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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr

bigern, d. h. man hat Jahre hindurch auf Kosten seiner Gläubiger angenehm
gelebt und wird mit dem Akkord die Hälfte der Schulden oder einen noch
größern Teil los. Und dabei beschränkt das Gesetz das Vorrecht des Zwangs¬
vergleichs nicht etwa auf eine einmalige Anwendung, nein, nach der gegen¬
wärtigen Gesetzgebung kann der einzelne grundsätzlich unzählige male im Kon¬
kurs akkordiren. Es kommt vor, daß derselbe Gemeinschuldner im Laufe von
zehn Jahren dreimal Konkurs anmeldet und ihn jedesmal durch den berüch¬
tigten Zwangsvergleich beendigt. Zum Schaden der reellen Geschäftswelt!
Denn während der ehrliche Geschäftsmann wägt und wieder wägt, spart und
arbeitet, um nur ja allen seinen Verpflichtungen gerecht werden zu können,
lebt der minder gewissenhafte angenehm und sorglos, in dem beruhigenden
Bewußtsein, durch eine "gute Ptene" seine zerrütteten Verhältnisse jederzeit
wieder ordnen zu können.

Wie wird aber erst dem Besitzlosen zu Mute bei der Erwägung solcher
Verhältnisse! Über sein Vermögen kann kein Konkurs eröffnet werden; kann
er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, so fällt der Gerichts¬
vollzieher über ihn her, und da die geringe Habe nicht zur Befriedigung sämt¬
licher Gläubiger hinreicht, so bleibt er der Schuldner aller seiner Gläubiger
sein Leben lang. Selbst durch Zahlungsfrist wäre dem Arbeiter, dem Hand¬
werker, dem Bauern die Möglichkeit gegeben, sich wirtschaftlich zu erhalten.
In frühern Zeiten kannte die Gesetzgebung die Einrichtung sogenannter Mora¬
torien, d. h. das Gericht war unter gewissen Voraussetzungen berechtigt, dem
zur Zahlung Verurteilten eine Frist zuzuerkennen, innerhalb deren er, ohne
wirtschaftlich vernichtet zu werden, dem Gläubiger die Zahlung zu leisten hatte.
Die Einrichtung dieser Moratorien kam jedem verurteilten Schuldner, sowohl
dem Besitzenden als auch dem Besitzlosen, zu gute und hatte daher manches
für sich. Aber sie ist abgeschafft worden, abgesehen von andern Gründen anch
deshalb, weil es eine Willkür sei, den Gläubiger zu zwingen, bei Ausübung
seines Rechts auf die wirtschaftlichen Verhältnisse seines Schuldners Rücksicht
zu nehmen. Daneben aber hat man die aus dem französischen Recht über¬
nommene Einrichtung des Zwangsvergleichs im Konkurs beibehalten, durch
die man einen großen Teil der Gläubiger zwingt, dem Schuldner, der in der
angenehmen Lage ist, über sein Vermögen den Konkurs eröffnet zu sehen,
eine Schenkung zu machen. Ein solcher Zwang ist geradezu eine gesetzliche
Vermögenskvnfiskation, ein Eingriff in den verfassungsmäßig gewährleisteten
Schutz des Eigentums. So wie es der Staat andern Schuldnern überläßt,
mit ihren Gläubigern einig zu werden, so müßte es der Staat auch den
Schuldnern, über deren Vermögen Konkurs eröffnet ist, überlassen, wie sie
sich mit ihren Gläubigern auseinandersetzen wollen. Daß das Gericht hier
zur Erreichung eines Vergleichs mitwirkt, und das Gesetz gar einen Zwang
auf die Gläubiger nnsübt, um die wirtschaftliche Erhaltung des Schuldners


Zwei Vorrechte der Besitzenden im Rechtsverkehr

bigern, d. h. man hat Jahre hindurch auf Kosten seiner Gläubiger angenehm
gelebt und wird mit dem Akkord die Hälfte der Schulden oder einen noch
größern Teil los. Und dabei beschränkt das Gesetz das Vorrecht des Zwangs¬
vergleichs nicht etwa auf eine einmalige Anwendung, nein, nach der gegen¬
wärtigen Gesetzgebung kann der einzelne grundsätzlich unzählige male im Kon¬
kurs akkordiren. Es kommt vor, daß derselbe Gemeinschuldner im Laufe von
zehn Jahren dreimal Konkurs anmeldet und ihn jedesmal durch den berüch¬
tigten Zwangsvergleich beendigt. Zum Schaden der reellen Geschäftswelt!
Denn während der ehrliche Geschäftsmann wägt und wieder wägt, spart und
arbeitet, um nur ja allen seinen Verpflichtungen gerecht werden zu können,
lebt der minder gewissenhafte angenehm und sorglos, in dem beruhigenden
Bewußtsein, durch eine „gute Ptene" seine zerrütteten Verhältnisse jederzeit
wieder ordnen zu können.

Wie wird aber erst dem Besitzlosen zu Mute bei der Erwägung solcher
Verhältnisse! Über sein Vermögen kann kein Konkurs eröffnet werden; kann
er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen, so fällt der Gerichts¬
vollzieher über ihn her, und da die geringe Habe nicht zur Befriedigung sämt¬
licher Gläubiger hinreicht, so bleibt er der Schuldner aller seiner Gläubiger
sein Leben lang. Selbst durch Zahlungsfrist wäre dem Arbeiter, dem Hand¬
werker, dem Bauern die Möglichkeit gegeben, sich wirtschaftlich zu erhalten.
In frühern Zeiten kannte die Gesetzgebung die Einrichtung sogenannter Mora¬
torien, d. h. das Gericht war unter gewissen Voraussetzungen berechtigt, dem
zur Zahlung Verurteilten eine Frist zuzuerkennen, innerhalb deren er, ohne
wirtschaftlich vernichtet zu werden, dem Gläubiger die Zahlung zu leisten hatte.
Die Einrichtung dieser Moratorien kam jedem verurteilten Schuldner, sowohl
dem Besitzenden als auch dem Besitzlosen, zu gute und hatte daher manches
für sich. Aber sie ist abgeschafft worden, abgesehen von andern Gründen anch
deshalb, weil es eine Willkür sei, den Gläubiger zu zwingen, bei Ausübung
seines Rechts auf die wirtschaftlichen Verhältnisse seines Schuldners Rücksicht
zu nehmen. Daneben aber hat man die aus dem französischen Recht über¬
nommene Einrichtung des Zwangsvergleichs im Konkurs beibehalten, durch
die man einen großen Teil der Gläubiger zwingt, dem Schuldner, der in der
angenehmen Lage ist, über sein Vermögen den Konkurs eröffnet zu sehen,
eine Schenkung zu machen. Ein solcher Zwang ist geradezu eine gesetzliche
Vermögenskvnfiskation, ein Eingriff in den verfassungsmäßig gewährleisteten
Schutz des Eigentums. So wie es der Staat andern Schuldnern überläßt,
mit ihren Gläubigern einig zu werden, so müßte es der Staat auch den
Schuldnern, über deren Vermögen Konkurs eröffnet ist, überlassen, wie sie
sich mit ihren Gläubigern auseinandersetzen wollen. Daß das Gericht hier
zur Erreichung eines Vergleichs mitwirkt, und das Gesetz gar einen Zwang
auf die Gläubiger nnsübt, um die wirtschaftliche Erhaltung des Schuldners


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/519>, abgerufen am 28.07.2024.