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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung

Er findet aber den Grund für diese bedenklichen Erscheinungen nicht in der
großen Zahl der Anwälte, sondern in dem Mangel an Takt, Standeswürde
und juristischer Reife für den Beruf, der bei manchen jüngern Mitglieder,?
des Anwaltsstaudes hervortrete; selbst die strengste Anwendung der ehren¬
gerichtlichen Zucht werde nicht ausreichen, den Mißständen entgegenzuwirken.
Dennoch erklärt sich Wilmowski gegen jede Beschränkung der Zahl der bei
einem Gericht zuzulassenden Anwälte und gegen jedes staatliche Ernennnngs-
recht; seine Gründe hierfür sind in Kürze folgende. Jede politische Partei
könne der Advokatur als eines Zufluchtsorts bedürfen, der von der Bestimmung
einer jeweiligen Behörde unabhängig sei; und die Beseitigung jeder staatlichen
Einwirkung auf die Zulassung sei im Interesse der notwendigen Unabhängig¬
keit der Rechtsanwälte unschätzbar. Ein Grund, der Behörde die Auswahl
unter mehreren Bewerbern einzuräumen, liege beim Rechtsanwalt ebensowenig
vor wie beim Arzte; der Staat, der dem Anwalt nichts gebe, sondern ihm
sein Fortkommen selbst überlasse, habe auch kein Recht, bezüglich des Orts
der Niederlassung Bestimmungen zu treffen. Bei Feststellung der Rechts-
auwaltsvrduuug habe man es für selbstverständlich gehalten, jede Beschränkung
in der Zahl der Anwälte zu beseitigen; eine zu große Zahl von Anwälten
sei weder schädlich, noch könne irgendwie zuverlässig bestimmt werden, mit
welcher Zahl von Anwälten dem Bedürfnis des Recht suchenden Publikums
genügt würde. Überdies fehle bei Festsetzung einer höchsten Zahl von Anwälten
jede Möglichkeit, den Nachwuchs angemessen zu regeln, wenn man nicht zu
dem von Wilmowski bekämpften behördlichen Ernennungsrecht zurückkehre.

Diese Gründe können nicht als durchschlagend anerkannt werden. Ins¬
besondre gilt das von der Gleichstellung des Rechtsauwalts mit dem Arzte.
Der Arzt dient den Zwecken der Gesundheitspflege der Privaten; die geht den
Staat nichts an, der Staat schreibt niemand vor, an wen er sich in Krank¬
heitsfällen zu halten habe, ob an einen geprüften Arzt oder an einen Kur¬
pfuscher, und der Staat hat daher dem Arzt ebensowenig wie irgendeinem
Geschäftsmann den Ort der Niederlassung vorzuschreiben. Der Beruf des
Rechtsauwalts dagegen steht im Dienste der Rechtspflege, und die ist eine
Pflicht ausschließlich des Staats; der Staat verpflichtet und zwingt seine
Angehörigen, sich zur Verwirklichung ihres Rechts an Rechtsanwälte zu
wenden, folglich hat er ein sehr großes Interesse an dem Fortkommen der
einzelnen Anwälte und an der Verfassung des Auwaltsstandes. Der bloße
Umstand also, daß der Anwalt sein Einkommen nicht von der "Staatskrippe"
bezieht, sondern sich selbst verdient, nimmt dem Staat nicht die Pflicht, die
Niederlassung des Urwalds so zu regeln, wie es das Interesse der Rechts¬
pflege erfordert. Denn Mißstände, die in der Rechtsanwaltschaft bestehen,
müssen notwendigerweise auf die Rechtspflege wirken.

Was die politische Unabhängigkeit des Rechtsauwalts betrifft, so ist die


Grenzboten IV 1895 15
Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung

Er findet aber den Grund für diese bedenklichen Erscheinungen nicht in der
großen Zahl der Anwälte, sondern in dem Mangel an Takt, Standeswürde
und juristischer Reife für den Beruf, der bei manchen jüngern Mitglieder,?
des Anwaltsstaudes hervortrete; selbst die strengste Anwendung der ehren¬
gerichtlichen Zucht werde nicht ausreichen, den Mißständen entgegenzuwirken.
Dennoch erklärt sich Wilmowski gegen jede Beschränkung der Zahl der bei
einem Gericht zuzulassenden Anwälte und gegen jedes staatliche Ernennnngs-
recht; seine Gründe hierfür sind in Kürze folgende. Jede politische Partei
könne der Advokatur als eines Zufluchtsorts bedürfen, der von der Bestimmung
einer jeweiligen Behörde unabhängig sei; und die Beseitigung jeder staatlichen
Einwirkung auf die Zulassung sei im Interesse der notwendigen Unabhängig¬
keit der Rechtsanwälte unschätzbar. Ein Grund, der Behörde die Auswahl
unter mehreren Bewerbern einzuräumen, liege beim Rechtsanwalt ebensowenig
vor wie beim Arzte; der Staat, der dem Anwalt nichts gebe, sondern ihm
sein Fortkommen selbst überlasse, habe auch kein Recht, bezüglich des Orts
der Niederlassung Bestimmungen zu treffen. Bei Feststellung der Rechts-
auwaltsvrduuug habe man es für selbstverständlich gehalten, jede Beschränkung
in der Zahl der Anwälte zu beseitigen; eine zu große Zahl von Anwälten
sei weder schädlich, noch könne irgendwie zuverlässig bestimmt werden, mit
welcher Zahl von Anwälten dem Bedürfnis des Recht suchenden Publikums
genügt würde. Überdies fehle bei Festsetzung einer höchsten Zahl von Anwälten
jede Möglichkeit, den Nachwuchs angemessen zu regeln, wenn man nicht zu
dem von Wilmowski bekämpften behördlichen Ernennungsrecht zurückkehre.

Diese Gründe können nicht als durchschlagend anerkannt werden. Ins¬
besondre gilt das von der Gleichstellung des Rechtsauwalts mit dem Arzte.
Der Arzt dient den Zwecken der Gesundheitspflege der Privaten; die geht den
Staat nichts an, der Staat schreibt niemand vor, an wen er sich in Krank¬
heitsfällen zu halten habe, ob an einen geprüften Arzt oder an einen Kur¬
pfuscher, und der Staat hat daher dem Arzt ebensowenig wie irgendeinem
Geschäftsmann den Ort der Niederlassung vorzuschreiben. Der Beruf des
Rechtsauwalts dagegen steht im Dienste der Rechtspflege, und die ist eine
Pflicht ausschließlich des Staats; der Staat verpflichtet und zwingt seine
Angehörigen, sich zur Verwirklichung ihres Rechts an Rechtsanwälte zu
wenden, folglich hat er ein sehr großes Interesse an dem Fortkommen der
einzelnen Anwälte und an der Verfassung des Auwaltsstandes. Der bloße
Umstand also, daß der Anwalt sein Einkommen nicht von der „Staatskrippe"
bezieht, sondern sich selbst verdient, nimmt dem Staat nicht die Pflicht, die
Niederlassung des Urwalds so zu regeln, wie es das Interesse der Rechts¬
pflege erfordert. Denn Mißstände, die in der Rechtsanwaltschaft bestehen,
müssen notwendigerweise auf die Rechtspflege wirken.

Was die politische Unabhängigkeit des Rechtsauwalts betrifft, so ist die


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[0121] Zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung Er findet aber den Grund für diese bedenklichen Erscheinungen nicht in der großen Zahl der Anwälte, sondern in dem Mangel an Takt, Standeswürde und juristischer Reife für den Beruf, der bei manchen jüngern Mitglieder,? des Anwaltsstaudes hervortrete; selbst die strengste Anwendung der ehren¬ gerichtlichen Zucht werde nicht ausreichen, den Mißständen entgegenzuwirken. Dennoch erklärt sich Wilmowski gegen jede Beschränkung der Zahl der bei einem Gericht zuzulassenden Anwälte und gegen jedes staatliche Ernennnngs- recht; seine Gründe hierfür sind in Kürze folgende. Jede politische Partei könne der Advokatur als eines Zufluchtsorts bedürfen, der von der Bestimmung einer jeweiligen Behörde unabhängig sei; und die Beseitigung jeder staatlichen Einwirkung auf die Zulassung sei im Interesse der notwendigen Unabhängig¬ keit der Rechtsanwälte unschätzbar. Ein Grund, der Behörde die Auswahl unter mehreren Bewerbern einzuräumen, liege beim Rechtsanwalt ebensowenig vor wie beim Arzte; der Staat, der dem Anwalt nichts gebe, sondern ihm sein Fortkommen selbst überlasse, habe auch kein Recht, bezüglich des Orts der Niederlassung Bestimmungen zu treffen. Bei Feststellung der Rechts- auwaltsvrduuug habe man es für selbstverständlich gehalten, jede Beschränkung in der Zahl der Anwälte zu beseitigen; eine zu große Zahl von Anwälten sei weder schädlich, noch könne irgendwie zuverlässig bestimmt werden, mit welcher Zahl von Anwälten dem Bedürfnis des Recht suchenden Publikums genügt würde. Überdies fehle bei Festsetzung einer höchsten Zahl von Anwälten jede Möglichkeit, den Nachwuchs angemessen zu regeln, wenn man nicht zu dem von Wilmowski bekämpften behördlichen Ernennungsrecht zurückkehre. Diese Gründe können nicht als durchschlagend anerkannt werden. Ins¬ besondre gilt das von der Gleichstellung des Rechtsauwalts mit dem Arzte. Der Arzt dient den Zwecken der Gesundheitspflege der Privaten; die geht den Staat nichts an, der Staat schreibt niemand vor, an wen er sich in Krank¬ heitsfällen zu halten habe, ob an einen geprüften Arzt oder an einen Kur¬ pfuscher, und der Staat hat daher dem Arzt ebensowenig wie irgendeinem Geschäftsmann den Ort der Niederlassung vorzuschreiben. Der Beruf des Rechtsauwalts dagegen steht im Dienste der Rechtspflege, und die ist eine Pflicht ausschließlich des Staats; der Staat verpflichtet und zwingt seine Angehörigen, sich zur Verwirklichung ihres Rechts an Rechtsanwälte zu wenden, folglich hat er ein sehr großes Interesse an dem Fortkommen der einzelnen Anwälte und an der Verfassung des Auwaltsstandes. Der bloße Umstand also, daß der Anwalt sein Einkommen nicht von der „Staatskrippe" bezieht, sondern sich selbst verdient, nimmt dem Staat nicht die Pflicht, die Niederlassung des Urwalds so zu regeln, wie es das Interesse der Rechts¬ pflege erfordert. Denn Mißstände, die in der Rechtsanwaltschaft bestehen, müssen notwendigerweise auf die Rechtspflege wirken. Was die politische Unabhängigkeit des Rechtsauwalts betrifft, so ist die Grenzboten IV 1895 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/121>, abgerufen am 24.07.2024.