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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

Bei Heinrich von Kleist würde man einen mit dem poetischen unheimlich
ringenden metaphysischen Trieb, der auch bei Hebbel stark war, annehmen
können. Byron, der wohl auch in diese Reihe gehört, erreicht das Höchste
nicht, weil er sozusagen nicht aus sich selbst herauskonnte. Ludwig endlich
hatte wohl eine seiner Erkenntnis entsprechende Kraft, aber nicht den energischen
Künstlerwillen, der Hebbel über das, was ihn quälte und störte, doch immer
glücklich fortriß und bis zum Ende kommen ließ. "Mangel an Selbstvertrauen"
hat Ludwig seine Schwäche selber genannt, es war wohl nicht ganz das, aber
etwas ähnliches. Ihnen allen fehlt zum Dichter nichts wesentliches, aber die
einzelnen Gaben scheinen zu einander nicht in dem richtigen Verhältnis zu
stehen und sich gegenseitig zu hemmen, statt zu fördern. So werden die Dichter,
zumal wenn nun auch die Zeitverhültnisse uoch ungünstig einwirken, manchmal
einseitig oder sind wohl anch forcirt, düstre Schatten fallen in ihr Werk hinein,
und unheimliche Kräfte treiben dort ihr Wesen. Wahr aber bleiben sie trotzdem,
bedeutend wirken sie immer, denn sie sind eben Genies. Trotz ihrer Schwächen
ragen ihre Werke gewaltig über die der anstrebenden Talente hervor, und es
ist ein bitteres Unrecht, sich immer und ewig wieder an jene Schwächen an¬
zuklammern. Hin und wieder gelingt ihnen jedoch auch ein in jeder Beziehung
vollendetes Werk, und dann findet man auch bei ihnen jene erschütternde Größe,
jene rührende Schönheit, die ihre größern und glücklichern Brüder immer und
scheinbar spielend erreichen.

In den Litteraturgeschichten stehen und in weiten Kreisen gelten Hebbel
und Ludwig heute noch als gewissermaßen revolutionäre Dichter. "Obwohl
politisch konservativ," las ich einst irgendwo in einer Besprechung von Hebbels
Werken. I. Collin hat in seinem schon erwähnten Grenzbotenanfsatz den
konservativen Charakter der Hebbelschen Dichtung überzeugend nachgewiesen,
und für Ludwig wäre es leicht, dasselbe zu thun. Übersehen darf man aber
nicht, daß ein entschlossener Konservatismus, also eine Weltanschauung, die
auf Erhaltung weniger der einzelnen gesellschaftlichen Einrichtungen, als der
ihnen zu Grunde liegenden naturgemäßen und daher sittlichen Prinzipien,
der Volkskraft und zugleich der erreichten Kulturhöhe ausgeht, in gewisser
Hinsicht "radikal" sein kann, ja muß, und so war es denn auch kein Wunder,
daß man in Zeiten politischer Aufregung in Hebbels "Maria Magdalene"
sowohl wie in Otto Ludwigs "Erbförster" gegen die bestehende "sittliche Welt¬
ordnung" gerichtete Stücke erkennen wollte. Hebbels "Agnes Vernnner" mit
ihrer starken Betonung des Rechts des Staates schien dann der Gegensatz zur
"Maria Magdalene" zu sein und wurde dem Dichter von dem Liberalismus
mannichfach verübelt; auch "Gyges und sein Ring," das Stück, das gewisser¬
maßen das von Bismcirck viel später in ernster Stunde zitirte Wort: Hülfe"
non rnovsrs! erläutert, konnte den Anhängern des unendlichen Fortschritts
wenig gefallen, obwohl es doch andrerseits dem Genie das Recht, die Welt


Friedrich Hebbel und Veto Ludwig

Bei Heinrich von Kleist würde man einen mit dem poetischen unheimlich
ringenden metaphysischen Trieb, der auch bei Hebbel stark war, annehmen
können. Byron, der wohl auch in diese Reihe gehört, erreicht das Höchste
nicht, weil er sozusagen nicht aus sich selbst herauskonnte. Ludwig endlich
hatte wohl eine seiner Erkenntnis entsprechende Kraft, aber nicht den energischen
Künstlerwillen, der Hebbel über das, was ihn quälte und störte, doch immer
glücklich fortriß und bis zum Ende kommen ließ. „Mangel an Selbstvertrauen"
hat Ludwig seine Schwäche selber genannt, es war wohl nicht ganz das, aber
etwas ähnliches. Ihnen allen fehlt zum Dichter nichts wesentliches, aber die
einzelnen Gaben scheinen zu einander nicht in dem richtigen Verhältnis zu
stehen und sich gegenseitig zu hemmen, statt zu fördern. So werden die Dichter,
zumal wenn nun auch die Zeitverhültnisse uoch ungünstig einwirken, manchmal
einseitig oder sind wohl anch forcirt, düstre Schatten fallen in ihr Werk hinein,
und unheimliche Kräfte treiben dort ihr Wesen. Wahr aber bleiben sie trotzdem,
bedeutend wirken sie immer, denn sie sind eben Genies. Trotz ihrer Schwächen
ragen ihre Werke gewaltig über die der anstrebenden Talente hervor, und es
ist ein bitteres Unrecht, sich immer und ewig wieder an jene Schwächen an¬
zuklammern. Hin und wieder gelingt ihnen jedoch auch ein in jeder Beziehung
vollendetes Werk, und dann findet man auch bei ihnen jene erschütternde Größe,
jene rührende Schönheit, die ihre größern und glücklichern Brüder immer und
scheinbar spielend erreichen.

In den Litteraturgeschichten stehen und in weiten Kreisen gelten Hebbel
und Ludwig heute noch als gewissermaßen revolutionäre Dichter. „Obwohl
politisch konservativ," las ich einst irgendwo in einer Besprechung von Hebbels
Werken. I. Collin hat in seinem schon erwähnten Grenzbotenanfsatz den
konservativen Charakter der Hebbelschen Dichtung überzeugend nachgewiesen,
und für Ludwig wäre es leicht, dasselbe zu thun. Übersehen darf man aber
nicht, daß ein entschlossener Konservatismus, also eine Weltanschauung, die
auf Erhaltung weniger der einzelnen gesellschaftlichen Einrichtungen, als der
ihnen zu Grunde liegenden naturgemäßen und daher sittlichen Prinzipien,
der Volkskraft und zugleich der erreichten Kulturhöhe ausgeht, in gewisser
Hinsicht „radikal" sein kann, ja muß, und so war es denn auch kein Wunder,
daß man in Zeiten politischer Aufregung in Hebbels „Maria Magdalene"
sowohl wie in Otto Ludwigs „Erbförster" gegen die bestehende „sittliche Welt¬
ordnung" gerichtete Stücke erkennen wollte. Hebbels „Agnes Vernnner" mit
ihrer starken Betonung des Rechts des Staates schien dann der Gegensatz zur
„Maria Magdalene" zu sein und wurde dem Dichter von dem Liberalismus
mannichfach verübelt; auch „Gyges und sein Ring," das Stück, das gewisser¬
maßen das von Bismcirck viel später in ernster Stunde zitirte Wort: Hülfe»
non rnovsrs! erläutert, konnte den Anhängern des unendlichen Fortschritts
wenig gefallen, obwohl es doch andrerseits dem Genie das Recht, die Welt


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[0534] Friedrich Hebbel und Veto Ludwig Bei Heinrich von Kleist würde man einen mit dem poetischen unheimlich ringenden metaphysischen Trieb, der auch bei Hebbel stark war, annehmen können. Byron, der wohl auch in diese Reihe gehört, erreicht das Höchste nicht, weil er sozusagen nicht aus sich selbst herauskonnte. Ludwig endlich hatte wohl eine seiner Erkenntnis entsprechende Kraft, aber nicht den energischen Künstlerwillen, der Hebbel über das, was ihn quälte und störte, doch immer glücklich fortriß und bis zum Ende kommen ließ. „Mangel an Selbstvertrauen" hat Ludwig seine Schwäche selber genannt, es war wohl nicht ganz das, aber etwas ähnliches. Ihnen allen fehlt zum Dichter nichts wesentliches, aber die einzelnen Gaben scheinen zu einander nicht in dem richtigen Verhältnis zu stehen und sich gegenseitig zu hemmen, statt zu fördern. So werden die Dichter, zumal wenn nun auch die Zeitverhültnisse uoch ungünstig einwirken, manchmal einseitig oder sind wohl anch forcirt, düstre Schatten fallen in ihr Werk hinein, und unheimliche Kräfte treiben dort ihr Wesen. Wahr aber bleiben sie trotzdem, bedeutend wirken sie immer, denn sie sind eben Genies. Trotz ihrer Schwächen ragen ihre Werke gewaltig über die der anstrebenden Talente hervor, und es ist ein bitteres Unrecht, sich immer und ewig wieder an jene Schwächen an¬ zuklammern. Hin und wieder gelingt ihnen jedoch auch ein in jeder Beziehung vollendetes Werk, und dann findet man auch bei ihnen jene erschütternde Größe, jene rührende Schönheit, die ihre größern und glücklichern Brüder immer und scheinbar spielend erreichen. In den Litteraturgeschichten stehen und in weiten Kreisen gelten Hebbel und Ludwig heute noch als gewissermaßen revolutionäre Dichter. „Obwohl politisch konservativ," las ich einst irgendwo in einer Besprechung von Hebbels Werken. I. Collin hat in seinem schon erwähnten Grenzbotenanfsatz den konservativen Charakter der Hebbelschen Dichtung überzeugend nachgewiesen, und für Ludwig wäre es leicht, dasselbe zu thun. Übersehen darf man aber nicht, daß ein entschlossener Konservatismus, also eine Weltanschauung, die auf Erhaltung weniger der einzelnen gesellschaftlichen Einrichtungen, als der ihnen zu Grunde liegenden naturgemäßen und daher sittlichen Prinzipien, der Volkskraft und zugleich der erreichten Kulturhöhe ausgeht, in gewisser Hinsicht „radikal" sein kann, ja muß, und so war es denn auch kein Wunder, daß man in Zeiten politischer Aufregung in Hebbels „Maria Magdalene" sowohl wie in Otto Ludwigs „Erbförster" gegen die bestehende „sittliche Welt¬ ordnung" gerichtete Stücke erkennen wollte. Hebbels „Agnes Vernnner" mit ihrer starken Betonung des Rechts des Staates schien dann der Gegensatz zur „Maria Magdalene" zu sein und wurde dem Dichter von dem Liberalismus mannichfach verübelt; auch „Gyges und sein Ring," das Stück, das gewisser¬ maßen das von Bismcirck viel später in ernster Stunde zitirte Wort: Hülfe» non rnovsrs! erläutert, konnte den Anhängern des unendlichen Fortschritts wenig gefallen, obwohl es doch andrerseits dem Genie das Recht, die Welt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/534>, abgerufen am 23.06.2024.