Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedrich Hebbel und Bils Ludwig

hat es sicher schwer gebüßt und, was noch mehr sagen will, später auch nach
Kräften gesühnt. Der Zug seelischen Leidens, der in Hebbels Dichterphhsiognvmie
unverkennbar und eigentlich kaum wieder aus ihr verschwunden ist, er schreibt
sich ja wohl aus dieser Zeit; Ludwig hat ihn nicht, so sehr er auch gelitten
hat, dafür aber auch nicht die eigentümliche Gewalt Hebbels. Aus der schwülen
und leidvollen Hamburger Atmosphäre erwuchsen Hebbel seine ersten großen
Dramen, "Judith" und "Genvveva," und machten ihn mit einem Schlage be¬
rühmt; Ludwig hatte noch ein volles Jahrzehnt zu ringen, ehe er mit einem
reifen Werk vor die Welt treten konnte. Doch blieb er auf dem geraden Wege,
in Leipzig wie später in Dresden und Umgebung, sein Leben weist keine dunkle
Episode wie die zwischen Hebbel und Elise Lensing, keinen vollständige" Bruch
mit der Vergangenheit auf, wie er nach Hebbels Stipendienreise dnrch Frank¬
reich und Italien in Wien mit der Vermählung und Niederlassung des Dich¬
ters dort eintrat. Ludwigs Liebesgeschichte und Heirat wurden wieder zum
Idyll, während Hebbel eine Tragödie durchlebte. Man thut nicht gut, die
Helden der Tragödie mit dem Maß der konventionellen Moral zu messen.

Hier kann ich die Vergleichung des Lebensweges der beiden Dichter ab¬
schließen; denn was nun noch folgt, ist die Periode der Produktion und des
Kampfes um die Anerkennung, den jeder bedeutende Dichter durchzumachen hat,
und der Siege und Niederlagen, Wunden und Lorbeern bringt, die Lorbeer"
oft zu spät. Daß Hebbel stets mehr im Vordertreffen der Litteratur stand
und viel heftiger bekämpft wurde als Ludwig, auch wohl ungeduldiger und
reizbarer war als dieser, ist ziemlich allgemein bekannt. Beide Dichter waren
übrigen zu einer ernsten, ja strengen Lebensführung geneigt, überhaupt
konservativer Natur, ohne viel persönliche Bedürfnisse; beide sind musterhafte
Ehegatten gewesen und haben in ihrer Häuslichkeit ihr Glück gefunden, nur
daß diesmal die des Dithmarsen die behaglicher und reicher ausgestattete war,
^me Entschädigung für die unendlichen Entbehrungen der Jugend und des ersten
Mannesalters. Im besten Mannesnlter schon kam dann die Krankheit, die
Ludwigs Schaffen störte, fast lähmte, während Hebbel, weniger geplagt, bis
Zuletzt die volle Produktionskraft bewahrte, dafür aber einige Jahre früher ab¬
gerufen wurde. In seiner Ganzheit übersehen, ist beider Leben nichts weniger
als von Glück begünstigt, doch hal'en es beide mannhaft getragen, und Hebbel
hat sogar die Sonne der spätern Jahre als vollen Ersatz für die düstre Jugend
""genommen.


Götter, öffnet die Hemde nicht mehr, ich würde erschrecken,
Denn ihr gabt mir genug, hebt sie nur schirmend empor!

so lautet eins seiner Distichen.




Friedrich Hebbel und Bils Ludwig

hat es sicher schwer gebüßt und, was noch mehr sagen will, später auch nach
Kräften gesühnt. Der Zug seelischen Leidens, der in Hebbels Dichterphhsiognvmie
unverkennbar und eigentlich kaum wieder aus ihr verschwunden ist, er schreibt
sich ja wohl aus dieser Zeit; Ludwig hat ihn nicht, so sehr er auch gelitten
hat, dafür aber auch nicht die eigentümliche Gewalt Hebbels. Aus der schwülen
und leidvollen Hamburger Atmosphäre erwuchsen Hebbel seine ersten großen
Dramen, „Judith" und „Genvveva," und machten ihn mit einem Schlage be¬
rühmt; Ludwig hatte noch ein volles Jahrzehnt zu ringen, ehe er mit einem
reifen Werk vor die Welt treten konnte. Doch blieb er auf dem geraden Wege,
in Leipzig wie später in Dresden und Umgebung, sein Leben weist keine dunkle
Episode wie die zwischen Hebbel und Elise Lensing, keinen vollständige» Bruch
mit der Vergangenheit auf, wie er nach Hebbels Stipendienreise dnrch Frank¬
reich und Italien in Wien mit der Vermählung und Niederlassung des Dich¬
ters dort eintrat. Ludwigs Liebesgeschichte und Heirat wurden wieder zum
Idyll, während Hebbel eine Tragödie durchlebte. Man thut nicht gut, die
Helden der Tragödie mit dem Maß der konventionellen Moral zu messen.

Hier kann ich die Vergleichung des Lebensweges der beiden Dichter ab¬
schließen; denn was nun noch folgt, ist die Periode der Produktion und des
Kampfes um die Anerkennung, den jeder bedeutende Dichter durchzumachen hat,
und der Siege und Niederlagen, Wunden und Lorbeern bringt, die Lorbeer«
oft zu spät. Daß Hebbel stets mehr im Vordertreffen der Litteratur stand
und viel heftiger bekämpft wurde als Ludwig, auch wohl ungeduldiger und
reizbarer war als dieser, ist ziemlich allgemein bekannt. Beide Dichter waren
übrigen zu einer ernsten, ja strengen Lebensführung geneigt, überhaupt
konservativer Natur, ohne viel persönliche Bedürfnisse; beide sind musterhafte
Ehegatten gewesen und haben in ihrer Häuslichkeit ihr Glück gefunden, nur
daß diesmal die des Dithmarsen die behaglicher und reicher ausgestattete war,
^me Entschädigung für die unendlichen Entbehrungen der Jugend und des ersten
Mannesalters. Im besten Mannesnlter schon kam dann die Krankheit, die
Ludwigs Schaffen störte, fast lähmte, während Hebbel, weniger geplagt, bis
Zuletzt die volle Produktionskraft bewahrte, dafür aber einige Jahre früher ab¬
gerufen wurde. In seiner Ganzheit übersehen, ist beider Leben nichts weniger
als von Glück begünstigt, doch hal'en es beide mannhaft getragen, und Hebbel
hat sogar die Sonne der spätern Jahre als vollen Ersatz für die düstre Jugend
«"genommen.


Götter, öffnet die Hemde nicht mehr, ich würde erschrecken,
Denn ihr gabt mir genug, hebt sie nur schirmend empor!

so lautet eins seiner Distichen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0051" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220377"/>
          <fw type="header" place="top"> Friedrich Hebbel und Bils Ludwig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_92" prev="#ID_91"> hat es sicher schwer gebüßt und, was noch mehr sagen will, später auch nach<lb/>
Kräften gesühnt. Der Zug seelischen Leidens, der in Hebbels Dichterphhsiognvmie<lb/>
unverkennbar und eigentlich kaum wieder aus ihr verschwunden ist, er schreibt<lb/>
sich ja wohl aus dieser Zeit; Ludwig hat ihn nicht, so sehr er auch gelitten<lb/>
hat, dafür aber auch nicht die eigentümliche Gewalt Hebbels. Aus der schwülen<lb/>
und leidvollen Hamburger Atmosphäre erwuchsen Hebbel seine ersten großen<lb/>
Dramen, &#x201E;Judith" und &#x201E;Genvveva," und machten ihn mit einem Schlage be¬<lb/>
rühmt; Ludwig hatte noch ein volles Jahrzehnt zu ringen, ehe er mit einem<lb/>
reifen Werk vor die Welt treten konnte. Doch blieb er auf dem geraden Wege,<lb/>
in Leipzig wie später in Dresden und Umgebung, sein Leben weist keine dunkle<lb/>
Episode wie die zwischen Hebbel und Elise Lensing, keinen vollständige» Bruch<lb/>
mit der Vergangenheit auf, wie er nach Hebbels Stipendienreise dnrch Frank¬<lb/>
reich und Italien in Wien mit der Vermählung und Niederlassung des Dich¬<lb/>
ters dort eintrat. Ludwigs Liebesgeschichte und Heirat wurden wieder zum<lb/>
Idyll, während Hebbel eine Tragödie durchlebte. Man thut nicht gut, die<lb/>
Helden der Tragödie mit dem Maß der konventionellen Moral zu messen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_93"> Hier kann ich die Vergleichung des Lebensweges der beiden Dichter ab¬<lb/>
schließen; denn was nun noch folgt, ist die Periode der Produktion und des<lb/>
Kampfes um die Anerkennung, den jeder bedeutende Dichter durchzumachen hat,<lb/>
und der Siege und Niederlagen, Wunden und Lorbeern bringt, die Lorbeer«<lb/>
oft zu spät. Daß Hebbel stets mehr im Vordertreffen der Litteratur stand<lb/>
und viel heftiger bekämpft wurde als Ludwig, auch wohl ungeduldiger und<lb/>
reizbarer war als dieser, ist ziemlich allgemein bekannt. Beide Dichter waren<lb/>
übrigen zu einer ernsten, ja strengen Lebensführung geneigt, überhaupt<lb/>
konservativer Natur, ohne viel persönliche Bedürfnisse; beide sind musterhafte<lb/>
Ehegatten gewesen und haben in ihrer Häuslichkeit ihr Glück gefunden, nur<lb/>
daß diesmal die des Dithmarsen die behaglicher und reicher ausgestattete war,<lb/>
^me Entschädigung für die unendlichen Entbehrungen der Jugend und des ersten<lb/>
Mannesalters. Im besten Mannesnlter schon kam dann die Krankheit, die<lb/>
Ludwigs Schaffen störte, fast lähmte, während Hebbel, weniger geplagt, bis<lb/>
Zuletzt die volle Produktionskraft bewahrte, dafür aber einige Jahre früher ab¬<lb/>
gerufen wurde. In seiner Ganzheit übersehen, ist beider Leben nichts weniger<lb/>
als von Glück begünstigt, doch hal'en es beide mannhaft getragen, und Hebbel<lb/>
hat sogar die Sonne der spätern Jahre als vollen Ersatz für die düstre Jugend<lb/>
«"genommen.</p><lb/>
          <quote> Götter, öffnet die Hemde nicht mehr, ich würde erschrecken,<lb/>
Denn ihr gabt mir genug, hebt sie nur schirmend empor!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_94"> so lautet eins seiner Distichen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] Friedrich Hebbel und Bils Ludwig hat es sicher schwer gebüßt und, was noch mehr sagen will, später auch nach Kräften gesühnt. Der Zug seelischen Leidens, der in Hebbels Dichterphhsiognvmie unverkennbar und eigentlich kaum wieder aus ihr verschwunden ist, er schreibt sich ja wohl aus dieser Zeit; Ludwig hat ihn nicht, so sehr er auch gelitten hat, dafür aber auch nicht die eigentümliche Gewalt Hebbels. Aus der schwülen und leidvollen Hamburger Atmosphäre erwuchsen Hebbel seine ersten großen Dramen, „Judith" und „Genvveva," und machten ihn mit einem Schlage be¬ rühmt; Ludwig hatte noch ein volles Jahrzehnt zu ringen, ehe er mit einem reifen Werk vor die Welt treten konnte. Doch blieb er auf dem geraden Wege, in Leipzig wie später in Dresden und Umgebung, sein Leben weist keine dunkle Episode wie die zwischen Hebbel und Elise Lensing, keinen vollständige» Bruch mit der Vergangenheit auf, wie er nach Hebbels Stipendienreise dnrch Frank¬ reich und Italien in Wien mit der Vermählung und Niederlassung des Dich¬ ters dort eintrat. Ludwigs Liebesgeschichte und Heirat wurden wieder zum Idyll, während Hebbel eine Tragödie durchlebte. Man thut nicht gut, die Helden der Tragödie mit dem Maß der konventionellen Moral zu messen. Hier kann ich die Vergleichung des Lebensweges der beiden Dichter ab¬ schließen; denn was nun noch folgt, ist die Periode der Produktion und des Kampfes um die Anerkennung, den jeder bedeutende Dichter durchzumachen hat, und der Siege und Niederlagen, Wunden und Lorbeern bringt, die Lorbeer« oft zu spät. Daß Hebbel stets mehr im Vordertreffen der Litteratur stand und viel heftiger bekämpft wurde als Ludwig, auch wohl ungeduldiger und reizbarer war als dieser, ist ziemlich allgemein bekannt. Beide Dichter waren übrigen zu einer ernsten, ja strengen Lebensführung geneigt, überhaupt konservativer Natur, ohne viel persönliche Bedürfnisse; beide sind musterhafte Ehegatten gewesen und haben in ihrer Häuslichkeit ihr Glück gefunden, nur daß diesmal die des Dithmarsen die behaglicher und reicher ausgestattete war, ^me Entschädigung für die unendlichen Entbehrungen der Jugend und des ersten Mannesalters. Im besten Mannesnlter schon kam dann die Krankheit, die Ludwigs Schaffen störte, fast lähmte, während Hebbel, weniger geplagt, bis Zuletzt die volle Produktionskraft bewahrte, dafür aber einige Jahre früher ab¬ gerufen wurde. In seiner Ganzheit übersehen, ist beider Leben nichts weniger als von Glück begünstigt, doch hal'en es beide mannhaft getragen, und Hebbel hat sogar die Sonne der spätern Jahre als vollen Ersatz für die düstre Jugend «"genommen. Götter, öffnet die Hemde nicht mehr, ich würde erschrecken, Denn ihr gabt mir genug, hebt sie nur schirmend empor! so lautet eins seiner Distichen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/51
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/51>, abgerufen am 30.06.2024.