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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

umzukehren, nicht bestreitet und in Tagen eines fürstlichen Dilettantismus jeder¬
zeit ein zeitgemäßes Werk sein wird. Gelegentlich sind Hebbel und Ludwig
auch geradezu als politische Dichter aufgetreten, Ludwig 1848, Hebbel im
Anfang der sechziger Jahre; beide waren natürlich national gesinnt und er¬
sehnten heiß die Einigung Deutschlands, auch findet sich trotz alles Kon¬
servatismus von reaktionären Neigungen bei ihnen nicht die Spur. Aber über
alle Parteischablone haben sie sich stets weit erhoben, irgend eine politische
Tendenz ist in ihren Werken nicht zu entdecken, und darum sind diese auch
heute, wo die gesamte Litteratur des jungen Deutschlands veraltet ist, noch
frisch und kräftig und werden es sicher noch lange Jahre sein.

Merkwürdig ist es. daß nicht Hebbel, der Dithmacse, der dem Volke ent¬
stammte, sondern Ludwig, der Thüringer, der Patriziersohn, von beiden dem
Volke am nächsten stand. Wohl kannte Hebbel das Volk, wie ja die "Maria
Magdalene" überzeugend beweist, er wußte ihm selbst humoristisch beizu¬
kommen die Vvllsszenen im "Diamanten" z. B. sind zwar barock, aber
keineswegs übel. Dagegen fühlte Ludwig mehr mit dem Volke; ganz mit bei
Natur seiner Heimat verwachsen, hing er dadurch auch mit dem zu ihr ge¬
hörigen Volke zusammen. Hebbel ist das, was Nietzsche später eine Herren¬
natur genannt hat, in dein Maurersohn von Wesselburen steckte die aristokra¬
tische Natur der alten Dithmarsen, nur daß die an Demütigungen reiche Jugend
des Dichters in ihr manches Gewaltsame und selbst Groteske zu Entfaltung
gebracht hat. Es ist die Herrennatur, die nicht mehr völlig ungebrochen ist
und daher oft seltsame Anstrengungen macht, sich durchzusetzen, woraus manch¬
mal beinahe komische Wirkungen hervorgehen. Aber für den, der Hebbels
innere Entwicklung kennt, haben gerade die leise komischen Züge, die Hebbels
Gegner gern benutzte", ihn lächerlich zu machen, doch etwas Rührendes, und
die strenge Selbstzucht des Dichters flößt doch zuletzt Respekt ein. Ludwig bot
menschlich viel weniger Blößen, er lebte in selbstgewählter Beschränktheit und
hatte jeden Ehrgeiz, außer dem echt künstlerischen, früh begraben. Man könnte
auch vielleicht sagen, Hebbel sei der Sohn des Volks gewesen, der zu den
Höhen der Gesellschaft emporgestrebt habe. Ludwig der Patriziersohn, der frei¬
willig auf seiue Stellung verzichtete, um wie das Volk zu leben, wenn nicht
eben die Eisfelder Verhältnisse doch zu klein wären, als daß man ein ausgeprägtes
Pntriziertum annehmen könnte. Aber so viel ist richtig, Hebbel ist bei aller
Bedürfnislosigkeit die ewig emporringende. Ludwig die ewig resignirende Natur,
jener "verzehrt Menscken" und kann deshalb die Großstadt nicht entbehren, dieser
lebt immer inniger mit der Natur, im engsten Kreise. Und damit hängt auch
wieder das Heftige und Leidenschaftliche Hebbels, das Schlichte und Einfache
Ludwigs zusammen, dann weiter das im guten Sinn "Moderne" Hebbels, das
Unmittelbar-Menschliche Ludwigs. Aber sie besaßen doch wieder beide das¬
selbe reizbare Nervengeflecht und dabei die tiefe Menschen- und Weltkenntnis


Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig

umzukehren, nicht bestreitet und in Tagen eines fürstlichen Dilettantismus jeder¬
zeit ein zeitgemäßes Werk sein wird. Gelegentlich sind Hebbel und Ludwig
auch geradezu als politische Dichter aufgetreten, Ludwig 1848, Hebbel im
Anfang der sechziger Jahre; beide waren natürlich national gesinnt und er¬
sehnten heiß die Einigung Deutschlands, auch findet sich trotz alles Kon¬
servatismus von reaktionären Neigungen bei ihnen nicht die Spur. Aber über
alle Parteischablone haben sie sich stets weit erhoben, irgend eine politische
Tendenz ist in ihren Werken nicht zu entdecken, und darum sind diese auch
heute, wo die gesamte Litteratur des jungen Deutschlands veraltet ist, noch
frisch und kräftig und werden es sicher noch lange Jahre sein.

Merkwürdig ist es. daß nicht Hebbel, der Dithmacse, der dem Volke ent¬
stammte, sondern Ludwig, der Thüringer, der Patriziersohn, von beiden dem
Volke am nächsten stand. Wohl kannte Hebbel das Volk, wie ja die „Maria
Magdalene" überzeugend beweist, er wußte ihm selbst humoristisch beizu¬
kommen die Vvllsszenen im „Diamanten" z. B. sind zwar barock, aber
keineswegs übel. Dagegen fühlte Ludwig mehr mit dem Volke; ganz mit bei
Natur seiner Heimat verwachsen, hing er dadurch auch mit dem zu ihr ge¬
hörigen Volke zusammen. Hebbel ist das, was Nietzsche später eine Herren¬
natur genannt hat, in dein Maurersohn von Wesselburen steckte die aristokra¬
tische Natur der alten Dithmarsen, nur daß die an Demütigungen reiche Jugend
des Dichters in ihr manches Gewaltsame und selbst Groteske zu Entfaltung
gebracht hat. Es ist die Herrennatur, die nicht mehr völlig ungebrochen ist
und daher oft seltsame Anstrengungen macht, sich durchzusetzen, woraus manch¬
mal beinahe komische Wirkungen hervorgehen. Aber für den, der Hebbels
innere Entwicklung kennt, haben gerade die leise komischen Züge, die Hebbels
Gegner gern benutzte», ihn lächerlich zu machen, doch etwas Rührendes, und
die strenge Selbstzucht des Dichters flößt doch zuletzt Respekt ein. Ludwig bot
menschlich viel weniger Blößen, er lebte in selbstgewählter Beschränktheit und
hatte jeden Ehrgeiz, außer dem echt künstlerischen, früh begraben. Man könnte
auch vielleicht sagen, Hebbel sei der Sohn des Volks gewesen, der zu den
Höhen der Gesellschaft emporgestrebt habe. Ludwig der Patriziersohn, der frei¬
willig auf seiue Stellung verzichtete, um wie das Volk zu leben, wenn nicht
eben die Eisfelder Verhältnisse doch zu klein wären, als daß man ein ausgeprägtes
Pntriziertum annehmen könnte. Aber so viel ist richtig, Hebbel ist bei aller
Bedürfnislosigkeit die ewig emporringende. Ludwig die ewig resignirende Natur,
jener „verzehrt Menscken" und kann deshalb die Großstadt nicht entbehren, dieser
lebt immer inniger mit der Natur, im engsten Kreise. Und damit hängt auch
wieder das Heftige und Leidenschaftliche Hebbels, das Schlichte und Einfache
Ludwigs zusammen, dann weiter das im guten Sinn „Moderne" Hebbels, das
Unmittelbar-Menschliche Ludwigs. Aber sie besaßen doch wieder beide das¬
selbe reizbare Nervengeflecht und dabei die tiefe Menschen- und Weltkenntnis


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[0535] Friedrich Hebbel und Gelo Ludwig umzukehren, nicht bestreitet und in Tagen eines fürstlichen Dilettantismus jeder¬ zeit ein zeitgemäßes Werk sein wird. Gelegentlich sind Hebbel und Ludwig auch geradezu als politische Dichter aufgetreten, Ludwig 1848, Hebbel im Anfang der sechziger Jahre; beide waren natürlich national gesinnt und er¬ sehnten heiß die Einigung Deutschlands, auch findet sich trotz alles Kon¬ servatismus von reaktionären Neigungen bei ihnen nicht die Spur. Aber über alle Parteischablone haben sie sich stets weit erhoben, irgend eine politische Tendenz ist in ihren Werken nicht zu entdecken, und darum sind diese auch heute, wo die gesamte Litteratur des jungen Deutschlands veraltet ist, noch frisch und kräftig und werden es sicher noch lange Jahre sein. Merkwürdig ist es. daß nicht Hebbel, der Dithmacse, der dem Volke ent¬ stammte, sondern Ludwig, der Thüringer, der Patriziersohn, von beiden dem Volke am nächsten stand. Wohl kannte Hebbel das Volk, wie ja die „Maria Magdalene" überzeugend beweist, er wußte ihm selbst humoristisch beizu¬ kommen die Vvllsszenen im „Diamanten" z. B. sind zwar barock, aber keineswegs übel. Dagegen fühlte Ludwig mehr mit dem Volke; ganz mit bei Natur seiner Heimat verwachsen, hing er dadurch auch mit dem zu ihr ge¬ hörigen Volke zusammen. Hebbel ist das, was Nietzsche später eine Herren¬ natur genannt hat, in dein Maurersohn von Wesselburen steckte die aristokra¬ tische Natur der alten Dithmarsen, nur daß die an Demütigungen reiche Jugend des Dichters in ihr manches Gewaltsame und selbst Groteske zu Entfaltung gebracht hat. Es ist die Herrennatur, die nicht mehr völlig ungebrochen ist und daher oft seltsame Anstrengungen macht, sich durchzusetzen, woraus manch¬ mal beinahe komische Wirkungen hervorgehen. Aber für den, der Hebbels innere Entwicklung kennt, haben gerade die leise komischen Züge, die Hebbels Gegner gern benutzte», ihn lächerlich zu machen, doch etwas Rührendes, und die strenge Selbstzucht des Dichters flößt doch zuletzt Respekt ein. Ludwig bot menschlich viel weniger Blößen, er lebte in selbstgewählter Beschränktheit und hatte jeden Ehrgeiz, außer dem echt künstlerischen, früh begraben. Man könnte auch vielleicht sagen, Hebbel sei der Sohn des Volks gewesen, der zu den Höhen der Gesellschaft emporgestrebt habe. Ludwig der Patriziersohn, der frei¬ willig auf seiue Stellung verzichtete, um wie das Volk zu leben, wenn nicht eben die Eisfelder Verhältnisse doch zu klein wären, als daß man ein ausgeprägtes Pntriziertum annehmen könnte. Aber so viel ist richtig, Hebbel ist bei aller Bedürfnislosigkeit die ewig emporringende. Ludwig die ewig resignirende Natur, jener „verzehrt Menscken" und kann deshalb die Großstadt nicht entbehren, dieser lebt immer inniger mit der Natur, im engsten Kreise. Und damit hängt auch wieder das Heftige und Leidenschaftliche Hebbels, das Schlichte und Einfache Ludwigs zusammen, dann weiter das im guten Sinn „Moderne" Hebbels, das Unmittelbar-Menschliche Ludwigs. Aber sie besaßen doch wieder beide das¬ selbe reizbare Nervengeflecht und dabei die tiefe Menschen- und Weltkenntnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/535>, abgerufen am 23.06.2024.