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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Uenntnis der englischen Weltpolitik

statten mit Geld und Rat zur Hand geht. Aus dieser Stellung Englands,
die mau von vornherein als zweideutig und höchst gewagt bezeichnen muß,
folgt auch sein Bemühen, den gegenwärtigen Emir gegen alle Rivalen zu unter-
stützen, und die Rückgabe Kcmdahars nach der Eroberung von 1379, die den
Zweck hatte, ihn finanziell zu kräftigen, denn Kcindahar und überhaupt Süd-
afghauistan ist viel ertragreicher als der Norden. Ebenso reiht sich darau
mit Notwendigkeit die Einmischung Englands in die afghanisch-russischen Grenz¬
fragen, die 1885 und 1894 zu bedeutenden Reibungen führte, ohne daß
Afghanistans Ansprüche vollständig erfüllt werden konnten, und die kaum glaub¬
liche Einwilligung in die Verschließung Afghanistans und das Fallenlassen der
alten Forderung der Zulassung einer ständigen englischen Gesandtschaft in
Kabul. Diese ist gewissermaßen die Besieglung der Gcsaudteumorde von 1842
und 1878.

Es ist keine sehr ehrenreiche Stellung, die England hier einnimmt. Sie
erinnert etwas an die Zeit, wo die Gesandten der Ostindischen Kompagnie
Handelsvvrteile mit Demütigungen erkauften. Und doch herrscht im Osten
überall nur der, der den Glauben an seine Kraft und seinen Sieg felsenfest
zu gründen weiß! Afghanistan ist noch hente allen Engländern verschlossen, die
nicht Mitglieder von Gesandtschaften oder im Dienste des Emirs sind. Fünfzig
Kilometer von Peschauer liegt Lundi Khotal. Soweit kann ein Engländer vor¬
dringen, wenn er sich einer der Karawanen anschließt, für die an bestimmten
Tagen der Woche der Khaiberpaß geöffnet wird, wo sie dann durch die vou
England bezahlten Afridis und Schinwaris, sonst Straßenräitber, bis an die
afghanische Grenze eskortirt werden. Von da sind es noch 260 Kilometer
bis Kabul. Das englische Gebiet endet schon 15 Kilometer oberhalb Peschauer
bei Djumrud. Aber der 35 Kilometer breite, den Afridis gehörige Streifen,
in dem der Khaiberpaß liegt, ist infolge der großen Unterstützung der Engländer
(80000 Rupien jährlich) politisch doch noch als englisches Gebiet anzusehen.

England hat sich keine Sympathien in Afghanistan erworben. Das wirft
von vornherein einen Schatten auf feine ganze Stellung in dem mit Afghanistan
durch so viele Fäden verbundnen Nordostindien. Als im Frühjahr 1895 der
Emir gefährlich krank war, fürchtetet: die Engländer in Kabul, die für den
Emir arbeiten, ernstlich für ihr Leben. Irgend eine andre bedeutende Stütze,
als den mit Geld erkauften Emir, hat England nicht im Lande. Die Eng¬
länder wollen mit ihrer manchmal unglaublich naiven Gabe, sich selbst So¬
phismen einzureden, in ihren wiederholten Rückmärschen aus Afghanistan einen
Beweis dafür geliefert haben, daß sie das Land nicht zu haben wünschen.
Sie meinen, sie stünden darum in deu Augen der Afghanen reiner da als die
Russen, die den Hindukusch als Grenze ihrer asiatischen Besitzungen, aber nicht
ihrer Machtsphäre offen verlangen. Sie leben hier in einer um so gefährlichern
Täuschung, als sie thatsächlich afghanische Gebiete genommen haben, während


Zur Uenntnis der englischen Weltpolitik

statten mit Geld und Rat zur Hand geht. Aus dieser Stellung Englands,
die mau von vornherein als zweideutig und höchst gewagt bezeichnen muß,
folgt auch sein Bemühen, den gegenwärtigen Emir gegen alle Rivalen zu unter-
stützen, und die Rückgabe Kcmdahars nach der Eroberung von 1379, die den
Zweck hatte, ihn finanziell zu kräftigen, denn Kcindahar und überhaupt Süd-
afghauistan ist viel ertragreicher als der Norden. Ebenso reiht sich darau
mit Notwendigkeit die Einmischung Englands in die afghanisch-russischen Grenz¬
fragen, die 1885 und 1894 zu bedeutenden Reibungen führte, ohne daß
Afghanistans Ansprüche vollständig erfüllt werden konnten, und die kaum glaub¬
liche Einwilligung in die Verschließung Afghanistans und das Fallenlassen der
alten Forderung der Zulassung einer ständigen englischen Gesandtschaft in
Kabul. Diese ist gewissermaßen die Besieglung der Gcsaudteumorde von 1842
und 1878.

Es ist keine sehr ehrenreiche Stellung, die England hier einnimmt. Sie
erinnert etwas an die Zeit, wo die Gesandten der Ostindischen Kompagnie
Handelsvvrteile mit Demütigungen erkauften. Und doch herrscht im Osten
überall nur der, der den Glauben an seine Kraft und seinen Sieg felsenfest
zu gründen weiß! Afghanistan ist noch hente allen Engländern verschlossen, die
nicht Mitglieder von Gesandtschaften oder im Dienste des Emirs sind. Fünfzig
Kilometer von Peschauer liegt Lundi Khotal. Soweit kann ein Engländer vor¬
dringen, wenn er sich einer der Karawanen anschließt, für die an bestimmten
Tagen der Woche der Khaiberpaß geöffnet wird, wo sie dann durch die vou
England bezahlten Afridis und Schinwaris, sonst Straßenräitber, bis an die
afghanische Grenze eskortirt werden. Von da sind es noch 260 Kilometer
bis Kabul. Das englische Gebiet endet schon 15 Kilometer oberhalb Peschauer
bei Djumrud. Aber der 35 Kilometer breite, den Afridis gehörige Streifen,
in dem der Khaiberpaß liegt, ist infolge der großen Unterstützung der Engländer
(80000 Rupien jährlich) politisch doch noch als englisches Gebiet anzusehen.

England hat sich keine Sympathien in Afghanistan erworben. Das wirft
von vornherein einen Schatten auf feine ganze Stellung in dem mit Afghanistan
durch so viele Fäden verbundnen Nordostindien. Als im Frühjahr 1895 der
Emir gefährlich krank war, fürchtetet: die Engländer in Kabul, die für den
Emir arbeiten, ernstlich für ihr Leben. Irgend eine andre bedeutende Stütze,
als den mit Geld erkauften Emir, hat England nicht im Lande. Die Eng¬
länder wollen mit ihrer manchmal unglaublich naiven Gabe, sich selbst So¬
phismen einzureden, in ihren wiederholten Rückmärschen aus Afghanistan einen
Beweis dafür geliefert haben, daß sie das Land nicht zu haben wünschen.
Sie meinen, sie stünden darum in deu Augen der Afghanen reiner da als die
Russen, die den Hindukusch als Grenze ihrer asiatischen Besitzungen, aber nicht
ihrer Machtsphäre offen verlangen. Sie leben hier in einer um so gefährlichern
Täuschung, als sie thatsächlich afghanische Gebiete genommen haben, während


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[0163] Zur Uenntnis der englischen Weltpolitik statten mit Geld und Rat zur Hand geht. Aus dieser Stellung Englands, die mau von vornherein als zweideutig und höchst gewagt bezeichnen muß, folgt auch sein Bemühen, den gegenwärtigen Emir gegen alle Rivalen zu unter- stützen, und die Rückgabe Kcmdahars nach der Eroberung von 1379, die den Zweck hatte, ihn finanziell zu kräftigen, denn Kcindahar und überhaupt Süd- afghauistan ist viel ertragreicher als der Norden. Ebenso reiht sich darau mit Notwendigkeit die Einmischung Englands in die afghanisch-russischen Grenz¬ fragen, die 1885 und 1894 zu bedeutenden Reibungen führte, ohne daß Afghanistans Ansprüche vollständig erfüllt werden konnten, und die kaum glaub¬ liche Einwilligung in die Verschließung Afghanistans und das Fallenlassen der alten Forderung der Zulassung einer ständigen englischen Gesandtschaft in Kabul. Diese ist gewissermaßen die Besieglung der Gcsaudteumorde von 1842 und 1878. Es ist keine sehr ehrenreiche Stellung, die England hier einnimmt. Sie erinnert etwas an die Zeit, wo die Gesandten der Ostindischen Kompagnie Handelsvvrteile mit Demütigungen erkauften. Und doch herrscht im Osten überall nur der, der den Glauben an seine Kraft und seinen Sieg felsenfest zu gründen weiß! Afghanistan ist noch hente allen Engländern verschlossen, die nicht Mitglieder von Gesandtschaften oder im Dienste des Emirs sind. Fünfzig Kilometer von Peschauer liegt Lundi Khotal. Soweit kann ein Engländer vor¬ dringen, wenn er sich einer der Karawanen anschließt, für die an bestimmten Tagen der Woche der Khaiberpaß geöffnet wird, wo sie dann durch die vou England bezahlten Afridis und Schinwaris, sonst Straßenräitber, bis an die afghanische Grenze eskortirt werden. Von da sind es noch 260 Kilometer bis Kabul. Das englische Gebiet endet schon 15 Kilometer oberhalb Peschauer bei Djumrud. Aber der 35 Kilometer breite, den Afridis gehörige Streifen, in dem der Khaiberpaß liegt, ist infolge der großen Unterstützung der Engländer (80000 Rupien jährlich) politisch doch noch als englisches Gebiet anzusehen. England hat sich keine Sympathien in Afghanistan erworben. Das wirft von vornherein einen Schatten auf feine ganze Stellung in dem mit Afghanistan durch so viele Fäden verbundnen Nordostindien. Als im Frühjahr 1895 der Emir gefährlich krank war, fürchtetet: die Engländer in Kabul, die für den Emir arbeiten, ernstlich für ihr Leben. Irgend eine andre bedeutende Stütze, als den mit Geld erkauften Emir, hat England nicht im Lande. Die Eng¬ länder wollen mit ihrer manchmal unglaublich naiven Gabe, sich selbst So¬ phismen einzureden, in ihren wiederholten Rückmärschen aus Afghanistan einen Beweis dafür geliefert haben, daß sie das Land nicht zu haben wünschen. Sie meinen, sie stünden darum in deu Augen der Afghanen reiner da als die Russen, die den Hindukusch als Grenze ihrer asiatischen Besitzungen, aber nicht ihrer Machtsphäre offen verlangen. Sie leben hier in einer um so gefährlichern Täuschung, als sie thatsächlich afghanische Gebiete genommen haben, während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/163>, abgerufen am 23.06.2024.