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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung

der Rechtspflege, in deren Dienst der Anwalt steht. Ein unbeschäftigter Arzt
kann keiner! Schaden anrichten (?); ein unbeschäftigter Anwalt dagegen kann,
wie Wilmvwski selbst zugiebt, "in der vermitwvrtlichsteu, für seine Klienten
und Geguer empfindlichsten Weise eine unter Umständen sehr bedenkliche Thätig¬
keit entwickeln." Es giebt kaum einen Beruf, der an das Ehrgefühl des Mannes
so große Anforderungen stellte, wie der des Urwalds; denn der Anwalt hat
sich in seiner Berufsthätigkeit fortwährend in einem Widerstreit zwischen eignen
und fremden Interessen und zwischen fremden Interessen unter einander zu
entscheiden.

In den altländischen Provinzen Preußens wurde bis zum Oktober 1879
die Gerichtsbarkeit erster Instanz durch kollegialisch gebildete Kreisgerichte aus¬
geübt, die in den kleinen Provinzialstndten mit sechs bis zehn, in größer"
Städten mich mit wesentlich mehr Richtern besetzt waren; an jedem derartigen
kleinern Kreisgericht waren zwei bis vier Rechtsanwälte "angestellt." Diese
Zahl hatte die Justizverwaltung als dem Bedürfnis der Rechtspflege ent¬
sprechend festgestellt, und man hat nicht davon gehört, daß ein Teil dieser so
angestellten Anwälte wegen mangelnden Bedürfnisses unbeschäftigt gewesen sei,
oder daß diese Zahl dem vorhandnen Bedürfnis nicht genügt habe. In der
ersten Hälfte der sechziger Jahre wurden zahlreiche neue Anwaltsstellen ein¬
gerichtet, weil sich infolge der Vermehrung der Bevölkerung in Preußen die
Notwendigkeit der Vermehrung der Anwälte herausstellte. Von einer solchen
Vermehrung sür die großen Städte, wie sie um die Mitte der siebziger Jahre
notwendig gewesen wäre, sah mau wohl nur infolge der bevorstehenden Or-
ganisationsveränderuugen ab. Warum sollte nun nicht die Justizverwaltung
auch heute, wie zur Zeit der altpreußischen Gerichtsverfassung, annähernd fest¬
stellen können, wie groß im Interesse der Rechtspflege die Anzahl der bei
einem Gericht thätigen Anwälte sein müsse? Sollte die Justizverwaltung bei
einer unrichtigen Schätzung oder bei verändertem Bedürfnis ihrer Pflicht zu
Abänderungen nicht nachkommen, so mag der Minister darüber vor dem ganzen
Lande über seine Anschauungen Rechenschaft geben. Wenn z. B., wie Wilmowsti
meint, von den 500 Anwälten eines Berliner Gerichts etwa ein Drittel wenig
oder gar nicht beschäftigt sind, so wird man der Justizverwaltung schwerlich
den Vorwurf der Willkür machen können, wenn sie die im Interesse der Rechts¬
pflege notwendige Zahl von Anwälten auf 350 festsetzt und neue Ernennungen
ablehnt, solange diese Zahl überschritten ist. Um Willkür zu verhüten. mag
man gesetzliche Vorkehrungen treffen, daß etwa die Vermehrung oder Ver¬
minderung der Stellen nur auf übereinstimmenden Antrag des Oberlandes¬
gerichts und des Vorstandes der Anwaltskammer oder unter ähnlichen Voraus¬
setzungen erfolgen darf. Maßgebend für die Anstellung als Richter wie als
Rechtsanwalt kann nur das Interesse der Rechtspflege sein; wenn aber die
Justizverwaltung bei der Anstellung der Richter mit einer freien Machtvoll-


Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung

der Rechtspflege, in deren Dienst der Anwalt steht. Ein unbeschäftigter Arzt
kann keiner! Schaden anrichten (?); ein unbeschäftigter Anwalt dagegen kann,
wie Wilmvwski selbst zugiebt, „in der vermitwvrtlichsteu, für seine Klienten
und Geguer empfindlichsten Weise eine unter Umständen sehr bedenkliche Thätig¬
keit entwickeln." Es giebt kaum einen Beruf, der an das Ehrgefühl des Mannes
so große Anforderungen stellte, wie der des Urwalds; denn der Anwalt hat
sich in seiner Berufsthätigkeit fortwährend in einem Widerstreit zwischen eignen
und fremden Interessen und zwischen fremden Interessen unter einander zu
entscheiden.

In den altländischen Provinzen Preußens wurde bis zum Oktober 1879
die Gerichtsbarkeit erster Instanz durch kollegialisch gebildete Kreisgerichte aus¬
geübt, die in den kleinen Provinzialstndten mit sechs bis zehn, in größer»
Städten mich mit wesentlich mehr Richtern besetzt waren; an jedem derartigen
kleinern Kreisgericht waren zwei bis vier Rechtsanwälte „angestellt." Diese
Zahl hatte die Justizverwaltung als dem Bedürfnis der Rechtspflege ent¬
sprechend festgestellt, und man hat nicht davon gehört, daß ein Teil dieser so
angestellten Anwälte wegen mangelnden Bedürfnisses unbeschäftigt gewesen sei,
oder daß diese Zahl dem vorhandnen Bedürfnis nicht genügt habe. In der
ersten Hälfte der sechziger Jahre wurden zahlreiche neue Anwaltsstellen ein¬
gerichtet, weil sich infolge der Vermehrung der Bevölkerung in Preußen die
Notwendigkeit der Vermehrung der Anwälte herausstellte. Von einer solchen
Vermehrung sür die großen Städte, wie sie um die Mitte der siebziger Jahre
notwendig gewesen wäre, sah mau wohl nur infolge der bevorstehenden Or-
ganisationsveränderuugen ab. Warum sollte nun nicht die Justizverwaltung
auch heute, wie zur Zeit der altpreußischen Gerichtsverfassung, annähernd fest¬
stellen können, wie groß im Interesse der Rechtspflege die Anzahl der bei
einem Gericht thätigen Anwälte sein müsse? Sollte die Justizverwaltung bei
einer unrichtigen Schätzung oder bei verändertem Bedürfnis ihrer Pflicht zu
Abänderungen nicht nachkommen, so mag der Minister darüber vor dem ganzen
Lande über seine Anschauungen Rechenschaft geben. Wenn z. B., wie Wilmowsti
meint, von den 500 Anwälten eines Berliner Gerichts etwa ein Drittel wenig
oder gar nicht beschäftigt sind, so wird man der Justizverwaltung schwerlich
den Vorwurf der Willkür machen können, wenn sie die im Interesse der Rechts¬
pflege notwendige Zahl von Anwälten auf 350 festsetzt und neue Ernennungen
ablehnt, solange diese Zahl überschritten ist. Um Willkür zu verhüten. mag
man gesetzliche Vorkehrungen treffen, daß etwa die Vermehrung oder Ver¬
minderung der Stellen nur auf übereinstimmenden Antrag des Oberlandes¬
gerichts und des Vorstandes der Anwaltskammer oder unter ähnlichen Voraus¬
setzungen erfolgen darf. Maßgebend für die Anstellung als Richter wie als
Rechtsanwalt kann nur das Interesse der Rechtspflege sein; wenn aber die
Justizverwaltung bei der Anstellung der Richter mit einer freien Machtvoll-


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[0123] Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung der Rechtspflege, in deren Dienst der Anwalt steht. Ein unbeschäftigter Arzt kann keiner! Schaden anrichten (?); ein unbeschäftigter Anwalt dagegen kann, wie Wilmvwski selbst zugiebt, „in der vermitwvrtlichsteu, für seine Klienten und Geguer empfindlichsten Weise eine unter Umständen sehr bedenkliche Thätig¬ keit entwickeln." Es giebt kaum einen Beruf, der an das Ehrgefühl des Mannes so große Anforderungen stellte, wie der des Urwalds; denn der Anwalt hat sich in seiner Berufsthätigkeit fortwährend in einem Widerstreit zwischen eignen und fremden Interessen und zwischen fremden Interessen unter einander zu entscheiden. In den altländischen Provinzen Preußens wurde bis zum Oktober 1879 die Gerichtsbarkeit erster Instanz durch kollegialisch gebildete Kreisgerichte aus¬ geübt, die in den kleinen Provinzialstndten mit sechs bis zehn, in größer» Städten mich mit wesentlich mehr Richtern besetzt waren; an jedem derartigen kleinern Kreisgericht waren zwei bis vier Rechtsanwälte „angestellt." Diese Zahl hatte die Justizverwaltung als dem Bedürfnis der Rechtspflege ent¬ sprechend festgestellt, und man hat nicht davon gehört, daß ein Teil dieser so angestellten Anwälte wegen mangelnden Bedürfnisses unbeschäftigt gewesen sei, oder daß diese Zahl dem vorhandnen Bedürfnis nicht genügt habe. In der ersten Hälfte der sechziger Jahre wurden zahlreiche neue Anwaltsstellen ein¬ gerichtet, weil sich infolge der Vermehrung der Bevölkerung in Preußen die Notwendigkeit der Vermehrung der Anwälte herausstellte. Von einer solchen Vermehrung sür die großen Städte, wie sie um die Mitte der siebziger Jahre notwendig gewesen wäre, sah mau wohl nur infolge der bevorstehenden Or- ganisationsveränderuugen ab. Warum sollte nun nicht die Justizverwaltung auch heute, wie zur Zeit der altpreußischen Gerichtsverfassung, annähernd fest¬ stellen können, wie groß im Interesse der Rechtspflege die Anzahl der bei einem Gericht thätigen Anwälte sein müsse? Sollte die Justizverwaltung bei einer unrichtigen Schätzung oder bei verändertem Bedürfnis ihrer Pflicht zu Abänderungen nicht nachkommen, so mag der Minister darüber vor dem ganzen Lande über seine Anschauungen Rechenschaft geben. Wenn z. B., wie Wilmowsti meint, von den 500 Anwälten eines Berliner Gerichts etwa ein Drittel wenig oder gar nicht beschäftigt sind, so wird man der Justizverwaltung schwerlich den Vorwurf der Willkür machen können, wenn sie die im Interesse der Rechts¬ pflege notwendige Zahl von Anwälten auf 350 festsetzt und neue Ernennungen ablehnt, solange diese Zahl überschritten ist. Um Willkür zu verhüten. mag man gesetzliche Vorkehrungen treffen, daß etwa die Vermehrung oder Ver¬ minderung der Stellen nur auf übereinstimmenden Antrag des Oberlandes¬ gerichts und des Vorstandes der Anwaltskammer oder unter ähnlichen Voraus¬ setzungen erfolgen darf. Maßgebend für die Anstellung als Richter wie als Rechtsanwalt kann nur das Interesse der Rechtspflege sein; wenn aber die Justizverwaltung bei der Anstellung der Richter mit einer freien Machtvoll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/123>, abgerufen am 24.07.2024.