Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Die Sozialreform und die Gemeinden Verwendet in Großstädten Millionen auf Durchbrüche und Abbrüche alter Ich habe auch der Schulpaläste gedacht, wie man sie heute bis zur Dorf¬ Die Sozialreform und die Gemeinden Verwendet in Großstädten Millionen auf Durchbrüche und Abbrüche alter Ich habe auch der Schulpaläste gedacht, wie man sie heute bis zur Dorf¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0551" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220877"/> <fw type="header" place="top"> Die Sozialreform und die Gemeinden</fw><lb/> <p xml:id="ID_2105" prev="#ID_2104"> Verwendet in Großstädten Millionen auf Durchbrüche und Abbrüche alter<lb/> Stadtteile, man baut Schulpalüste und andre Prachtbauten für öffentliche<lb/> Zwecke, aber wie engherzig benimmt man sich, wenn es gilt, Arbeiterwoh-<lb/> nungen zu schaffen, und wenn man vielleicht billigen Baugrund oder eine Zins¬<lb/> garantie oder billiges Geld von der Gemeinde fordert! Für Fortschaffen der<lb/> Fäkalien, für Wasserleitungen und Kanalisationen sind mit Recht überall, selbst<lb/> in kleinen Städten und in Dörfern, entsprechende, ja große Aufwendungen ge¬<lb/> macht worden; aber hat man auch ähnliche oder selbst nur kleine Ausgaben<lb/> gemacht, um die engen Gäßchen mit ihren kleinen Wohnungen und finstern<lb/> Treppen, mit ihren Häuschen ohne Höfe und ohne zulängliche Abtritte zu be¬<lb/> seitigen oder zu vermindern, wo nicht zugleich andre Interessen zur Beseitigung<lb/> mitsprechen als das schlechte, ungesunde und zuweilen geradezu schreckliche<lb/> Wohnen armer Leute, kleiner Arbeiter mit großen Familien? Wo es die Ge¬<lb/> sundheitsverhältnisse aller erfordern, wo man die Herde ansteckender Krank¬<lb/> heiten, z. B. der Cholera, beseitigen wollte oder mußte, da hat man wohl zu¬<lb/> weilen einmal einen Anlauf zur Beseitigung jener schrecklichen Arbeiterviertel<lb/> genommen; aber sobald die Gefahr wieder vorüber war, oder sobald man von<lb/> der Höhe der Ausgabe, die erforderlich gewesen wäre, genaueres erfuhr, ließ<lb/> man die Sache wieder langsam gehen, viel langsamer als es bei Herstellung<lb/> von Prachtbauten, Prachtstraßen und Prachtplätzen zu gehen pflegt, wo man<lb/> das Geld mit vollen Händen auf den Rathäusern bewilligt. Und wenn auch<lb/> diese Schilderung nnr ans große Städte paßte, bei kleinern Gemeinwesen wieder¬<lb/> holt sich dasselbe oder ähnliches, wenn es sich auch da um kleine Summen<lb/> handelt und der Pesthöhlen weniger vorhanden sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_2106" next="#ID_2107"> Ich habe auch der Schulpaläste gedacht, wie man sie heute bis zur Dorf¬<lb/> gemeinde herab baut und nur da zu bauen unterläßt, wo sich etwa einzelne<lb/> Verpflichtete der Baupflicht soviel als möglich entziehen oder sehr einfach<lb/> bauen. Sie sind thatsächlich Musterbauten gegen unsre frühern Schulhäuser<lb/> und tragen den Anforderungen der Gesundheit nach allen Richtungen Rech¬<lb/> nung, aber kommen sie etwa nur den Armem zu gute? Nein, sie sind für<lb/> alle, und zu allen gehören natürlich auch die, in deren Händen sich das Re¬<lb/> giment befindet. Sobald es die Armen allein betrifft, wird man auch in<lb/> Schulaugelegenheiteu engherzig. Wo es neben bezahlten Schulen auch Frei¬<lb/> schulen für die Armem giebt, da wird in den Frei- oder Armenschulen auch<lb/> weniger geleistet, und man entschuldigt das damit, daß es ja den ärmern<lb/> Eltern nur angenehm sei, wenn ihre Kinder weniger Unterrichtsstunden Hütten<lb/> und weniger häusliche Arbeit, denn sie verwendeten ihre Kinder gern zeitig<lb/> zum Miterwerben. Leider ist das wahr, aber welcher Sozialreformer ver¬<lb/> urteilte das nicht, und warum geht man gerade hier auf die schlimmen Nei¬<lb/> gungen der nrmern Klassen ein, während man ihnen andre stetig vorhält?<lb/> »Die Armen brauchen nicht so viel zu lernen, dann bleiben sie zufriedner,"</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0551]
Die Sozialreform und die Gemeinden
Verwendet in Großstädten Millionen auf Durchbrüche und Abbrüche alter
Stadtteile, man baut Schulpalüste und andre Prachtbauten für öffentliche
Zwecke, aber wie engherzig benimmt man sich, wenn es gilt, Arbeiterwoh-
nungen zu schaffen, und wenn man vielleicht billigen Baugrund oder eine Zins¬
garantie oder billiges Geld von der Gemeinde fordert! Für Fortschaffen der
Fäkalien, für Wasserleitungen und Kanalisationen sind mit Recht überall, selbst
in kleinen Städten und in Dörfern, entsprechende, ja große Aufwendungen ge¬
macht worden; aber hat man auch ähnliche oder selbst nur kleine Ausgaben
gemacht, um die engen Gäßchen mit ihren kleinen Wohnungen und finstern
Treppen, mit ihren Häuschen ohne Höfe und ohne zulängliche Abtritte zu be¬
seitigen oder zu vermindern, wo nicht zugleich andre Interessen zur Beseitigung
mitsprechen als das schlechte, ungesunde und zuweilen geradezu schreckliche
Wohnen armer Leute, kleiner Arbeiter mit großen Familien? Wo es die Ge¬
sundheitsverhältnisse aller erfordern, wo man die Herde ansteckender Krank¬
heiten, z. B. der Cholera, beseitigen wollte oder mußte, da hat man wohl zu¬
weilen einmal einen Anlauf zur Beseitigung jener schrecklichen Arbeiterviertel
genommen; aber sobald die Gefahr wieder vorüber war, oder sobald man von
der Höhe der Ausgabe, die erforderlich gewesen wäre, genaueres erfuhr, ließ
man die Sache wieder langsam gehen, viel langsamer als es bei Herstellung
von Prachtbauten, Prachtstraßen und Prachtplätzen zu gehen pflegt, wo man
das Geld mit vollen Händen auf den Rathäusern bewilligt. Und wenn auch
diese Schilderung nnr ans große Städte paßte, bei kleinern Gemeinwesen wieder¬
holt sich dasselbe oder ähnliches, wenn es sich auch da um kleine Summen
handelt und der Pesthöhlen weniger vorhanden sind.
Ich habe auch der Schulpaläste gedacht, wie man sie heute bis zur Dorf¬
gemeinde herab baut und nur da zu bauen unterläßt, wo sich etwa einzelne
Verpflichtete der Baupflicht soviel als möglich entziehen oder sehr einfach
bauen. Sie sind thatsächlich Musterbauten gegen unsre frühern Schulhäuser
und tragen den Anforderungen der Gesundheit nach allen Richtungen Rech¬
nung, aber kommen sie etwa nur den Armem zu gute? Nein, sie sind für
alle, und zu allen gehören natürlich auch die, in deren Händen sich das Re¬
giment befindet. Sobald es die Armen allein betrifft, wird man auch in
Schulaugelegenheiteu engherzig. Wo es neben bezahlten Schulen auch Frei¬
schulen für die Armem giebt, da wird in den Frei- oder Armenschulen auch
weniger geleistet, und man entschuldigt das damit, daß es ja den ärmern
Eltern nur angenehm sei, wenn ihre Kinder weniger Unterrichtsstunden Hütten
und weniger häusliche Arbeit, denn sie verwendeten ihre Kinder gern zeitig
zum Miterwerben. Leider ist das wahr, aber welcher Sozialreformer ver¬
urteilte das nicht, und warum geht man gerade hier auf die schlimmen Nei¬
gungen der nrmern Klassen ein, während man ihnen andre stetig vorhält?
»Die Armen brauchen nicht so viel zu lernen, dann bleiben sie zufriedner,"
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