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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Sobald sich nun die neu zu gründende Verfassung mit der äußern Politik
zu berühren beginnt, bildet die Hauptsorge das Verhältnis zu Österreich mit
seinen vielen aufstrebenden und einander widerstreitenden Nationalitäten. Man
begreift, daß die Deutschösterreicher zu dem neuen deutschen Reiche gehören
wollen, und auch daß sie den Wert der nichtdeutschen Vorposten in Österreich,
der Ungarn, Italiener u. s. w., möglichst hoch anschlagen. Weniger verständlich
ist es, daß man sich in einer Versammlung, die die Verfassung des neuen
Reichs feststellen soll, manchmal mehr um die Zukunft Ungarns sorgt oder
über die dereinstige Einigung Italiens den Kopf zerbricht, als thut, wozu
man berufen ist. Wenn aber vollends ein preußischer General alles Ernstes
zweifelt, ob ohne Oberitalien Österreich, ja selbst Süddeutschland und der
Oberrhein strategisch noch verteidigungsfähig sei (Radvwitz, 12. August 1848),
so kommt es uus wohl heute besonders lebhast zum Bewußtsein, daß wir hier
nur noch in geschichtlichen Erinnerungen blättern. Denn von hier haben wir
wirklich nicht mehr weit bis zu den Argumenten der Dichter und Gelehrten.
Astrild möchte Österreich nicht aufgeben, weil es ihm, wenn österreichische
Abgeordnete im Saale sprachen, selbst wenn sie ihm widersprachen, doch so
war, "als ob er eine Stimme von den Tiroler Bergen vernehme oder das
Adriatischc Meer rauschen höre. . . . Wie verengt sich unser Gesichtskreis, wenn
Österreich von uus ausgeschieden ist! Die östlichen Hochgebirge weichen zurück,
die volle und breite Donau spiegelt nicht mehr deutsche Ufer." Und Jakob Grimm
hält an Schleswig fest, weil von dort aus die Cimbern und Teutonen "den
mächtigen Römern unüberwindlichen Schrecken einflößten," und weil die Juden
nach seinen Untersuchungen ein germanischer Volksstamm sind, "obwohl hier
uicht der Ort sein würde, in das einzelne solcher Ergebnisse sich zu verbreiten."
Einige Monate später ruft dann ein wirklicher Politiker, Giskra, in einer
pathetischen Rede die stolzen Worte aus: "Was können Thatsachen, die im
Augenblick in der Heimat vorgehen, bestimmend sein in den Grundsätzen dessen,
was für Deutschlands Zukunft als recht erkannt wird!" und "Wir sind allein
kvnstituirend, und keine Macht der Welt hat hier dareinzureden, weder Kaiser
noch König" (20. Oktober 1848). Sechs Tage darauf erwähnt schon sein
Landsmann Vcrger das "Gerücht," daß Windischgrätz in Wien eingezogen sei,
und so wurden denn jene "Thatsachen" Giskras wirklich "bestimmend."

Aber die "Verfassung" wird weiter beraten. Das Hauptwort haben
wieder Gelehrte, denen sich als Komiker der Turnvater Jahr zugesellt und,
diesmal ebenfalls als Komiker, Uhland: "Die Revolution und ein Erbkaiser,
das ist ein Jüngling mit grauen Haaren" oder: "Das wäre dem natürlichen
Wachstum der neu erstehenden deutschen Eiche nicht gemäß, wenn wir ihrem
Gipfel ein Brutnest erblicher Reichsadler aussetzen wollten." Nun, das sind
Geister besondrer Art, die darum auch ihre eigne Sprache reden. Aber wie
mutet es uns heute an, wenn ein berühmter Geschichtsforscher, der eine deutsche


Sobald sich nun die neu zu gründende Verfassung mit der äußern Politik
zu berühren beginnt, bildet die Hauptsorge das Verhältnis zu Österreich mit
seinen vielen aufstrebenden und einander widerstreitenden Nationalitäten. Man
begreift, daß die Deutschösterreicher zu dem neuen deutschen Reiche gehören
wollen, und auch daß sie den Wert der nichtdeutschen Vorposten in Österreich,
der Ungarn, Italiener u. s. w., möglichst hoch anschlagen. Weniger verständlich
ist es, daß man sich in einer Versammlung, die die Verfassung des neuen
Reichs feststellen soll, manchmal mehr um die Zukunft Ungarns sorgt oder
über die dereinstige Einigung Italiens den Kopf zerbricht, als thut, wozu
man berufen ist. Wenn aber vollends ein preußischer General alles Ernstes
zweifelt, ob ohne Oberitalien Österreich, ja selbst Süddeutschland und der
Oberrhein strategisch noch verteidigungsfähig sei (Radvwitz, 12. August 1848),
so kommt es uus wohl heute besonders lebhast zum Bewußtsein, daß wir hier
nur noch in geschichtlichen Erinnerungen blättern. Denn von hier haben wir
wirklich nicht mehr weit bis zu den Argumenten der Dichter und Gelehrten.
Astrild möchte Österreich nicht aufgeben, weil es ihm, wenn österreichische
Abgeordnete im Saale sprachen, selbst wenn sie ihm widersprachen, doch so
war, „als ob er eine Stimme von den Tiroler Bergen vernehme oder das
Adriatischc Meer rauschen höre. . . . Wie verengt sich unser Gesichtskreis, wenn
Österreich von uus ausgeschieden ist! Die östlichen Hochgebirge weichen zurück,
die volle und breite Donau spiegelt nicht mehr deutsche Ufer." Und Jakob Grimm
hält an Schleswig fest, weil von dort aus die Cimbern und Teutonen „den
mächtigen Römern unüberwindlichen Schrecken einflößten," und weil die Juden
nach seinen Untersuchungen ein germanischer Volksstamm sind, „obwohl hier
uicht der Ort sein würde, in das einzelne solcher Ergebnisse sich zu verbreiten."
Einige Monate später ruft dann ein wirklicher Politiker, Giskra, in einer
pathetischen Rede die stolzen Worte aus: „Was können Thatsachen, die im
Augenblick in der Heimat vorgehen, bestimmend sein in den Grundsätzen dessen,
was für Deutschlands Zukunft als recht erkannt wird!" und „Wir sind allein
kvnstituirend, und keine Macht der Welt hat hier dareinzureden, weder Kaiser
noch König" (20. Oktober 1848). Sechs Tage darauf erwähnt schon sein
Landsmann Vcrger das „Gerücht," daß Windischgrätz in Wien eingezogen sei,
und so wurden denn jene „Thatsachen" Giskras wirklich „bestimmend."

Aber die „Verfassung" wird weiter beraten. Das Hauptwort haben
wieder Gelehrte, denen sich als Komiker der Turnvater Jahr zugesellt und,
diesmal ebenfalls als Komiker, Uhland: „Die Revolution und ein Erbkaiser,
das ist ein Jüngling mit grauen Haaren" oder: „Das wäre dem natürlichen
Wachstum der neu erstehenden deutschen Eiche nicht gemäß, wenn wir ihrem
Gipfel ein Brutnest erblicher Reichsadler aussetzen wollten." Nun, das sind
Geister besondrer Art, die darum auch ihre eigne Sprache reden. Aber wie
mutet es uns heute an, wenn ein berühmter Geschichtsforscher, der eine deutsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/139>, abgerufen am 01.07.2024.