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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Aenntnis der englischen Weltpolitik

vermutlichen Grenze Chinas zieht. Afghanistan verliert Noschan und Schiguau
auf dem rechten Ufer, und Rußland giebt seine Ansprüche ans dem linken des
oberen Oxus (Pandscha) auf, die aber nie fest begründet gewesen sind. Wachen
soll afghanisch bleiben und eine Art Puffer zwischen der nun wieder ein gutes
Stück vvrgeschobneu Stellung Rußlands und dem englischen Einslnßgebiet bilden.
Die Grenzkvmmissare sind beauftragt worden, auch die etwaige Lage der chine¬
sischen Grenze festzustellen, damit diese i" Verhandlungen mit China näher be¬
stimmt werden kann. England verpflichtet sich, das zwischen dem Hindukusch und
der zur chinesischen Grenze laufenden Linie liegende Gebiet dem Emir von
Afghanistan zu überlassen, der keine Befestigungen darauf errichten oder Be¬
satzungen hineinlegen darf. Eine ähnliche Verpflichtung ist von Nußland nicht über-
nommen worden. Das Übereinkommen soll erst in Kraft treten, wenn Afghanistan
alle nördlich vom Pandscha und Bochara, d. h. Rußland alle südlich vom Oxus ge¬
legnen Gebiete geräumt haben wird, worauf die beiden Mächte hinwirken werden.

Der Vorteil des seit so vielen Jahren angestrebten Übereinkommens liegt
wesentlich auf russischer Seite, das nur die Pamir mit Ausnahme der "Kleinem
Pamir" lind des links vom Pandscha gelegnen afghanischen Gebietes erhalten
hat. Mau wundert sich, daß gerade die Landschaften Roschan und Schignan
abgetreten wurde", durch die der Weg auf den Barvghilpaß, den bequemsten
aller Hindukuschpüsse, führt, der uach Tschitral hinabsteigt, das von der neuen
russischen Grenze etwa fünf Tagemarsche entfernt ist. Eigentümliches Zusammen¬
treffen, daß kurz vor dem Abschluß dieser Verhandlungen die Engländer ihren
unverschuldeten kleinen Krieg mit Tschitral hatten! sollten die indischen Blätter
Unrecht gehabt haben, die sagten, die ganze Geschichte mit Tschitral sei nur
aufgebracht worden, um den Weg von Peschaner dahin zu gewinnen, und die der
indischen Regierung unberechtigte Einmischung in den dortigen Thrvnstreit zu
politischen Zwecken vorwarfen?

England hat seit den sechziger Jahren auch Ostturkestan, das am Ost-
abhang der Pamir liegt, unter die Gebiete seines Einflnßkreises gerechnet.
In den 1869er Verhandlungen mit Rußland wurden Afghanistan, Kelat und
Barkand auf gleicher Linie genannt und ihnen Chiwa, Buchara und Kokand
gegenübergestellt. Ein scheinbar unabhängiges Ostturkestan, mit dem England
von Indien her, als Erbe Kaschmirs auf ein Borrecht pochend, sich in ähn¬
liche Verbindungen setzen würde wie mit Afghanistan, bleibt der Wunsch und
die Hoffnung; der Gegensatz zu diesem Bestreben führte hier China und Ru߬
land zusammen, die beide zur Zeit der Herrschaft des usbeghischeu Empor¬
kömmlings Jakub Beg bewiesen, wie ungern sie einen selbständigen moham¬
medanischen Herrscher in Aarkand sahen, während sich England in kurzsichtiger
Eile mit ihm in diplomatischen Verkehr setzte und ihn unterstützte. Es will
nicht den alten Weg aus Indien durch Kaschmir und das westliche Tibet in
russisches Gebiet oder Vasallengebiel münden sehe". Auf dieser alten Straße,


Zur Aenntnis der englischen Weltpolitik

vermutlichen Grenze Chinas zieht. Afghanistan verliert Noschan und Schiguau
auf dem rechten Ufer, und Rußland giebt seine Ansprüche ans dem linken des
oberen Oxus (Pandscha) auf, die aber nie fest begründet gewesen sind. Wachen
soll afghanisch bleiben und eine Art Puffer zwischen der nun wieder ein gutes
Stück vvrgeschobneu Stellung Rußlands und dem englischen Einslnßgebiet bilden.
Die Grenzkvmmissare sind beauftragt worden, auch die etwaige Lage der chine¬
sischen Grenze festzustellen, damit diese i» Verhandlungen mit China näher be¬
stimmt werden kann. England verpflichtet sich, das zwischen dem Hindukusch und
der zur chinesischen Grenze laufenden Linie liegende Gebiet dem Emir von
Afghanistan zu überlassen, der keine Befestigungen darauf errichten oder Be¬
satzungen hineinlegen darf. Eine ähnliche Verpflichtung ist von Nußland nicht über-
nommen worden. Das Übereinkommen soll erst in Kraft treten, wenn Afghanistan
alle nördlich vom Pandscha und Bochara, d. h. Rußland alle südlich vom Oxus ge¬
legnen Gebiete geräumt haben wird, worauf die beiden Mächte hinwirken werden.

Der Vorteil des seit so vielen Jahren angestrebten Übereinkommens liegt
wesentlich auf russischer Seite, das nur die Pamir mit Ausnahme der „Kleinem
Pamir" lind des links vom Pandscha gelegnen afghanischen Gebietes erhalten
hat. Mau wundert sich, daß gerade die Landschaften Roschan und Schignan
abgetreten wurde«, durch die der Weg auf den Barvghilpaß, den bequemsten
aller Hindukuschpüsse, führt, der uach Tschitral hinabsteigt, das von der neuen
russischen Grenze etwa fünf Tagemarsche entfernt ist. Eigentümliches Zusammen¬
treffen, daß kurz vor dem Abschluß dieser Verhandlungen die Engländer ihren
unverschuldeten kleinen Krieg mit Tschitral hatten! sollten die indischen Blätter
Unrecht gehabt haben, die sagten, die ganze Geschichte mit Tschitral sei nur
aufgebracht worden, um den Weg von Peschaner dahin zu gewinnen, und die der
indischen Regierung unberechtigte Einmischung in den dortigen Thrvnstreit zu
politischen Zwecken vorwarfen?

England hat seit den sechziger Jahren auch Ostturkestan, das am Ost-
abhang der Pamir liegt, unter die Gebiete seines Einflnßkreises gerechnet.
In den 1869er Verhandlungen mit Rußland wurden Afghanistan, Kelat und
Barkand auf gleicher Linie genannt und ihnen Chiwa, Buchara und Kokand
gegenübergestellt. Ein scheinbar unabhängiges Ostturkestan, mit dem England
von Indien her, als Erbe Kaschmirs auf ein Borrecht pochend, sich in ähn¬
liche Verbindungen setzen würde wie mit Afghanistan, bleibt der Wunsch und
die Hoffnung; der Gegensatz zu diesem Bestreben führte hier China und Ru߬
land zusammen, die beide zur Zeit der Herrschaft des usbeghischeu Empor¬
kömmlings Jakub Beg bewiesen, wie ungern sie einen selbständigen moham¬
medanischen Herrscher in Aarkand sahen, während sich England in kurzsichtiger
Eile mit ihm in diplomatischen Verkehr setzte und ihn unterstützte. Es will
nicht den alten Weg aus Indien durch Kaschmir und das westliche Tibet in
russisches Gebiet oder Vasallengebiel münden sehe». Auf dieser alten Straße,


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[0167] Zur Aenntnis der englischen Weltpolitik vermutlichen Grenze Chinas zieht. Afghanistan verliert Noschan und Schiguau auf dem rechten Ufer, und Rußland giebt seine Ansprüche ans dem linken des oberen Oxus (Pandscha) auf, die aber nie fest begründet gewesen sind. Wachen soll afghanisch bleiben und eine Art Puffer zwischen der nun wieder ein gutes Stück vvrgeschobneu Stellung Rußlands und dem englischen Einslnßgebiet bilden. Die Grenzkvmmissare sind beauftragt worden, auch die etwaige Lage der chine¬ sischen Grenze festzustellen, damit diese i» Verhandlungen mit China näher be¬ stimmt werden kann. England verpflichtet sich, das zwischen dem Hindukusch und der zur chinesischen Grenze laufenden Linie liegende Gebiet dem Emir von Afghanistan zu überlassen, der keine Befestigungen darauf errichten oder Be¬ satzungen hineinlegen darf. Eine ähnliche Verpflichtung ist von Nußland nicht über- nommen worden. Das Übereinkommen soll erst in Kraft treten, wenn Afghanistan alle nördlich vom Pandscha und Bochara, d. h. Rußland alle südlich vom Oxus ge¬ legnen Gebiete geräumt haben wird, worauf die beiden Mächte hinwirken werden. Der Vorteil des seit so vielen Jahren angestrebten Übereinkommens liegt wesentlich auf russischer Seite, das nur die Pamir mit Ausnahme der „Kleinem Pamir" lind des links vom Pandscha gelegnen afghanischen Gebietes erhalten hat. Mau wundert sich, daß gerade die Landschaften Roschan und Schignan abgetreten wurde«, durch die der Weg auf den Barvghilpaß, den bequemsten aller Hindukuschpüsse, führt, der uach Tschitral hinabsteigt, das von der neuen russischen Grenze etwa fünf Tagemarsche entfernt ist. Eigentümliches Zusammen¬ treffen, daß kurz vor dem Abschluß dieser Verhandlungen die Engländer ihren unverschuldeten kleinen Krieg mit Tschitral hatten! sollten die indischen Blätter Unrecht gehabt haben, die sagten, die ganze Geschichte mit Tschitral sei nur aufgebracht worden, um den Weg von Peschaner dahin zu gewinnen, und die der indischen Regierung unberechtigte Einmischung in den dortigen Thrvnstreit zu politischen Zwecken vorwarfen? England hat seit den sechziger Jahren auch Ostturkestan, das am Ost- abhang der Pamir liegt, unter die Gebiete seines Einflnßkreises gerechnet. In den 1869er Verhandlungen mit Rußland wurden Afghanistan, Kelat und Barkand auf gleicher Linie genannt und ihnen Chiwa, Buchara und Kokand gegenübergestellt. Ein scheinbar unabhängiges Ostturkestan, mit dem England von Indien her, als Erbe Kaschmirs auf ein Borrecht pochend, sich in ähn¬ liche Verbindungen setzen würde wie mit Afghanistan, bleibt der Wunsch und die Hoffnung; der Gegensatz zu diesem Bestreben führte hier China und Ru߬ land zusammen, die beide zur Zeit der Herrschaft des usbeghischeu Empor¬ kömmlings Jakub Beg bewiesen, wie ungern sie einen selbständigen moham¬ medanischen Herrscher in Aarkand sahen, während sich England in kurzsichtiger Eile mit ihm in diplomatischen Verkehr setzte und ihn unterstützte. Es will nicht den alten Weg aus Indien durch Kaschmir und das westliche Tibet in russisches Gebiet oder Vasallengebiel münden sehe». Auf dieser alten Straße,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/167>, abgerufen am 01.07.2024.