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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

auf der so manche Anregung, selbst so manches Motiv der Kleinkunst den Weg an-?
Persien, Arabien und China nach Indien gefunden hat, könnten auch russische Ein¬
flüsse einwandern. In Anknüpfungen des Maharadscha von Kaschmir mit den
Russen, die er Ende der sechziger Jahre eingeladen haben sollte, über Kaschgar
mit ihm in Handelsverbindungen zu treten, witterten die Engländer schon diese
Gefahr aus der Ferne. Seitdem hat nach lange gehegten Plan England Kaschmir
und Kleintibet und damit die wichtigsten Eingänge aus Indien nach Zeutral-
asien besetzt. Rawlinson hatte das schon 1866 vorgeschlagen tu. a. auch, weil
diese Gebiete deu Mvugvlenkaisern von Delhi gesteuert hätten!), um endlich
ganz Tibet als Puffer gegen die Russen zu gewinnen. Es ist nicht zu er¬
warten, daß Rußland bei seiner heutigen Stellung zu China die bevorstehende
Regelung der chinesischen Pamirgrenze unbenutzt läßt, um Englands Ansprüche
weit zurückzudrängen. In Ostturkestan ist Rußland thatsächlich der Protektor
Chinas. Eine energische Politik, die nicht so ungeschickt wie die englische
in den Jahren des Aufstandes im Trüben zu fischen suchte, hat ihm längst
einen großen moralischen Einfluß verliehen, dem der wirtschaftliche in den
Bazaren von Kaschgar, Uarkand und Khotan gefolgt ist.

Die Stellung Englands in Indien hat sich im Innern immer mehr befestigt,
politisch wie wirtschaftlich, während sie sich nach außen verschlechtert hat.. Diese
Verschlechterung bedeutet nach der politischen Wirkung mehr als jene Ver¬
besserung. Die staunenswerten Leistungen der Engländer in der Ausbeutung
und Hebung Indiens werden immer entschiedncr wettgemacht durch die
Erfolge Rußlands an den Grenzen Indiens. England wird dnrch sie ge¬
zwungen, die Grundlagen aufzugeben, auf der es sein indisches Reich ausgebaut
hat. Seine Seemacht hat Indien gewonnen, aber England muß in Indien
Landmacht werden, um Nußland zu begegnen. Es teilt seine Mittel und ver¬
liert die ruhige Einheitlichkeit des Handelns. Es ist gezwungen worden, sich
immer mehr zentralasiatische Gebiete anzueignen, deren Hilfsquelle" gering und
deren kriegerische Volker gefährlich sind. Die Rüstung Indiens wird immer
schwerer und kostspieliger, und schon erlebt man das Unerwartete, daß indische
Zeitungen die Russeufrenndschaft predigen, von der sie Verminderung der
Ausgaben und Steuern erwarten. Der Glaube der Jndier an Englands
Überlegenheit und Unbesiegbarkeit stand felsenfest, so lange England in Süd¬
asien allein waltete. Jeder Fortschritt Rußlands erschüttert diesen Glauben.
Die Fähigkeit Rußlands, diese Säule der englischen Weltmacht in Bewegung
zu setzen, ist seine furchtbarste Waffe in dein Kampfe mit England, wo er auch
immer entbrennen mag. Wahrscheinlich wird England nach Osten, nach dem
reichen Südchina auszuweichen suchen, wo es aber seit dem siamesischen Konflikt
Frankreich begegnet. Es scheint, als sollte seine Stellung in Indien, die seine
Größe begründet hat, sein Verhängnis werden.




Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

auf der so manche Anregung, selbst so manches Motiv der Kleinkunst den Weg an-?
Persien, Arabien und China nach Indien gefunden hat, könnten auch russische Ein¬
flüsse einwandern. In Anknüpfungen des Maharadscha von Kaschmir mit den
Russen, die er Ende der sechziger Jahre eingeladen haben sollte, über Kaschgar
mit ihm in Handelsverbindungen zu treten, witterten die Engländer schon diese
Gefahr aus der Ferne. Seitdem hat nach lange gehegten Plan England Kaschmir
und Kleintibet und damit die wichtigsten Eingänge aus Indien nach Zeutral-
asien besetzt. Rawlinson hatte das schon 1866 vorgeschlagen tu. a. auch, weil
diese Gebiete deu Mvugvlenkaisern von Delhi gesteuert hätten!), um endlich
ganz Tibet als Puffer gegen die Russen zu gewinnen. Es ist nicht zu er¬
warten, daß Rußland bei seiner heutigen Stellung zu China die bevorstehende
Regelung der chinesischen Pamirgrenze unbenutzt läßt, um Englands Ansprüche
weit zurückzudrängen. In Ostturkestan ist Rußland thatsächlich der Protektor
Chinas. Eine energische Politik, die nicht so ungeschickt wie die englische
in den Jahren des Aufstandes im Trüben zu fischen suchte, hat ihm längst
einen großen moralischen Einfluß verliehen, dem der wirtschaftliche in den
Bazaren von Kaschgar, Uarkand und Khotan gefolgt ist.

Die Stellung Englands in Indien hat sich im Innern immer mehr befestigt,
politisch wie wirtschaftlich, während sie sich nach außen verschlechtert hat.. Diese
Verschlechterung bedeutet nach der politischen Wirkung mehr als jene Ver¬
besserung. Die staunenswerten Leistungen der Engländer in der Ausbeutung
und Hebung Indiens werden immer entschiedncr wettgemacht durch die
Erfolge Rußlands an den Grenzen Indiens. England wird dnrch sie ge¬
zwungen, die Grundlagen aufzugeben, auf der es sein indisches Reich ausgebaut
hat. Seine Seemacht hat Indien gewonnen, aber England muß in Indien
Landmacht werden, um Nußland zu begegnen. Es teilt seine Mittel und ver¬
liert die ruhige Einheitlichkeit des Handelns. Es ist gezwungen worden, sich
immer mehr zentralasiatische Gebiete anzueignen, deren Hilfsquelle» gering und
deren kriegerische Volker gefährlich sind. Die Rüstung Indiens wird immer
schwerer und kostspieliger, und schon erlebt man das Unerwartete, daß indische
Zeitungen die Russeufrenndschaft predigen, von der sie Verminderung der
Ausgaben und Steuern erwarten. Der Glaube der Jndier an Englands
Überlegenheit und Unbesiegbarkeit stand felsenfest, so lange England in Süd¬
asien allein waltete. Jeder Fortschritt Rußlands erschüttert diesen Glauben.
Die Fähigkeit Rußlands, diese Säule der englischen Weltmacht in Bewegung
zu setzen, ist seine furchtbarste Waffe in dein Kampfe mit England, wo er auch
immer entbrennen mag. Wahrscheinlich wird England nach Osten, nach dem
reichen Südchina auszuweichen suchen, wo es aber seit dem siamesischen Konflikt
Frankreich begegnet. Es scheint, als sollte seine Stellung in Indien, die seine
Größe begründet hat, sein Verhängnis werden.




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[0168] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik auf der so manche Anregung, selbst so manches Motiv der Kleinkunst den Weg an-? Persien, Arabien und China nach Indien gefunden hat, könnten auch russische Ein¬ flüsse einwandern. In Anknüpfungen des Maharadscha von Kaschmir mit den Russen, die er Ende der sechziger Jahre eingeladen haben sollte, über Kaschgar mit ihm in Handelsverbindungen zu treten, witterten die Engländer schon diese Gefahr aus der Ferne. Seitdem hat nach lange gehegten Plan England Kaschmir und Kleintibet und damit die wichtigsten Eingänge aus Indien nach Zeutral- asien besetzt. Rawlinson hatte das schon 1866 vorgeschlagen tu. a. auch, weil diese Gebiete deu Mvugvlenkaisern von Delhi gesteuert hätten!), um endlich ganz Tibet als Puffer gegen die Russen zu gewinnen. Es ist nicht zu er¬ warten, daß Rußland bei seiner heutigen Stellung zu China die bevorstehende Regelung der chinesischen Pamirgrenze unbenutzt läßt, um Englands Ansprüche weit zurückzudrängen. In Ostturkestan ist Rußland thatsächlich der Protektor Chinas. Eine energische Politik, die nicht so ungeschickt wie die englische in den Jahren des Aufstandes im Trüben zu fischen suchte, hat ihm längst einen großen moralischen Einfluß verliehen, dem der wirtschaftliche in den Bazaren von Kaschgar, Uarkand und Khotan gefolgt ist. Die Stellung Englands in Indien hat sich im Innern immer mehr befestigt, politisch wie wirtschaftlich, während sie sich nach außen verschlechtert hat.. Diese Verschlechterung bedeutet nach der politischen Wirkung mehr als jene Ver¬ besserung. Die staunenswerten Leistungen der Engländer in der Ausbeutung und Hebung Indiens werden immer entschiedncr wettgemacht durch die Erfolge Rußlands an den Grenzen Indiens. England wird dnrch sie ge¬ zwungen, die Grundlagen aufzugeben, auf der es sein indisches Reich ausgebaut hat. Seine Seemacht hat Indien gewonnen, aber England muß in Indien Landmacht werden, um Nußland zu begegnen. Es teilt seine Mittel und ver¬ liert die ruhige Einheitlichkeit des Handelns. Es ist gezwungen worden, sich immer mehr zentralasiatische Gebiete anzueignen, deren Hilfsquelle» gering und deren kriegerische Volker gefährlich sind. Die Rüstung Indiens wird immer schwerer und kostspieliger, und schon erlebt man das Unerwartete, daß indische Zeitungen die Russeufrenndschaft predigen, von der sie Verminderung der Ausgaben und Steuern erwarten. Der Glaube der Jndier an Englands Überlegenheit und Unbesiegbarkeit stand felsenfest, so lange England in Süd¬ asien allein waltete. Jeder Fortschritt Rußlands erschüttert diesen Glauben. Die Fähigkeit Rußlands, diese Säule der englischen Weltmacht in Bewegung zu setzen, ist seine furchtbarste Waffe in dein Kampfe mit England, wo er auch immer entbrennen mag. Wahrscheinlich wird England nach Osten, nach dem reichen Südchina auszuweichen suchen, wo es aber seit dem siamesischen Konflikt Frankreich begegnet. Es scheint, als sollte seine Stellung in Indien, die seine Größe begründet hat, sein Verhängnis werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/168>, abgerufen am 29.06.2024.