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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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asiatischen Politik liegt. Rußland läßt zwar den Emir in Bochum weiter
restdireu, aber kein Fremder reist im Lande ohne russischen Paß. Ebenso wenig
war die Zumutung an Rußland verständig, sich zu den Khanaten ähnlich
zu stellen wie England zu Afghanistan, d. h. sie mit Geld und Waffen zu
unterstützen, im übrigen aber ihre Gebiete unangetastet zu lassen. Die Eng¬
länder wollen auch hier nicht anerkennen, daß Rußlands Stellung in Asien
eben viel natürlicher, wie Geueral F. Roberts treffend sagt, "kontinentaler,"
daher fester ist als die ihrige. Wie irreführend, wenn ein Kenner wie Rawlinson
Lahore mit Taschkend, Peschauer mit Samarkand und Bochara mit Kabul
vergleicht und in dem Einfluß, der von Kabul aus auf die Landschaft zwischen
dem Hindukusch und dem Oxus, Balkh, Kundus und Badachschan geübt wird,
ein Gegenstück sieht zu dem Bocharas auf die Landschaften zwischen dein Alai-
Tag und dem Oxus: Hissar, Kullib und Darwas. Hinkende Bergleiche und
leere Trostgründe! In Rußlands Hand ist Bochara nur noch Teil eines großen,
durchaus militärisch organisirten Gebiets, das von russischen Offizieren nach
der Methode des aufgeklärten Despotismus regiert wird. Die Asiaten achten
dieses feste Auftreten, lieben es fast und verleihen ihm einen moralischen
Erfolg, der bereits bis -- Indien hineinreicht.

Ein ganz thörichter Vorwurf war es, den man in England Rußland machte:
es vernachlässige seine Verkehrswege in Europa; wie sei zu erwarte", daß es
durch die Wüste zwischen Kaspi- und Aralsee eine Eisenbahn banen werde? So
sprach 1879 ein ernsthafter Mann, Sir Robert Michell, in der Geographischen
Gesellschaft zu London. 1886 war die Bahn bis Merw fertig, und sie wird
zunächst bis Taschkend weitergeführt. Sie zielt geradeswegs auf den schwachen
Punkt Herat und führt, wenn auch in beträchtlicher Entfernung, an der Südgrenze
des heutigen russischen Gebiets entlang. Noch näher tritt sie an die persische
Provinz Chorassan heran, wo Nußland 1888 die Einsetzung eines Agenten in
Mcsched erzwang und der russische Einfluß jetzt jeden andern verdrängt hat.
Diese Provinz ist in den Grenzbezirkeu schon mehr russisch als persisch. Den
strategischen Wert der russischen Transkaspibahn wird noch lange keine ent¬
sprechende Linie auf englischer Seite erreichen. Die Bahn Schikarpur-Quella auf
der Linie nach Kandahar und Herat ist nur ein schwacher Anfang. Der Außen¬
handel Afghanistans, der sich immer mehr nach der bocharischen als der indischen
Seite hin bewegte -- er setzte 1893 über Kabul und Kandahar nach Indien
1,1 Millionen Rupien, mit Bochara gegen 8 Millionen Rubel um --, wird
noch stärker nach Norden neigen, was natürlich nur dem russischem Einfluß zu
gute kommt.


4

Die Aufmerksamkeit der Politiker und Militärs war früher fast ganz auf
den Norden Afghanistans gerichtet, wo die stärksten und kriegerischsten Stämme
sitzen und Kabul an dein gleichnamigen Gebirgsflnß liegt, der in schroffen


Zur Ueinitttis der englische» Meltpc'Iitik

asiatischen Politik liegt. Rußland läßt zwar den Emir in Bochum weiter
restdireu, aber kein Fremder reist im Lande ohne russischen Paß. Ebenso wenig
war die Zumutung an Rußland verständig, sich zu den Khanaten ähnlich
zu stellen wie England zu Afghanistan, d. h. sie mit Geld und Waffen zu
unterstützen, im übrigen aber ihre Gebiete unangetastet zu lassen. Die Eng¬
länder wollen auch hier nicht anerkennen, daß Rußlands Stellung in Asien
eben viel natürlicher, wie Geueral F. Roberts treffend sagt, „kontinentaler,"
daher fester ist als die ihrige. Wie irreführend, wenn ein Kenner wie Rawlinson
Lahore mit Taschkend, Peschauer mit Samarkand und Bochara mit Kabul
vergleicht und in dem Einfluß, der von Kabul aus auf die Landschaft zwischen
dem Hindukusch und dem Oxus, Balkh, Kundus und Badachschan geübt wird,
ein Gegenstück sieht zu dem Bocharas auf die Landschaften zwischen dein Alai-
Tag und dem Oxus: Hissar, Kullib und Darwas. Hinkende Bergleiche und
leere Trostgründe! In Rußlands Hand ist Bochara nur noch Teil eines großen,
durchaus militärisch organisirten Gebiets, das von russischen Offizieren nach
der Methode des aufgeklärten Despotismus regiert wird. Die Asiaten achten
dieses feste Auftreten, lieben es fast und verleihen ihm einen moralischen
Erfolg, der bereits bis — Indien hineinreicht.

Ein ganz thörichter Vorwurf war es, den man in England Rußland machte:
es vernachlässige seine Verkehrswege in Europa; wie sei zu erwarte», daß es
durch die Wüste zwischen Kaspi- und Aralsee eine Eisenbahn banen werde? So
sprach 1879 ein ernsthafter Mann, Sir Robert Michell, in der Geographischen
Gesellschaft zu London. 1886 war die Bahn bis Merw fertig, und sie wird
zunächst bis Taschkend weitergeführt. Sie zielt geradeswegs auf den schwachen
Punkt Herat und führt, wenn auch in beträchtlicher Entfernung, an der Südgrenze
des heutigen russischen Gebiets entlang. Noch näher tritt sie an die persische
Provinz Chorassan heran, wo Nußland 1888 die Einsetzung eines Agenten in
Mcsched erzwang und der russische Einfluß jetzt jeden andern verdrängt hat.
Diese Provinz ist in den Grenzbezirkeu schon mehr russisch als persisch. Den
strategischen Wert der russischen Transkaspibahn wird noch lange keine ent¬
sprechende Linie auf englischer Seite erreichen. Die Bahn Schikarpur-Quella auf
der Linie nach Kandahar und Herat ist nur ein schwacher Anfang. Der Außen¬
handel Afghanistans, der sich immer mehr nach der bocharischen als der indischen
Seite hin bewegte — er setzte 1893 über Kabul und Kandahar nach Indien
1,1 Millionen Rupien, mit Bochara gegen 8 Millionen Rubel um —, wird
noch stärker nach Norden neigen, was natürlich nur dem russischem Einfluß zu
gute kommt.


4

Die Aufmerksamkeit der Politiker und Militärs war früher fast ganz auf
den Norden Afghanistans gerichtet, wo die stärksten und kriegerischsten Stämme
sitzen und Kabul an dein gleichnamigen Gebirgsflnß liegt, der in schroffen


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[0165] Zur Ueinitttis der englische» Meltpc'Iitik asiatischen Politik liegt. Rußland läßt zwar den Emir in Bochum weiter restdireu, aber kein Fremder reist im Lande ohne russischen Paß. Ebenso wenig war die Zumutung an Rußland verständig, sich zu den Khanaten ähnlich zu stellen wie England zu Afghanistan, d. h. sie mit Geld und Waffen zu unterstützen, im übrigen aber ihre Gebiete unangetastet zu lassen. Die Eng¬ länder wollen auch hier nicht anerkennen, daß Rußlands Stellung in Asien eben viel natürlicher, wie Geueral F. Roberts treffend sagt, „kontinentaler," daher fester ist als die ihrige. Wie irreführend, wenn ein Kenner wie Rawlinson Lahore mit Taschkend, Peschauer mit Samarkand und Bochara mit Kabul vergleicht und in dem Einfluß, der von Kabul aus auf die Landschaft zwischen dem Hindukusch und dem Oxus, Balkh, Kundus und Badachschan geübt wird, ein Gegenstück sieht zu dem Bocharas auf die Landschaften zwischen dein Alai- Tag und dem Oxus: Hissar, Kullib und Darwas. Hinkende Bergleiche und leere Trostgründe! In Rußlands Hand ist Bochara nur noch Teil eines großen, durchaus militärisch organisirten Gebiets, das von russischen Offizieren nach der Methode des aufgeklärten Despotismus regiert wird. Die Asiaten achten dieses feste Auftreten, lieben es fast und verleihen ihm einen moralischen Erfolg, der bereits bis — Indien hineinreicht. Ein ganz thörichter Vorwurf war es, den man in England Rußland machte: es vernachlässige seine Verkehrswege in Europa; wie sei zu erwarte», daß es durch die Wüste zwischen Kaspi- und Aralsee eine Eisenbahn banen werde? So sprach 1879 ein ernsthafter Mann, Sir Robert Michell, in der Geographischen Gesellschaft zu London. 1886 war die Bahn bis Merw fertig, und sie wird zunächst bis Taschkend weitergeführt. Sie zielt geradeswegs auf den schwachen Punkt Herat und führt, wenn auch in beträchtlicher Entfernung, an der Südgrenze des heutigen russischen Gebiets entlang. Noch näher tritt sie an die persische Provinz Chorassan heran, wo Nußland 1888 die Einsetzung eines Agenten in Mcsched erzwang und der russische Einfluß jetzt jeden andern verdrängt hat. Diese Provinz ist in den Grenzbezirkeu schon mehr russisch als persisch. Den strategischen Wert der russischen Transkaspibahn wird noch lange keine ent¬ sprechende Linie auf englischer Seite erreichen. Die Bahn Schikarpur-Quella auf der Linie nach Kandahar und Herat ist nur ein schwacher Anfang. Der Außen¬ handel Afghanistans, der sich immer mehr nach der bocharischen als der indischen Seite hin bewegte — er setzte 1893 über Kabul und Kandahar nach Indien 1,1 Millionen Rupien, mit Bochara gegen 8 Millionen Rubel um —, wird noch stärker nach Norden neigen, was natürlich nur dem russischem Einfluß zu gute kommt. 4 Die Aufmerksamkeit der Politiker und Militärs war früher fast ganz auf den Norden Afghanistans gerichtet, wo die stärksten und kriegerischsten Stämme sitzen und Kabul an dein gleichnamigen Gebirgsflnß liegt, der in schroffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/165>, abgerufen am 24.07.2024.