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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung

kommenden betraut ist, warum sollte sie dasselbe Vertrauen uicht hinsichtlich
der Anstellung der Anwälte verdienen? zumal da sie doch thatsächlich eine
große Einwirkung auf den Anwaltsstand hat, wo die Berufe des Nechts-
anwalts und des Notars mit einander verbunden sind; wie oft läßt sich ein
Anwalt lediglich in der Hoffnung nieder, bald zum Notar ernannt zu werden!
Wilmowski wendet ein, daß früher zu Anwälten sehr oft ältere Richter ernannt
wurden, die nicht Lust zum Anwaltsbcrus, sondern ganz andre Gründe zur
Bewerbung um eine Anwaltsstelle veranlaßten. Aber ist es denn etwa heute
vorzugsweise die Neigung zum Anwaltsberuf, die junge Juristen veranlaßt,
Anwalt zu werden? Das Bestreben, schnell einen eignen Hausstand zu gründen
oder schleunigst einen, wenn auch nur geringen Erwerb zu haben, das Be¬
streben, seinen Aufenthalt an bestimmten Orten, namentlich in großen Städten
zu nehmen, verbunden mit Überschätzung der eignen Fähigkeiten, das ist der
Anlaß zu der im Erlaß des Ministers und auch von Wilmowski beklagten
Thatsache, daß sich junge Juristen ohne jede Selbstprüfung als Anwälte bei
Gerichten jeder Ordnung niederlassen. Der Mißstand, daß ein junger Assessor
von ganz mäßigen Fähigkeiten mit Rücksicht auf seine Verwandtschaft oder Be¬
kanntschaft mit Anwälten der ersten Instanz seinen Dienst der Rechtspflege gerade
beim Oberlandesgericht widmet, würde aufhören, wenn die Justizverwaltung
die Ernennung der Anwälte in der Hand hätte. Freilich würde es dann nicht
mehr möglich sein, daß die Advokatur eine Zufluchtsstätte für Richter ist,
denen politische Gründe das Verbleiben im Staatsdienst unmöglich gemacht
haben; aber bei Feststellung der Grundlagen einer Rechtsanwaltsordnung hat
man ausschließlich das Interesse der Staatsangehörigen, die zum Prozeß ge¬
nötigt sind, also das Interesse der Rechtspflege im Auge zu behalten. Fordert
dieses eine geschlossene Advokatur, so können politische Rücksichten niemals
in Betracht kommen. Das Interesse der Rechtspflege wird aber von einer
verantwortlichen obersten Staatsbehörde stets besser wahrgenommen werden,
als von dem guten Willen des Einzelnen. Daß auch das staatliche Ernennnngs-
recht Nachteile haben kann, daß vielleicht unverdiente Zurücksetzungen oder
Bevorzugungen vorkommen werden, ist nicht zu bezweifeln. Doch ist wohl der
Schluß nicht gewagt, daß das staatliche Ernennungsrecht auch heute dieselben
Folgen haben wird, die es bis 1879 in Preußen hatte. Darnach würden
also -- um auch hier Wilmowskis eigne Worte zu gebrauchen -- nicht mehr
in den Anwaltstand Leute eindringen, "deren Fernbleiben im Interesse des
Publikums, der Gerichte und der Rechtsanwälte wünschenswert gewesen wäre";
es würden nicht "ganz junge Juristen, sondern nur erfahrne Männer zu An¬
waltsstellen gelangen"; "Fälle mangelnden Anstands, egoistischer Rücksichts¬
losigkeit und anstandswidrige Versuche, sich um Erwerbung von Praxis zu
bemühen," würden selten werden, und die Richter würden nicht mehr die
Anwälte "als eine untergeordnete, durchschnittlich zum Schlechten geneigte,


Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung

kommenden betraut ist, warum sollte sie dasselbe Vertrauen uicht hinsichtlich
der Anstellung der Anwälte verdienen? zumal da sie doch thatsächlich eine
große Einwirkung auf den Anwaltsstand hat, wo die Berufe des Nechts-
anwalts und des Notars mit einander verbunden sind; wie oft läßt sich ein
Anwalt lediglich in der Hoffnung nieder, bald zum Notar ernannt zu werden!
Wilmowski wendet ein, daß früher zu Anwälten sehr oft ältere Richter ernannt
wurden, die nicht Lust zum Anwaltsbcrus, sondern ganz andre Gründe zur
Bewerbung um eine Anwaltsstelle veranlaßten. Aber ist es denn etwa heute
vorzugsweise die Neigung zum Anwaltsberuf, die junge Juristen veranlaßt,
Anwalt zu werden? Das Bestreben, schnell einen eignen Hausstand zu gründen
oder schleunigst einen, wenn auch nur geringen Erwerb zu haben, das Be¬
streben, seinen Aufenthalt an bestimmten Orten, namentlich in großen Städten
zu nehmen, verbunden mit Überschätzung der eignen Fähigkeiten, das ist der
Anlaß zu der im Erlaß des Ministers und auch von Wilmowski beklagten
Thatsache, daß sich junge Juristen ohne jede Selbstprüfung als Anwälte bei
Gerichten jeder Ordnung niederlassen. Der Mißstand, daß ein junger Assessor
von ganz mäßigen Fähigkeiten mit Rücksicht auf seine Verwandtschaft oder Be¬
kanntschaft mit Anwälten der ersten Instanz seinen Dienst der Rechtspflege gerade
beim Oberlandesgericht widmet, würde aufhören, wenn die Justizverwaltung
die Ernennung der Anwälte in der Hand hätte. Freilich würde es dann nicht
mehr möglich sein, daß die Advokatur eine Zufluchtsstätte für Richter ist,
denen politische Gründe das Verbleiben im Staatsdienst unmöglich gemacht
haben; aber bei Feststellung der Grundlagen einer Rechtsanwaltsordnung hat
man ausschließlich das Interesse der Staatsangehörigen, die zum Prozeß ge¬
nötigt sind, also das Interesse der Rechtspflege im Auge zu behalten. Fordert
dieses eine geschlossene Advokatur, so können politische Rücksichten niemals
in Betracht kommen. Das Interesse der Rechtspflege wird aber von einer
verantwortlichen obersten Staatsbehörde stets besser wahrgenommen werden,
als von dem guten Willen des Einzelnen. Daß auch das staatliche Ernennnngs-
recht Nachteile haben kann, daß vielleicht unverdiente Zurücksetzungen oder
Bevorzugungen vorkommen werden, ist nicht zu bezweifeln. Doch ist wohl der
Schluß nicht gewagt, daß das staatliche Ernennungsrecht auch heute dieselben
Folgen haben wird, die es bis 1879 in Preußen hatte. Darnach würden
also — um auch hier Wilmowskis eigne Worte zu gebrauchen — nicht mehr
in den Anwaltstand Leute eindringen, „deren Fernbleiben im Interesse des
Publikums, der Gerichte und der Rechtsanwälte wünschenswert gewesen wäre";
es würden nicht „ganz junge Juristen, sondern nur erfahrne Männer zu An¬
waltsstellen gelangen"; „Fälle mangelnden Anstands, egoistischer Rücksichts¬
losigkeit und anstandswidrige Versuche, sich um Erwerbung von Praxis zu
bemühen," würden selten werden, und die Richter würden nicht mehr die
Anwälte „als eine untergeordnete, durchschnittlich zum Schlechten geneigte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/124>, abgerufen am 24.07.2024.