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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik

Vorteil die englische Verwaltung Indiens aus der Größe ihrer Aufgaben und
Mittel zieht. In dem nahegelegnen, vom Kolonialamt unmittelbar verwalteten
Ceylon ist die Fülle von Begabung und Energie nicht in Thätigkeit gesetzt
worden, die Indien organisirt und reorganisirt hat, infolgedessen ist viel mehr
von dem Schlendrian einer gewöhnlichen büreaukratischen Verwaltung am Leben
geblieben als in Indien. Die Engländer haben sich in Indien viel mehr an
Indisches angeschlossen als in Ceylon, wo die Sprache der Eingebornen den
Beamten unbekannt ist, weshalb sie in die Hände eurasischer und andrer Dol¬
metscher gegeben sind, wo unpassende Gesetze auf unpassenden Boden gepflanzt
so schlechte Ergebnisse liefern, wie das Geschwornengericht in schweren Straf¬
sachen, das eine Stätte der Korruption ist. Singalesen, die nicht englisch ver¬
stehen, tagen dabei mit englischen Beamten, die ihre Sprache gebrauchen, als
ob sie in London säßen. Jahrzehnte ist das besondre Besitzrecht der Singa-
lesen an ihrem Familienland verkannt worden; den Leuten wurde Land abge¬
nommen, das sie gar nicht veräußern konnten, für Steuerrückstünde und als
Strafe, selbst für die Bestreitung ihres Unterhalts im Gefängnis. Die wohl¬
wollendsten Beurteiler haben der englischen Verwaltung nicht den Vorwurf er¬
spart, daß sie dem Lande zu äußerlich aufgesetzt sei und zu wenig Fühlung
mit den höherstehenden Singalesen habe.

Immerhin liefert auch Ceylon einen glänzenden Beleg für die kolo-
nisirenden Fähigkeiten der Engländer: in dem Aufschwung aus einem scheinbar
unwiederherstellbciren wirtschaftlichen Verfall. Ein elementares Unglück wie für
Indien der Aufstand von 1857 war für Ceylon der Zusammenbruch der
Kaffeepflanzungen, der Hauptquelle des Erwerbs fast für alle Europäer und
hunderttausend Eingeborne. Nachdem sie seit 1824 gesund aufgeblüht waren,
brachen die Spekulation und der Kaffeepilz gleichzeitig herein, verwüstend wie
ein Tomato. In den siebziger Jahren sind weite bewaldete, für Kaffeebau
ungeeignete Gebiete einfach nur gelichtet worden, um sie als neue, vielver¬
heißende Anpflanzungen zu verkaufen, wobei der Wert der alten Pflanzungen
ins Unsinnige gesteigert wurde, bis durch jenen Pilz ein Bankerott eintrat, der
den englischen Hypothekengläubiger ebenso traf wie den armen Tamilknli, der
höchstens neunzig Pfennige im Tage verdient. Diese Elenden, ohne Mittel
und ohne Energie, um in ihre südindische Heimat zurückzukehren, haben damals oft
ein, zwei Jahre für nichts als ihre tägliche Neisportion gearbeitet. Die verwüsteten
Kaffeefeldcr wurden mit Cinchona angepflanzt, die zuerst gedieh, aber dann
enttäuschte. Die Rettung kam endlich dnrch die Theepflanze, die vortrefflich
gedeiht und jetzt die Hauptkultur von Ceylon ausmacht. Die Kukis, die in
der Kaffeekrisis das Land verlassen hatten, kamen ans Madura und Tinevelli
zurück, und seit sich der Theebau in tieferliegende Gebiete ausgebreitet hat,
nehmen auch Singalesen an der Arbeit teil. Das englische Kapital hat auch
hier mit seiner Kühnheit und Nachhaltigkeit die Gesundung der zerrütteten


Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik

Vorteil die englische Verwaltung Indiens aus der Größe ihrer Aufgaben und
Mittel zieht. In dem nahegelegnen, vom Kolonialamt unmittelbar verwalteten
Ceylon ist die Fülle von Begabung und Energie nicht in Thätigkeit gesetzt
worden, die Indien organisirt und reorganisirt hat, infolgedessen ist viel mehr
von dem Schlendrian einer gewöhnlichen büreaukratischen Verwaltung am Leben
geblieben als in Indien. Die Engländer haben sich in Indien viel mehr an
Indisches angeschlossen als in Ceylon, wo die Sprache der Eingebornen den
Beamten unbekannt ist, weshalb sie in die Hände eurasischer und andrer Dol¬
metscher gegeben sind, wo unpassende Gesetze auf unpassenden Boden gepflanzt
so schlechte Ergebnisse liefern, wie das Geschwornengericht in schweren Straf¬
sachen, das eine Stätte der Korruption ist. Singalesen, die nicht englisch ver¬
stehen, tagen dabei mit englischen Beamten, die ihre Sprache gebrauchen, als
ob sie in London säßen. Jahrzehnte ist das besondre Besitzrecht der Singa-
lesen an ihrem Familienland verkannt worden; den Leuten wurde Land abge¬
nommen, das sie gar nicht veräußern konnten, für Steuerrückstünde und als
Strafe, selbst für die Bestreitung ihres Unterhalts im Gefängnis. Die wohl¬
wollendsten Beurteiler haben der englischen Verwaltung nicht den Vorwurf er¬
spart, daß sie dem Lande zu äußerlich aufgesetzt sei und zu wenig Fühlung
mit den höherstehenden Singalesen habe.

Immerhin liefert auch Ceylon einen glänzenden Beleg für die kolo-
nisirenden Fähigkeiten der Engländer: in dem Aufschwung aus einem scheinbar
unwiederherstellbciren wirtschaftlichen Verfall. Ein elementares Unglück wie für
Indien der Aufstand von 1857 war für Ceylon der Zusammenbruch der
Kaffeepflanzungen, der Hauptquelle des Erwerbs fast für alle Europäer und
hunderttausend Eingeborne. Nachdem sie seit 1824 gesund aufgeblüht waren,
brachen die Spekulation und der Kaffeepilz gleichzeitig herein, verwüstend wie
ein Tomato. In den siebziger Jahren sind weite bewaldete, für Kaffeebau
ungeeignete Gebiete einfach nur gelichtet worden, um sie als neue, vielver¬
heißende Anpflanzungen zu verkaufen, wobei der Wert der alten Pflanzungen
ins Unsinnige gesteigert wurde, bis durch jenen Pilz ein Bankerott eintrat, der
den englischen Hypothekengläubiger ebenso traf wie den armen Tamilknli, der
höchstens neunzig Pfennige im Tage verdient. Diese Elenden, ohne Mittel
und ohne Energie, um in ihre südindische Heimat zurückzukehren, haben damals oft
ein, zwei Jahre für nichts als ihre tägliche Neisportion gearbeitet. Die verwüsteten
Kaffeefeldcr wurden mit Cinchona angepflanzt, die zuerst gedieh, aber dann
enttäuschte. Die Rettung kam endlich dnrch die Theepflanze, die vortrefflich
gedeiht und jetzt die Hauptkultur von Ceylon ausmacht. Die Kukis, die in
der Kaffeekrisis das Land verlassen hatten, kamen ans Madura und Tinevelli
zurück, und seit sich der Theebau in tieferliegende Gebiete ausgebreitet hat,
nehmen auch Singalesen an der Arbeit teil. Das englische Kapital hat auch
hier mit seiner Kühnheit und Nachhaltigkeit die Gesundung der zerrütteten


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[0512] Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik Vorteil die englische Verwaltung Indiens aus der Größe ihrer Aufgaben und Mittel zieht. In dem nahegelegnen, vom Kolonialamt unmittelbar verwalteten Ceylon ist die Fülle von Begabung und Energie nicht in Thätigkeit gesetzt worden, die Indien organisirt und reorganisirt hat, infolgedessen ist viel mehr von dem Schlendrian einer gewöhnlichen büreaukratischen Verwaltung am Leben geblieben als in Indien. Die Engländer haben sich in Indien viel mehr an Indisches angeschlossen als in Ceylon, wo die Sprache der Eingebornen den Beamten unbekannt ist, weshalb sie in die Hände eurasischer und andrer Dol¬ metscher gegeben sind, wo unpassende Gesetze auf unpassenden Boden gepflanzt so schlechte Ergebnisse liefern, wie das Geschwornengericht in schweren Straf¬ sachen, das eine Stätte der Korruption ist. Singalesen, die nicht englisch ver¬ stehen, tagen dabei mit englischen Beamten, die ihre Sprache gebrauchen, als ob sie in London säßen. Jahrzehnte ist das besondre Besitzrecht der Singa- lesen an ihrem Familienland verkannt worden; den Leuten wurde Land abge¬ nommen, das sie gar nicht veräußern konnten, für Steuerrückstünde und als Strafe, selbst für die Bestreitung ihres Unterhalts im Gefängnis. Die wohl¬ wollendsten Beurteiler haben der englischen Verwaltung nicht den Vorwurf er¬ spart, daß sie dem Lande zu äußerlich aufgesetzt sei und zu wenig Fühlung mit den höherstehenden Singalesen habe. Immerhin liefert auch Ceylon einen glänzenden Beleg für die kolo- nisirenden Fähigkeiten der Engländer: in dem Aufschwung aus einem scheinbar unwiederherstellbciren wirtschaftlichen Verfall. Ein elementares Unglück wie für Indien der Aufstand von 1857 war für Ceylon der Zusammenbruch der Kaffeepflanzungen, der Hauptquelle des Erwerbs fast für alle Europäer und hunderttausend Eingeborne. Nachdem sie seit 1824 gesund aufgeblüht waren, brachen die Spekulation und der Kaffeepilz gleichzeitig herein, verwüstend wie ein Tomato. In den siebziger Jahren sind weite bewaldete, für Kaffeebau ungeeignete Gebiete einfach nur gelichtet worden, um sie als neue, vielver¬ heißende Anpflanzungen zu verkaufen, wobei der Wert der alten Pflanzungen ins Unsinnige gesteigert wurde, bis durch jenen Pilz ein Bankerott eintrat, der den englischen Hypothekengläubiger ebenso traf wie den armen Tamilknli, der höchstens neunzig Pfennige im Tage verdient. Diese Elenden, ohne Mittel und ohne Energie, um in ihre südindische Heimat zurückzukehren, haben damals oft ein, zwei Jahre für nichts als ihre tägliche Neisportion gearbeitet. Die verwüsteten Kaffeefeldcr wurden mit Cinchona angepflanzt, die zuerst gedieh, aber dann enttäuschte. Die Rettung kam endlich dnrch die Theepflanze, die vortrefflich gedeiht und jetzt die Hauptkultur von Ceylon ausmacht. Die Kukis, die in der Kaffeekrisis das Land verlassen hatten, kamen ans Madura und Tinevelli zurück, und seit sich der Theebau in tieferliegende Gebiete ausgebreitet hat, nehmen auch Singalesen an der Arbeit teil. Das englische Kapital hat auch hier mit seiner Kühnheit und Nachhaltigkeit die Gesundung der zerrütteten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/512>, abgerufen am 23.06.2024.