde verhältnismüßig
noch weniger als die Volksschulen, sie führen die Jugend sofort in die Fremde,
anstatt sie erst in der Heimat heimisch werden zu lassen; mir sind Fälle genug
bekannt, wo junge Leute ägyptische, assyrische und medische Könige in der
richtigen Reihenfolge herzusagen wußten, aber aus dem eingebornen Herrscher¬
geschlechte, das freilich ausgestorben war, nicht einen einzigen kannten. Ein
wenig hilft nun zwar das Leben oder der Zufall nach; noch ist der Heimat¬
sinn komm man das Wort bilden darf) im deutschen Volke nicht ganz er¬
loschen, man hört ältere, belesene und vielgewanderte Leute allerlei erzählen,
man liest in alten Büchern dies und das und findet wohl auch in der Zeitung
einmal das eine oder das andre aufgefrischt, mau kommt selbst etwas herum,
und so macht das Leben zum Teil wieder gut, was die Schule versäumt.
Aber bei wie vielen? Man kann seine Heimat lieben, auch wenn man wenig
von ihr weiß, das Haus, der Ort, in dem man geboren und erzogen ward,
werden bei manchem auch dann noch eine starke Anziehungskraft üben, wenn
die Eltern längst tot und Verwandte und Jugendfreunde in alle Winde zer¬
streut sind, aber die rechte Liebe zur Heimat entsteht doch erst mit der genauen
Kenntnis alles dessen, was sie schön und groß macht, was ihr Wesen bildet,
mit dem Hineinwachsen in ihr Volkstum und dem Stolz darauf, wenigstens
bei uns, die wir nicht mehr den Boden der Väter pflügen, die wir vom Ur-


Heimol und volkstum

benutzt, bald besser unterrichtet als der Einheimische. Die deutschen Mittel-
uud Kleinstädte sind meist nicht sonderlich reich an Sehenswürdigkeiten; was
vorhanden ist. prägt sich ohne weiteres ein, sodaß es hier jenes Anschauungs¬
unterrichts nicht bedarf. An seine Stelle sollten hier Schulausflüge in die
nähere und weitere Umgebung treten, aber sie finden selten genug, meist nur
einmal im Jahre statt. Als Unterrichtsgegenstand hat man die Heimatkunde
wohl jetzt in allen deutschen Volksschulen, sie leitet den geographische« Unter¬
richt ein; doch fürchte ich fast, daß man kaum bemerkenswerte Ergebnisse
damit erzielt: die Schüler sind meist noch zu klein, als daß sie dauernde Ein¬
drucke empfangen konnten, und der Unterricht bleibt im ganzen auf die Fest¬
legung der Örtlichkeiten nach den Himmelsrichtungen beschränkt. Als Er¬
gänzung kommt später der Unterricht in der Landesgeschichte hinzu, das heißt,
wenn das Land zufällig einen Staat bildet; allzu viel hat man aber auch für
diese nicht übrig, und man kann mit Sicherheit annehmen, daß der künftige
deutsche Staatsbürger, wenn er ein leidlicher Schüler war, beim Verlassen der
Schule zwar Geographie und Geschichte Deutschlands, vielleicht sogar Europas
einigermaßen beherrscht, in seiner engern Heimat aber, vielleicht abgesehen von
dem Geburtsort und seiner nächsten Umgebung, so schlecht wie möglich zu
Hause ist, weder von ihren geschichtlich oder anderswie merkwürdigen Stätten,
noch den Ereignissen, die sich ans ihnen abspielten, noch den berühmten Männern,
die aus der Heimat stammten oder in ihr wirkten, etwas Rechtes weiß. Die
höhern Lehranstalten leisten auf dem Gebiete der Heimatkunde verhältnismüßig
noch weniger als die Volksschulen, sie führen die Jugend sofort in die Fremde,
anstatt sie erst in der Heimat heimisch werden zu lassen; mir sind Fälle genug
bekannt, wo junge Leute ägyptische, assyrische und medische Könige in der
richtigen Reihenfolge herzusagen wußten, aber aus dem eingebornen Herrscher¬
geschlechte, das freilich ausgestorben war, nicht einen einzigen kannten. Ein
wenig hilft nun zwar das Leben oder der Zufall nach; noch ist der Heimat¬
sinn komm man das Wort bilden darf) im deutschen Volke nicht ganz er¬
loschen, man hört ältere, belesene und vielgewanderte Leute allerlei erzählen,
man liest in alten Büchern dies und das und findet wohl auch in der Zeitung
einmal das eine oder das andre aufgefrischt, mau kommt selbst etwas herum,
und so macht das Leben zum Teil wieder gut, was die Schule versäumt.
Aber bei wie vielen? Man kann seine Heimat lieben, auch wenn man wenig
von ihr weiß, das Haus, der Ort, in dem man geboren und erzogen ward,
werden bei manchem auch dann noch eine starke Anziehungskraft üben, wenn
die Eltern längst tot und Verwandte und Jugendfreunde in alle Winde zer¬
streut sind, aber die rechte Liebe zur Heimat entsteht doch erst mit der genauen
Kenntnis alles dessen, was sie schön und groß macht, was ihr Wesen bildet,
mit dem Hineinwachsen in ihr Volkstum und dem Stolz darauf, wenigstens
bei uns, die wir nicht mehr den Boden der Väter pflügen, die wir vom Ur-


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[0181] Heimol und volkstum benutzt, bald besser unterrichtet als der Einheimische. Die deutschen Mittel- uud Kleinstädte sind meist nicht sonderlich reich an Sehenswürdigkeiten; was vorhanden ist. prägt sich ohne weiteres ein, sodaß es hier jenes Anschauungs¬ unterrichts nicht bedarf. An seine Stelle sollten hier Schulausflüge in die nähere und weitere Umgebung treten, aber sie finden selten genug, meist nur einmal im Jahre statt. Als Unterrichtsgegenstand hat man die Heimatkunde wohl jetzt in allen deutschen Volksschulen, sie leitet den geographische« Unter¬ richt ein; doch fürchte ich fast, daß man kaum bemerkenswerte Ergebnisse damit erzielt: die Schüler sind meist noch zu klein, als daß sie dauernde Ein¬ drucke empfangen konnten, und der Unterricht bleibt im ganzen auf die Fest¬ legung der Örtlichkeiten nach den Himmelsrichtungen beschränkt. Als Er¬ gänzung kommt später der Unterricht in der Landesgeschichte hinzu, das heißt, wenn das Land zufällig einen Staat bildet; allzu viel hat man aber auch für diese nicht übrig, und man kann mit Sicherheit annehmen, daß der künftige deutsche Staatsbürger, wenn er ein leidlicher Schüler war, beim Verlassen der Schule zwar Geographie und Geschichte Deutschlands, vielleicht sogar Europas einigermaßen beherrscht, in seiner engern Heimat aber, vielleicht abgesehen von dem Geburtsort und seiner nächsten Umgebung, so schlecht wie möglich zu Hause ist, weder von ihren geschichtlich oder anderswie merkwürdigen Stätten, noch den Ereignissen, die sich ans ihnen abspielten, noch den berühmten Männern, die aus der Heimat stammten oder in ihr wirkten, etwas Rechtes weiß. Die höhern Lehranstalten leisten auf dem Gebiete der Heimatkunde verhältnismüßig noch weniger als die Volksschulen, sie führen die Jugend sofort in die Fremde, anstatt sie erst in der Heimat heimisch werden zu lassen; mir sind Fälle genug bekannt, wo junge Leute ägyptische, assyrische und medische Könige in der richtigen Reihenfolge herzusagen wußten, aber aus dem eingebornen Herrscher¬ geschlechte, das freilich ausgestorben war, nicht einen einzigen kannten. Ein wenig hilft nun zwar das Leben oder der Zufall nach; noch ist der Heimat¬ sinn komm man das Wort bilden darf) im deutschen Volke nicht ganz er¬ loschen, man hört ältere, belesene und vielgewanderte Leute allerlei erzählen, man liest in alten Büchern dies und das und findet wohl auch in der Zeitung einmal das eine oder das andre aufgefrischt, mau kommt selbst etwas herum, und so macht das Leben zum Teil wieder gut, was die Schule versäumt. Aber bei wie vielen? Man kann seine Heimat lieben, auch wenn man wenig von ihr weiß, das Haus, der Ort, in dem man geboren und erzogen ward, werden bei manchem auch dann noch eine starke Anziehungskraft üben, wenn die Eltern längst tot und Verwandte und Jugendfreunde in alle Winde zer¬ streut sind, aber die rechte Liebe zur Heimat entsteht doch erst mit der genauen Kenntnis alles dessen, was sie schön und groß macht, was ihr Wesen bildet, mit dem Hineinwachsen in ihr Volkstum und dem Stolz darauf, wenigstens bei uns, die wir nicht mehr den Boden der Väter pflügen, die wir vom Ur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/181>, abgerufen am 29.06.2024.