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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Lage des Handwerks

werbegenvssen am Orte teil hätten. Die Industriehalle in Mainz war von
dem Prvvinzialdirektor bei ihrem funfzigjährigen Jubiläum 1891 als ein
Schutz der Kleinmeister vor dem Großkapital gepriesen worden; dazu bemerkte
die sozialdemokratische Mainzer Volkszeitung: "Die Mainzer Industriehalle als
ein Institut zu bezeichnen, das dem Kleinmeister eine Stütze im wirtschaftlichen
Kampfe verleiht, ist mehr als naiv. Erstens ist nur ein Bruchteil der hiesigen
Schreinermeister Mitglied der Halle, und wen man nicht aufnehmen will, dem
sind die Thore dieser "Schutzwehr" verschlossen. In der Halle selbst aber
spielen die kleinen schutzbedürftiger Schreinermeister gar keine Rolle; die erste
Geige spielen die Herren X und U, Fabrikanten und Großmeister, und wie
schon des öftern von glaubwürdiger Seite versichert wurde, herrscht unter den
wirklich kleinen Meistern, die Mitglieder sind, große Unzufriedenheit; ihre un¬
vorteilhaften Produktionsbedingungen werden durch die Halle uicht aufgehoben,
und die Preise, die sie erzielen, sind nach Abzug der Spesen nicht höher, als
die, die andre erreichen. Trotz des Rufes, den die Halle, und zwar mit Recht,
genießt, ist durch sie die wirtschaftliche Lage der kleinen Meister um kein Haar
gebessert worden. Dagegen geben wir gern zu, daß durch die Halle eine An¬
zahl Personen in angenehmer Stellung sind, und daß einige Fabrikanten als
Mitglieder gute Geschäfte machen." Eine Erwiderung hierauf, setzt der Bericht¬
erstatter Dr. Hirsch hinzu, "folgte unsers Wissens nicht. Allzuviel wäre auch
uicht dagegen einzuwenden gewesen." An andern Orten haben wir selbst zu
beobachten Gelegenheit gehabt, wie "die vereinigten Tischler" im Laufe einiger
Jahre zu einer aus vier bis fünf Personen bestehenden Handelsgesellschaft zu¬
sammenschrumpften.

Die andre Wirkung der modernen Vornehmheit besteht in der gänzlichen
Absonderung der Wohnungen der vornehmen Leute von den Wohnungen und
Werkstätten der Handwerker. Wenn es einmal in einem guten Hause nach
übergelaufnem Leim röche, wenn man hämmern und feilen hörte, wenn man
in der Hausflur öfter Werkstücke schleppenden schmutzigen Burschen begegnete, so
würde der Wirt alle "anständigen" Mieter verlieren. Die Folge davon ist,
daß das arbeitende Volk in immer engere, dunklere Winkel zurückgedrängt wird,
und daß, je großartiger und schöner sich die Glanzseite der Städte entfaltet,
die Wohnungen und Arbeitsstätten der Armen desto häßlicher werden, u. a.
auch aus dem Grunde, weil sich die Hauswirte proletarischer Mieter wegen
nicht leicht in Unkosten stürzen, daher die Öfen. Fenster. Thüren verfallen
lassen, weder für Sauberkeit noch für Ausbesserung oder neuen Anstrich der
Wände sorgen. Wie anders als in einem solchen von der Öffentlichkeit und
vom Lichte abgesperrten Loche haust und hämmert sichs doch im Süden, schon
in Südtirol, wo selbst an den Hauptstraßen der Schuster, der Vlechschmied in
einer offnen Halle arbeitet, mit dem Nachbar über die Straße hinüber plaudert,
die Vorübergehenden begrüßt, sich nicht als Paria fühlt; much Lehrlinge und


Die Lage des Handwerks

werbegenvssen am Orte teil hätten. Die Industriehalle in Mainz war von
dem Prvvinzialdirektor bei ihrem funfzigjährigen Jubiläum 1891 als ein
Schutz der Kleinmeister vor dem Großkapital gepriesen worden; dazu bemerkte
die sozialdemokratische Mainzer Volkszeitung: „Die Mainzer Industriehalle als
ein Institut zu bezeichnen, das dem Kleinmeister eine Stütze im wirtschaftlichen
Kampfe verleiht, ist mehr als naiv. Erstens ist nur ein Bruchteil der hiesigen
Schreinermeister Mitglied der Halle, und wen man nicht aufnehmen will, dem
sind die Thore dieser »Schutzwehr« verschlossen. In der Halle selbst aber
spielen die kleinen schutzbedürftiger Schreinermeister gar keine Rolle; die erste
Geige spielen die Herren X und U, Fabrikanten und Großmeister, und wie
schon des öftern von glaubwürdiger Seite versichert wurde, herrscht unter den
wirklich kleinen Meistern, die Mitglieder sind, große Unzufriedenheit; ihre un¬
vorteilhaften Produktionsbedingungen werden durch die Halle uicht aufgehoben,
und die Preise, die sie erzielen, sind nach Abzug der Spesen nicht höher, als
die, die andre erreichen. Trotz des Rufes, den die Halle, und zwar mit Recht,
genießt, ist durch sie die wirtschaftliche Lage der kleinen Meister um kein Haar
gebessert worden. Dagegen geben wir gern zu, daß durch die Halle eine An¬
zahl Personen in angenehmer Stellung sind, und daß einige Fabrikanten als
Mitglieder gute Geschäfte machen." Eine Erwiderung hierauf, setzt der Bericht¬
erstatter Dr. Hirsch hinzu, „folgte unsers Wissens nicht. Allzuviel wäre auch
uicht dagegen einzuwenden gewesen." An andern Orten haben wir selbst zu
beobachten Gelegenheit gehabt, wie „die vereinigten Tischler" im Laufe einiger
Jahre zu einer aus vier bis fünf Personen bestehenden Handelsgesellschaft zu¬
sammenschrumpften.

Die andre Wirkung der modernen Vornehmheit besteht in der gänzlichen
Absonderung der Wohnungen der vornehmen Leute von den Wohnungen und
Werkstätten der Handwerker. Wenn es einmal in einem guten Hause nach
übergelaufnem Leim röche, wenn man hämmern und feilen hörte, wenn man
in der Hausflur öfter Werkstücke schleppenden schmutzigen Burschen begegnete, so
würde der Wirt alle „anständigen" Mieter verlieren. Die Folge davon ist,
daß das arbeitende Volk in immer engere, dunklere Winkel zurückgedrängt wird,
und daß, je großartiger und schöner sich die Glanzseite der Städte entfaltet,
die Wohnungen und Arbeitsstätten der Armen desto häßlicher werden, u. a.
auch aus dem Grunde, weil sich die Hauswirte proletarischer Mieter wegen
nicht leicht in Unkosten stürzen, daher die Öfen. Fenster. Thüren verfallen
lassen, weder für Sauberkeit noch für Ausbesserung oder neuen Anstrich der
Wände sorgen. Wie anders als in einem solchen von der Öffentlichkeit und
vom Lichte abgesperrten Loche haust und hämmert sichs doch im Süden, schon
in Südtirol, wo selbst an den Hauptstraßen der Schuster, der Vlechschmied in
einer offnen Halle arbeitet, mit dem Nachbar über die Straße hinüber plaudert,
die Vorübergehenden begrüßt, sich nicht als Paria fühlt; much Lehrlinge und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/135>, abgerufen am 24.07.2024.