Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

einmal sehr schön und einfach ausdrückt, als er den jungen Schinkel, der von
einer Rheinreise zurückkehrte, antraf, nämlich die "Beziehung auf ein höheres
untergegangues Dasein, wie die Sehnsucht nach einem Verlornen Vaterland
und Bürgerrecht." Wären dann unsre Dichter aus den Befreiungskriegen
nicht gekommen, so hätte wohl diese Sehnsucht ewig Sehnsucht bleiben können,
und ihre Äußerung würde bald zur Phrase geworden sein. Statt dessen
wurden Arndt, Körner und Schenkendorf die Führer des nationalen Gedankens
in der Litteratur. Andre, wie Eichendorff, Rückert, Uhland, folgten und gaben
mancher Anregung der damaligen Zeit und Geschichte einen glücklichen, echt
volkstümlichen Ausdruck, der dann weiter wirkte. Und so giebt es dafür, daß
die Muse wenigstens bisweilen und in beschränktem Maße das Leben eines
Volkes zu leiten vermag, vielleicht kein schöneres Beispiel, als eben das unsrer
eignen ältern und jüngern Romantiker.

Auch in Italien entstand seit dem Anfang unsers Jahrhunderts eine
unsrer romantischen Schule verwandte Litteratur, die sogar einzelne Anregungen
aus Deutschland empfangen hat und sich dessen auch bewußt gewesen ist.
Aber des Liedes Ende war freilich sehr verschieden. Manche dieser Dichter
und Schriftsteller des "Jungen Italiens" sind bei uns in Deutschland recht
beliebt geworden, Silvio Pelileo durch die Beschreibung seiner Gefangenschaft,
Leopardi durch seine schönklingenden Verse, Giusti um seines Witzes und seines
feinen Sprachgefühls willen, und vor allem der ehrwürdige Manzoni wegen
seines berühmten Romans, des einzigen italienischen Romans vielleicht, den
wohl jeder Deutsche wenigstens dem Namen nach kennt. Aber das sind uur
die höchsten Spitzen dieser Gesellschaft, die sehr zahlreich ist. Denn die Be¬
wegung ist früher sehr tief gegangen, und sie äußert sich noch immer, wenn
sie auch gar keine Bedeutung mehr hat, weder für das politische Leben, uoch
sür die Litteratur. Sogar die Nachzügler haben noch ihre Gönner auch bei
uns in Deutschland. Giebt es doch auch noch Verehrer unsrer Revolutions¬
lieder von 1848 und 1849, obwohl unser deutsches Reich schließlich nicht
durch die Sänger jener Lieder zusammengesungen worden ist. Genau so wenig
Verdienst haben aber auch um das geeinigte Italien seine jüngsten Freiheits¬
dichter gehabt, und nicht viel mehr die ältern dieser ganzen Richtung. Es ist
alles in Italien gekommen "trotz alledem." Dabei ist es nun ganz interessant,
zu beobachten, wie die italienischen Romantiker, so laut und selbstvertrauend
sie auch ihre Verse erklingen lassen, doch wieder zu Zeiten die deutliche Em¬
pfindung dafür haben, daß sie nicht die wahren Ritter von Leier und Schwert
seien. Nur zeigt sich das natürlich nicht so unmittelbar und weniger in ihrer
Dichtung, als in ihrem Briefwechsel und in den Urteilen, die die einzelnen
Biographien enthalten. Daß sie dann unter den Gründen, warum in Italien
die Nativnallitteratur uicht so ihre Aufgabe hätte erfüllen können wie in
Deutschland, gern die übergehen, die ihnen am wenigsten angenehm sind,


einmal sehr schön und einfach ausdrückt, als er den jungen Schinkel, der von
einer Rheinreise zurückkehrte, antraf, nämlich die „Beziehung auf ein höheres
untergegangues Dasein, wie die Sehnsucht nach einem Verlornen Vaterland
und Bürgerrecht." Wären dann unsre Dichter aus den Befreiungskriegen
nicht gekommen, so hätte wohl diese Sehnsucht ewig Sehnsucht bleiben können,
und ihre Äußerung würde bald zur Phrase geworden sein. Statt dessen
wurden Arndt, Körner und Schenkendorf die Führer des nationalen Gedankens
in der Litteratur. Andre, wie Eichendorff, Rückert, Uhland, folgten und gaben
mancher Anregung der damaligen Zeit und Geschichte einen glücklichen, echt
volkstümlichen Ausdruck, der dann weiter wirkte. Und so giebt es dafür, daß
die Muse wenigstens bisweilen und in beschränktem Maße das Leben eines
Volkes zu leiten vermag, vielleicht kein schöneres Beispiel, als eben das unsrer
eignen ältern und jüngern Romantiker.

Auch in Italien entstand seit dem Anfang unsers Jahrhunderts eine
unsrer romantischen Schule verwandte Litteratur, die sogar einzelne Anregungen
aus Deutschland empfangen hat und sich dessen auch bewußt gewesen ist.
Aber des Liedes Ende war freilich sehr verschieden. Manche dieser Dichter
und Schriftsteller des „Jungen Italiens" sind bei uns in Deutschland recht
beliebt geworden, Silvio Pelileo durch die Beschreibung seiner Gefangenschaft,
Leopardi durch seine schönklingenden Verse, Giusti um seines Witzes und seines
feinen Sprachgefühls willen, und vor allem der ehrwürdige Manzoni wegen
seines berühmten Romans, des einzigen italienischen Romans vielleicht, den
wohl jeder Deutsche wenigstens dem Namen nach kennt. Aber das sind uur
die höchsten Spitzen dieser Gesellschaft, die sehr zahlreich ist. Denn die Be¬
wegung ist früher sehr tief gegangen, und sie äußert sich noch immer, wenn
sie auch gar keine Bedeutung mehr hat, weder für das politische Leben, uoch
sür die Litteratur. Sogar die Nachzügler haben noch ihre Gönner auch bei
uns in Deutschland. Giebt es doch auch noch Verehrer unsrer Revolutions¬
lieder von 1848 und 1849, obwohl unser deutsches Reich schließlich nicht
durch die Sänger jener Lieder zusammengesungen worden ist. Genau so wenig
Verdienst haben aber auch um das geeinigte Italien seine jüngsten Freiheits¬
dichter gehabt, und nicht viel mehr die ältern dieser ganzen Richtung. Es ist
alles in Italien gekommen „trotz alledem." Dabei ist es nun ganz interessant,
zu beobachten, wie die italienischen Romantiker, so laut und selbstvertrauend
sie auch ihre Verse erklingen lassen, doch wieder zu Zeiten die deutliche Em¬
pfindung dafür haben, daß sie nicht die wahren Ritter von Leier und Schwert
seien. Nur zeigt sich das natürlich nicht so unmittelbar und weniger in ihrer
Dichtung, als in ihrem Briefwechsel und in den Urteilen, die die einzelnen
Biographien enthalten. Daß sie dann unter den Gründen, warum in Italien
die Nativnallitteratur uicht so ihre Aufgabe hätte erfüllen können wie in
Deutschland, gern die übergehen, die ihnen am wenigsten angenehm sind,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0555" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220881"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2116" prev="#ID_2115"> einmal sehr schön und einfach ausdrückt, als er den jungen Schinkel, der von<lb/>
einer Rheinreise zurückkehrte, antraf, nämlich die &#x201E;Beziehung auf ein höheres<lb/>
untergegangues Dasein, wie die Sehnsucht nach einem Verlornen Vaterland<lb/>
und Bürgerrecht." Wären dann unsre Dichter aus den Befreiungskriegen<lb/>
nicht gekommen, so hätte wohl diese Sehnsucht ewig Sehnsucht bleiben können,<lb/>
und ihre Äußerung würde bald zur Phrase geworden sein. Statt dessen<lb/>
wurden Arndt, Körner und Schenkendorf die Führer des nationalen Gedankens<lb/>
in der Litteratur. Andre, wie Eichendorff, Rückert, Uhland, folgten und gaben<lb/>
mancher Anregung der damaligen Zeit und Geschichte einen glücklichen, echt<lb/>
volkstümlichen Ausdruck, der dann weiter wirkte. Und so giebt es dafür, daß<lb/>
die Muse wenigstens bisweilen und in beschränktem Maße das Leben eines<lb/>
Volkes zu leiten vermag, vielleicht kein schöneres Beispiel, als eben das unsrer<lb/>
eignen ältern und jüngern Romantiker.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2117" next="#ID_2118"> Auch in Italien entstand seit dem Anfang unsers Jahrhunderts eine<lb/>
unsrer romantischen Schule verwandte Litteratur, die sogar einzelne Anregungen<lb/>
aus Deutschland empfangen hat und sich dessen auch bewußt gewesen ist.<lb/>
Aber des Liedes Ende war freilich sehr verschieden. Manche dieser Dichter<lb/>
und Schriftsteller des &#x201E;Jungen Italiens" sind bei uns in Deutschland recht<lb/>
beliebt geworden, Silvio Pelileo durch die Beschreibung seiner Gefangenschaft,<lb/>
Leopardi durch seine schönklingenden Verse, Giusti um seines Witzes und seines<lb/>
feinen Sprachgefühls willen, und vor allem der ehrwürdige Manzoni wegen<lb/>
seines berühmten Romans, des einzigen italienischen Romans vielleicht, den<lb/>
wohl jeder Deutsche wenigstens dem Namen nach kennt. Aber das sind uur<lb/>
die höchsten Spitzen dieser Gesellschaft, die sehr zahlreich ist. Denn die Be¬<lb/>
wegung ist früher sehr tief gegangen, und sie äußert sich noch immer, wenn<lb/>
sie auch gar keine Bedeutung mehr hat, weder für das politische Leben, uoch<lb/>
sür die Litteratur. Sogar die Nachzügler haben noch ihre Gönner auch bei<lb/>
uns in Deutschland. Giebt es doch auch noch Verehrer unsrer Revolutions¬<lb/>
lieder von 1848 und 1849, obwohl unser deutsches Reich schließlich nicht<lb/>
durch die Sänger jener Lieder zusammengesungen worden ist. Genau so wenig<lb/>
Verdienst haben aber auch um das geeinigte Italien seine jüngsten Freiheits¬<lb/>
dichter gehabt, und nicht viel mehr die ältern dieser ganzen Richtung. Es ist<lb/>
alles in Italien gekommen &#x201E;trotz alledem." Dabei ist es nun ganz interessant,<lb/>
zu beobachten, wie die italienischen Romantiker, so laut und selbstvertrauend<lb/>
sie auch ihre Verse erklingen lassen, doch wieder zu Zeiten die deutliche Em¬<lb/>
pfindung dafür haben, daß sie nicht die wahren Ritter von Leier und Schwert<lb/>
seien. Nur zeigt sich das natürlich nicht so unmittelbar und weniger in ihrer<lb/>
Dichtung, als in ihrem Briefwechsel und in den Urteilen, die die einzelnen<lb/>
Biographien enthalten. Daß sie dann unter den Gründen, warum in Italien<lb/>
die Nativnallitteratur uicht so ihre Aufgabe hätte erfüllen können wie in<lb/>
Deutschland, gern die übergehen, die ihnen am wenigsten angenehm sind,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0555] einmal sehr schön und einfach ausdrückt, als er den jungen Schinkel, der von einer Rheinreise zurückkehrte, antraf, nämlich die „Beziehung auf ein höheres untergegangues Dasein, wie die Sehnsucht nach einem Verlornen Vaterland und Bürgerrecht." Wären dann unsre Dichter aus den Befreiungskriegen nicht gekommen, so hätte wohl diese Sehnsucht ewig Sehnsucht bleiben können, und ihre Äußerung würde bald zur Phrase geworden sein. Statt dessen wurden Arndt, Körner und Schenkendorf die Führer des nationalen Gedankens in der Litteratur. Andre, wie Eichendorff, Rückert, Uhland, folgten und gaben mancher Anregung der damaligen Zeit und Geschichte einen glücklichen, echt volkstümlichen Ausdruck, der dann weiter wirkte. Und so giebt es dafür, daß die Muse wenigstens bisweilen und in beschränktem Maße das Leben eines Volkes zu leiten vermag, vielleicht kein schöneres Beispiel, als eben das unsrer eignen ältern und jüngern Romantiker. Auch in Italien entstand seit dem Anfang unsers Jahrhunderts eine unsrer romantischen Schule verwandte Litteratur, die sogar einzelne Anregungen aus Deutschland empfangen hat und sich dessen auch bewußt gewesen ist. Aber des Liedes Ende war freilich sehr verschieden. Manche dieser Dichter und Schriftsteller des „Jungen Italiens" sind bei uns in Deutschland recht beliebt geworden, Silvio Pelileo durch die Beschreibung seiner Gefangenschaft, Leopardi durch seine schönklingenden Verse, Giusti um seines Witzes und seines feinen Sprachgefühls willen, und vor allem der ehrwürdige Manzoni wegen seines berühmten Romans, des einzigen italienischen Romans vielleicht, den wohl jeder Deutsche wenigstens dem Namen nach kennt. Aber das sind uur die höchsten Spitzen dieser Gesellschaft, die sehr zahlreich ist. Denn die Be¬ wegung ist früher sehr tief gegangen, und sie äußert sich noch immer, wenn sie auch gar keine Bedeutung mehr hat, weder für das politische Leben, uoch sür die Litteratur. Sogar die Nachzügler haben noch ihre Gönner auch bei uns in Deutschland. Giebt es doch auch noch Verehrer unsrer Revolutions¬ lieder von 1848 und 1849, obwohl unser deutsches Reich schließlich nicht durch die Sänger jener Lieder zusammengesungen worden ist. Genau so wenig Verdienst haben aber auch um das geeinigte Italien seine jüngsten Freiheits¬ dichter gehabt, und nicht viel mehr die ältern dieser ganzen Richtung. Es ist alles in Italien gekommen „trotz alledem." Dabei ist es nun ganz interessant, zu beobachten, wie die italienischen Romantiker, so laut und selbstvertrauend sie auch ihre Verse erklingen lassen, doch wieder zu Zeiten die deutliche Em¬ pfindung dafür haben, daß sie nicht die wahren Ritter von Leier und Schwert seien. Nur zeigt sich das natürlich nicht so unmittelbar und weniger in ihrer Dichtung, als in ihrem Briefwechsel und in den Urteilen, die die einzelnen Biographien enthalten. Daß sie dann unter den Gründen, warum in Italien die Nativnallitteratur uicht so ihre Aufgabe hätte erfüllen können wie in Deutschland, gern die übergehen, die ihnen am wenigsten angenehm sind,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/555
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/555>, abgerufen am 26.06.2024.