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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Nicolaus Becker und sein Rheinlied

unsern Volksliedern um die Kenntnis des Wortlauts schwach bestellt; was im
Gedächtnis der meisten haftet, ist allein die Melodie. Auf welche Melodie
aber sollte man sich heute beim Rheinlied einigen?

So verklang das Rheinlied nach einem Erfolge sondergleichen mit der
Kriegsfrage, aus der es hervorgegangen war, und der Dichter sank nach dem
kurzen Rausch der beglückendsten Volkstümlichkeit in seine frühere Unbekannt-
heit zurück. War es nun der sinnberückende Ruhm, oder war es die Ent¬
täuschung und der Schmerz über so viel unverdiente Angriffe, was ihn trieb,
in dem lustigen Kreise seiner Kölner Genossen mehr und mehr Zerstreuung zu
suchen? Am 14. Februar 1845 "hatte Becker nach kurzem Unwohlsein, das
er nicht genügend beachtet hatte, einen gefährlichen Blutsturz." Er suchte dann
in der Stille des Städtchens, wo ihm der große Wurf seines Lebens gelungen
war, im Hause eines Schwagers, Genesung. Aber die Schwindsucht kam zum
Ausbruch, die Kräfte schwanden. Wohl mochte er mit den Worten eines seiner
Lieder rufen:

Wohl mochte er sich hoffend sagen:

Es war vergebens. Am 28. August 1845 verschied er, vergessen von seinem
Volke, aber "geliebt und geachtet von allen, die ihn kannten, als ein braver,
harmloser, bescheidner Mann, als ein schlichtes, frommes, poetisches Gemüt."

Wenige Tage nach seinem Tode brachte die Kölnische Zeitung sein "letztes
Lied": "Auf dem Berge." Auf ragendem Berge neben seinem Strome fragt
der Dichter den "Tod," in welcher Gestalt er ihm nahen werde. Dann
schließt er:'

Doch möcht auch hier ich enden.
Aus dieses Berges ragendem Gestein,
Wo tausend Reben ihren Duft nur senden,
Und unten zieht mit stolzem Gang der Rhein.
Wo neu die Seele glüht, die Blicke streifen
Hinüber fern in alles deutsche Land,
Und alle Träume losgebunden schweifen,
Die, ach! so lange blieben festgebannt.
Ja, hier in voller Jugendkraft zu scheiden,
Hier in des Frühlings Hellem Sonnenhaus:
Es wäre ja ein lustverklärtes Leiden,
Wenn du hier löschtest meine Fackel aus.

Nicolaus Becker und sein Rheinlied

unsern Volksliedern um die Kenntnis des Wortlauts schwach bestellt; was im
Gedächtnis der meisten haftet, ist allein die Melodie. Auf welche Melodie
aber sollte man sich heute beim Rheinlied einigen?

So verklang das Rheinlied nach einem Erfolge sondergleichen mit der
Kriegsfrage, aus der es hervorgegangen war, und der Dichter sank nach dem
kurzen Rausch der beglückendsten Volkstümlichkeit in seine frühere Unbekannt-
heit zurück. War es nun der sinnberückende Ruhm, oder war es die Ent¬
täuschung und der Schmerz über so viel unverdiente Angriffe, was ihn trieb,
in dem lustigen Kreise seiner Kölner Genossen mehr und mehr Zerstreuung zu
suchen? Am 14. Februar 1845 „hatte Becker nach kurzem Unwohlsein, das
er nicht genügend beachtet hatte, einen gefährlichen Blutsturz." Er suchte dann
in der Stille des Städtchens, wo ihm der große Wurf seines Lebens gelungen
war, im Hause eines Schwagers, Genesung. Aber die Schwindsucht kam zum
Ausbruch, die Kräfte schwanden. Wohl mochte er mit den Worten eines seiner
Lieder rufen:

Wohl mochte er sich hoffend sagen:

Es war vergebens. Am 28. August 1845 verschied er, vergessen von seinem
Volke, aber „geliebt und geachtet von allen, die ihn kannten, als ein braver,
harmloser, bescheidner Mann, als ein schlichtes, frommes, poetisches Gemüt."

Wenige Tage nach seinem Tode brachte die Kölnische Zeitung sein „letztes
Lied": „Auf dem Berge." Auf ragendem Berge neben seinem Strome fragt
der Dichter den „Tod," in welcher Gestalt er ihm nahen werde. Dann
schließt er:'

Doch möcht auch hier ich enden.
Aus dieses Berges ragendem Gestein,
Wo tausend Reben ihren Duft nur senden,
Und unten zieht mit stolzem Gang der Rhein.
Wo neu die Seele glüht, die Blicke streifen
Hinüber fern in alles deutsche Land,
Und alle Träume losgebunden schweifen,
Die, ach! so lange blieben festgebannt.
Ja, hier in voller Jugendkraft zu scheiden,
Hier in des Frühlings Hellem Sonnenhaus:
Es wäre ja ein lustverklärtes Leiden,
Wenn du hier löschtest meine Fackel aus.

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[0579] Nicolaus Becker und sein Rheinlied unsern Volksliedern um die Kenntnis des Wortlauts schwach bestellt; was im Gedächtnis der meisten haftet, ist allein die Melodie. Auf welche Melodie aber sollte man sich heute beim Rheinlied einigen? So verklang das Rheinlied nach einem Erfolge sondergleichen mit der Kriegsfrage, aus der es hervorgegangen war, und der Dichter sank nach dem kurzen Rausch der beglückendsten Volkstümlichkeit in seine frühere Unbekannt- heit zurück. War es nun der sinnberückende Ruhm, oder war es die Ent¬ täuschung und der Schmerz über so viel unverdiente Angriffe, was ihn trieb, in dem lustigen Kreise seiner Kölner Genossen mehr und mehr Zerstreuung zu suchen? Am 14. Februar 1845 „hatte Becker nach kurzem Unwohlsein, das er nicht genügend beachtet hatte, einen gefährlichen Blutsturz." Er suchte dann in der Stille des Städtchens, wo ihm der große Wurf seines Lebens gelungen war, im Hause eines Schwagers, Genesung. Aber die Schwindsucht kam zum Ausbruch, die Kräfte schwanden. Wohl mochte er mit den Worten eines seiner Lieder rufen: Wohl mochte er sich hoffend sagen: Es war vergebens. Am 28. August 1845 verschied er, vergessen von seinem Volke, aber „geliebt und geachtet von allen, die ihn kannten, als ein braver, harmloser, bescheidner Mann, als ein schlichtes, frommes, poetisches Gemüt." Wenige Tage nach seinem Tode brachte die Kölnische Zeitung sein „letztes Lied": „Auf dem Berge." Auf ragendem Berge neben seinem Strome fragt der Dichter den „Tod," in welcher Gestalt er ihm nahen werde. Dann schließt er:' Doch möcht auch hier ich enden. Aus dieses Berges ragendem Gestein, Wo tausend Reben ihren Duft nur senden, Und unten zieht mit stolzem Gang der Rhein. Wo neu die Seele glüht, die Blicke streifen Hinüber fern in alles deutsche Land, Und alle Träume losgebunden schweifen, Die, ach! so lange blieben festgebannt. Ja, hier in voller Jugendkraft zu scheiden, Hier in des Frühlings Hellem Sonnenhaus: Es wäre ja ein lustverklärtes Leiden, Wenn du hier löschtest meine Fackel aus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/579>, abgerufen am 26.06.2024.