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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Die Lage des Handwerks

solle". Die große Mannichfaltigkeit der Farben und der schnelle Wechsel der
Moden machen es dem Großbetrieb unmöglich, zu jedem Malter- und Möbels
Stoffe die passenden Besatzartikel herzustellen. Der Großbetrieb hält sich an
weiße Ware, an dunkle, einfarbige in stets gangbaren Farben." Von hier,
von der Spinnerei und Weberei aus hat sich durch unberechtigte Verall¬
gemeinerung die Ansicht verbreitet, daß die Maschinenarbeit mit der Zeit alle
Handarbeit überflüssig machen werde. Mit gleichartigen Stücken einfachster
Form hat es auch die Nagelschmiederei zu thun, sie ist noch als Kleingewerbe
vorhanden, aber im Aussterben begriffen; die ihr verwandte Nadelfabrikation
ist schon seit langer Zeit keine Handarbeit mehr.

Wie gesagt, es ist weder die Maschine allein, noch die Kapitalmacht des
Großunternehmers allein, noch beides zusammen allein, was die kleinen Hand¬
iverker in eine üble Lage bringt, sondern unser ganzer gesellschaftlicher Zustand,
der allerdings ohne jene beiden Mächte nicht denkbar wäre. Er erzeugt einen
uuuuterbrvchueu raschen Wandel, der bald ein Gewerbe zurückdrängt, bald eins
hebt, bald ganz neue schasst, wie die Photographie, die moderne Zahntechnik,
die Fabrikation von Instrumenten und Apparaten für diese neuen Gewerbe.
Nicht die Fuhrwerkbesitzer, wie alle Welt erwartete, hat die Eisenbahn ge¬
schädigt, wohl aber die Kürschner. Ehemals waren Reisepelz und Fußsack all¬
gemeines Bedürfnis; hente, wo alle Welt in geheizten Eisenbahnwagen fährt,
braucht niemand mehr einen Fußsack, und statt der schweren Reisepelze werden
nur uoch leichte Gehpelze gekauft. Die Bunzlaner Töpfe, Pfannen und Krüge
werden zum Teil von Blechgefüßen, die Mineralwasserkruken des Westerwaldes
von Glasflaschen verdrängt. Dafür werden dann wieder irdne Bier- und
Wasserkrüge in altdeutschem Geschmack Mode. Innerhalb jedes einzelnen Ge¬
werbes fordert die Mode täglich neue Formen und Farben für die Produkte
und erfindet die Technik täglich neue, bessere Produktionsweisen, Werkzeuge
und Hilfsmittel. Dazu treibt das Anlagebedürfnis des Kapitals täglich neue
Industrien hervor, die teils durch Darbietung neuer Luxusartikel und Be¬
quemlichkeiten neue Bedürfnisse erzeugen, teils mit Halbfabrikaten und neuen
Werkzeugen der Produktion schon gebräuchlicher Waren zu Hilfe kommen; das
bringt manche bestehende Gewerbe ans der Mode und erschwert manchen mittel¬
losen Meistern die Produktion, erleichtert sie aber dafür deu bemittelten und
erschließt neue Erwerbsarten. (Vergl. unter andern,, was Dr. Steinitz 1,217
in Beziehung auf die Töpferei im Kreise Bunzlau hierüber sagt.) Der ge¬
wandte, scharf und weitblickende, geschickte, energische Handwerker, der sich
diesem Wechsel anzupassen, jedes neue Muster nachzuahmen, jeden neuen Prv-
duktionsvortcil zu benutzen, die beste Kundschaft aufzusuchen, gut zu kalkuliren
versteht, und der, was die Hauptsache ist, zu alledem Geld hat, befindet sich
ausnehmend Wohl lind hat mehr Aussicht, vorwärts zu kommen, sich zum
Fabrikanten emporzuschwingen, als je zuvor. "Man kann jetzt in der Schlosserei


Die Lage des Handwerks

solle». Die große Mannichfaltigkeit der Farben und der schnelle Wechsel der
Moden machen es dem Großbetrieb unmöglich, zu jedem Malter- und Möbels
Stoffe die passenden Besatzartikel herzustellen. Der Großbetrieb hält sich an
weiße Ware, an dunkle, einfarbige in stets gangbaren Farben." Von hier,
von der Spinnerei und Weberei aus hat sich durch unberechtigte Verall¬
gemeinerung die Ansicht verbreitet, daß die Maschinenarbeit mit der Zeit alle
Handarbeit überflüssig machen werde. Mit gleichartigen Stücken einfachster
Form hat es auch die Nagelschmiederei zu thun, sie ist noch als Kleingewerbe
vorhanden, aber im Aussterben begriffen; die ihr verwandte Nadelfabrikation
ist schon seit langer Zeit keine Handarbeit mehr.

Wie gesagt, es ist weder die Maschine allein, noch die Kapitalmacht des
Großunternehmers allein, noch beides zusammen allein, was die kleinen Hand¬
iverker in eine üble Lage bringt, sondern unser ganzer gesellschaftlicher Zustand,
der allerdings ohne jene beiden Mächte nicht denkbar wäre. Er erzeugt einen
uuuuterbrvchueu raschen Wandel, der bald ein Gewerbe zurückdrängt, bald eins
hebt, bald ganz neue schasst, wie die Photographie, die moderne Zahntechnik,
die Fabrikation von Instrumenten und Apparaten für diese neuen Gewerbe.
Nicht die Fuhrwerkbesitzer, wie alle Welt erwartete, hat die Eisenbahn ge¬
schädigt, wohl aber die Kürschner. Ehemals waren Reisepelz und Fußsack all¬
gemeines Bedürfnis; hente, wo alle Welt in geheizten Eisenbahnwagen fährt,
braucht niemand mehr einen Fußsack, und statt der schweren Reisepelze werden
nur uoch leichte Gehpelze gekauft. Die Bunzlaner Töpfe, Pfannen und Krüge
werden zum Teil von Blechgefüßen, die Mineralwasserkruken des Westerwaldes
von Glasflaschen verdrängt. Dafür werden dann wieder irdne Bier- und
Wasserkrüge in altdeutschem Geschmack Mode. Innerhalb jedes einzelnen Ge¬
werbes fordert die Mode täglich neue Formen und Farben für die Produkte
und erfindet die Technik täglich neue, bessere Produktionsweisen, Werkzeuge
und Hilfsmittel. Dazu treibt das Anlagebedürfnis des Kapitals täglich neue
Industrien hervor, die teils durch Darbietung neuer Luxusartikel und Be¬
quemlichkeiten neue Bedürfnisse erzeugen, teils mit Halbfabrikaten und neuen
Werkzeugen der Produktion schon gebräuchlicher Waren zu Hilfe kommen; das
bringt manche bestehende Gewerbe ans der Mode und erschwert manchen mittel¬
losen Meistern die Produktion, erleichtert sie aber dafür deu bemittelten und
erschließt neue Erwerbsarten. (Vergl. unter andern,, was Dr. Steinitz 1,217
in Beziehung auf die Töpferei im Kreise Bunzlau hierüber sagt.) Der ge¬
wandte, scharf und weitblickende, geschickte, energische Handwerker, der sich
diesem Wechsel anzupassen, jedes neue Muster nachzuahmen, jeden neuen Prv-
duktionsvortcil zu benutzen, die beste Kundschaft aufzusuchen, gut zu kalkuliren
versteht, und der, was die Hauptsache ist, zu alledem Geld hat, befindet sich
ausnehmend Wohl lind hat mehr Aussicht, vorwärts zu kommen, sich zum
Fabrikanten emporzuschwingen, als je zuvor. „Man kann jetzt in der Schlosserei


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[0133] Die Lage des Handwerks solle». Die große Mannichfaltigkeit der Farben und der schnelle Wechsel der Moden machen es dem Großbetrieb unmöglich, zu jedem Malter- und Möbels Stoffe die passenden Besatzartikel herzustellen. Der Großbetrieb hält sich an weiße Ware, an dunkle, einfarbige in stets gangbaren Farben." Von hier, von der Spinnerei und Weberei aus hat sich durch unberechtigte Verall¬ gemeinerung die Ansicht verbreitet, daß die Maschinenarbeit mit der Zeit alle Handarbeit überflüssig machen werde. Mit gleichartigen Stücken einfachster Form hat es auch die Nagelschmiederei zu thun, sie ist noch als Kleingewerbe vorhanden, aber im Aussterben begriffen; die ihr verwandte Nadelfabrikation ist schon seit langer Zeit keine Handarbeit mehr. Wie gesagt, es ist weder die Maschine allein, noch die Kapitalmacht des Großunternehmers allein, noch beides zusammen allein, was die kleinen Hand¬ iverker in eine üble Lage bringt, sondern unser ganzer gesellschaftlicher Zustand, der allerdings ohne jene beiden Mächte nicht denkbar wäre. Er erzeugt einen uuuuterbrvchueu raschen Wandel, der bald ein Gewerbe zurückdrängt, bald eins hebt, bald ganz neue schasst, wie die Photographie, die moderne Zahntechnik, die Fabrikation von Instrumenten und Apparaten für diese neuen Gewerbe. Nicht die Fuhrwerkbesitzer, wie alle Welt erwartete, hat die Eisenbahn ge¬ schädigt, wohl aber die Kürschner. Ehemals waren Reisepelz und Fußsack all¬ gemeines Bedürfnis; hente, wo alle Welt in geheizten Eisenbahnwagen fährt, braucht niemand mehr einen Fußsack, und statt der schweren Reisepelze werden nur uoch leichte Gehpelze gekauft. Die Bunzlaner Töpfe, Pfannen und Krüge werden zum Teil von Blechgefüßen, die Mineralwasserkruken des Westerwaldes von Glasflaschen verdrängt. Dafür werden dann wieder irdne Bier- und Wasserkrüge in altdeutschem Geschmack Mode. Innerhalb jedes einzelnen Ge¬ werbes fordert die Mode täglich neue Formen und Farben für die Produkte und erfindet die Technik täglich neue, bessere Produktionsweisen, Werkzeuge und Hilfsmittel. Dazu treibt das Anlagebedürfnis des Kapitals täglich neue Industrien hervor, die teils durch Darbietung neuer Luxusartikel und Be¬ quemlichkeiten neue Bedürfnisse erzeugen, teils mit Halbfabrikaten und neuen Werkzeugen der Produktion schon gebräuchlicher Waren zu Hilfe kommen; das bringt manche bestehende Gewerbe ans der Mode und erschwert manchen mittel¬ losen Meistern die Produktion, erleichtert sie aber dafür deu bemittelten und erschließt neue Erwerbsarten. (Vergl. unter andern,, was Dr. Steinitz 1,217 in Beziehung auf die Töpferei im Kreise Bunzlau hierüber sagt.) Der ge¬ wandte, scharf und weitblickende, geschickte, energische Handwerker, der sich diesem Wechsel anzupassen, jedes neue Muster nachzuahmen, jeden neuen Prv- duktionsvortcil zu benutzen, die beste Kundschaft aufzusuchen, gut zu kalkuliren versteht, und der, was die Hauptsache ist, zu alledem Geld hat, befindet sich ausnehmend Wohl lind hat mehr Aussicht, vorwärts zu kommen, sich zum Fabrikanten emporzuschwingen, als je zuvor. „Man kann jetzt in der Schlosserei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/133>, abgerufen am 24.07.2024.