Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

nicht wirtschaften könne. In weitern Kreisen Indiens hat aber die ganze Aus¬
einandersetzung, die besonders von den indischen Vertretern im Kuxre-uis I^Zis-
I-Mos Louneil und den indischen Zeitungen mit Erbitterung geführt wurde,
das allgemeinere Verlangen nur klarer hervortreten lassen, daß Indien in
seinem eignen Interesse besteuert werde. Die Macht des Bodens über den
Menschen zeigte sich einmal wieder recht klar, denn Judoeuropäer und Jndier
waren in dieser Sache genau derselben Meinung. Auch wurde mit Recht
geltend gemacht, daß die ohnehin schon bestehende Neigung der gedrückten In¬
dustrien, auf den Boden der Eingebornenstaaten oder der französischen und
portugiesischen Besitzungen auszuwandern, nicht durch zu schroffe Fincmzmaß-
regeln gestärkt werden dürfe. Gegen die Ansicht der indischen Regierung ist
durch die entscheidende Stimme des Staatssekretärs für Indien, also praktisch
gesprochen, des Parlaments, bestimmt worden, daß die ohnehin durch die kurz-
stapclige indische Baumwolle begünstigten gröbern Nummern Vaumwvllgewebe
unter zwanzig frei bleiben, die über zwanzig, in denen Lcmecishire mit Indien
konkurrirt, aber mit der Accise belegt werden sollen. Indien wird durch eine
solche schwächliche Auskunft nicht gehindert werden, sich in derselben Richtung
industriell weiter zu entwickeln, die es mit der Baumwollenindustrie einge¬
schlagen hat. Fehlt es ihm doch uicht an Handelsgeist, Kapital und vor allem
an billigen Arbeitskräften. Das wirkt naturgesetzlich zusammen. Daß der
niedrigste Preis für Material und Arbeit doch erst erreicht wird, wenn Ein¬
heimische die ganze Arbeit vom Plan bis zur Ausführung in der Hand haben,
hob mit besondrer Betonung der Lieutenant Governor von Bengalen hervor,
als er im April 1895 die erste mit indischem Kapital und von einem indischen
Ingenieur gebaute Bahn, eine fünfzig Kilometer lauge Schmalspurbahn, eröffnete.
Er bezeichnete sie als einen Markstein in der Entwicklung des Eisenbahnwesens
in Indien. Was würden aber die Hochofenbcsitzer von Wales sagen, wenn
Indien billigere Schienen und Lokomotiven herstellen oder aus Deutschland
oder Belgien beziehen wollte? Auf verhältnismäßig kleine Posten, die einge¬
führt worden sind, wurde sogar in der politischen Presse eifersüchtig und mit
warnender Stimme hingewiesen.

In diesem wirtschaftlichen Gegensatz liegt der Keim viel tiefer gehender,
folgenreicher Verwicklungen. Es ist einfach so, daß dieselbe Ursache, die Eng¬
land einst das Übergewicht im Handel mit Indien und Ostasten verschaffte,
die billige Arbeit seiner mit eignen Kohlen geheizten und aus eignem Eisen
gebauten Maschinen, nun langsam seine eigne überragende Stellung unter¬
wühlt. Der Strom hat es gebracht, der Strom nimmt es auch wieder mit
fort. Japan ist schon reich an Kohlen und billiger Arbeit, die Arbeit Indiens
ist aber noch billiger. In beiden Ländern entfaltet sich viel mehr Geschick-
lichkeit in industrieller Arbeit, als je für möglich gehalten worden ist. Selbst
die japanischen Dampfer beschränken sich uicht mehr darauf, den englischen den


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

nicht wirtschaften könne. In weitern Kreisen Indiens hat aber die ganze Aus¬
einandersetzung, die besonders von den indischen Vertretern im Kuxre-uis I^Zis-
I-Mos Louneil und den indischen Zeitungen mit Erbitterung geführt wurde,
das allgemeinere Verlangen nur klarer hervortreten lassen, daß Indien in
seinem eignen Interesse besteuert werde. Die Macht des Bodens über den
Menschen zeigte sich einmal wieder recht klar, denn Judoeuropäer und Jndier
waren in dieser Sache genau derselben Meinung. Auch wurde mit Recht
geltend gemacht, daß die ohnehin schon bestehende Neigung der gedrückten In¬
dustrien, auf den Boden der Eingebornenstaaten oder der französischen und
portugiesischen Besitzungen auszuwandern, nicht durch zu schroffe Fincmzmaß-
regeln gestärkt werden dürfe. Gegen die Ansicht der indischen Regierung ist
durch die entscheidende Stimme des Staatssekretärs für Indien, also praktisch
gesprochen, des Parlaments, bestimmt worden, daß die ohnehin durch die kurz-
stapclige indische Baumwolle begünstigten gröbern Nummern Vaumwvllgewebe
unter zwanzig frei bleiben, die über zwanzig, in denen Lcmecishire mit Indien
konkurrirt, aber mit der Accise belegt werden sollen. Indien wird durch eine
solche schwächliche Auskunft nicht gehindert werden, sich in derselben Richtung
industriell weiter zu entwickeln, die es mit der Baumwollenindustrie einge¬
schlagen hat. Fehlt es ihm doch uicht an Handelsgeist, Kapital und vor allem
an billigen Arbeitskräften. Das wirkt naturgesetzlich zusammen. Daß der
niedrigste Preis für Material und Arbeit doch erst erreicht wird, wenn Ein¬
heimische die ganze Arbeit vom Plan bis zur Ausführung in der Hand haben,
hob mit besondrer Betonung der Lieutenant Governor von Bengalen hervor,
als er im April 1895 die erste mit indischem Kapital und von einem indischen
Ingenieur gebaute Bahn, eine fünfzig Kilometer lauge Schmalspurbahn, eröffnete.
Er bezeichnete sie als einen Markstein in der Entwicklung des Eisenbahnwesens
in Indien. Was würden aber die Hochofenbcsitzer von Wales sagen, wenn
Indien billigere Schienen und Lokomotiven herstellen oder aus Deutschland
oder Belgien beziehen wollte? Auf verhältnismäßig kleine Posten, die einge¬
führt worden sind, wurde sogar in der politischen Presse eifersüchtig und mit
warnender Stimme hingewiesen.

In diesem wirtschaftlichen Gegensatz liegt der Keim viel tiefer gehender,
folgenreicher Verwicklungen. Es ist einfach so, daß dieselbe Ursache, die Eng¬
land einst das Übergewicht im Handel mit Indien und Ostasten verschaffte,
die billige Arbeit seiner mit eignen Kohlen geheizten und aus eignem Eisen
gebauten Maschinen, nun langsam seine eigne überragende Stellung unter¬
wühlt. Der Strom hat es gebracht, der Strom nimmt es auch wieder mit
fort. Japan ist schon reich an Kohlen und billiger Arbeit, die Arbeit Indiens
ist aber noch billiger. In beiden Ländern entfaltet sich viel mehr Geschick-
lichkeit in industrieller Arbeit, als je für möglich gehalten worden ist. Selbst
die japanischen Dampfer beschränken sich uicht mehr darauf, den englischen den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220827"/>
            <fw type="header" place="top"> Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1974" prev="#ID_1973"> nicht wirtschaften könne. In weitern Kreisen Indiens hat aber die ganze Aus¬<lb/>
einandersetzung, die besonders von den indischen Vertretern im Kuxre-uis I^Zis-<lb/>
I-Mos Louneil und den indischen Zeitungen mit Erbitterung geführt wurde,<lb/>
das allgemeinere Verlangen nur klarer hervortreten lassen, daß Indien in<lb/>
seinem eignen Interesse besteuert werde. Die Macht des Bodens über den<lb/>
Menschen zeigte sich einmal wieder recht klar, denn Judoeuropäer und Jndier<lb/>
waren in dieser Sache genau derselben Meinung. Auch wurde mit Recht<lb/>
geltend gemacht, daß die ohnehin schon bestehende Neigung der gedrückten In¬<lb/>
dustrien, auf den Boden der Eingebornenstaaten oder der französischen und<lb/>
portugiesischen Besitzungen auszuwandern, nicht durch zu schroffe Fincmzmaß-<lb/>
regeln gestärkt werden dürfe. Gegen die Ansicht der indischen Regierung ist<lb/>
durch die entscheidende Stimme des Staatssekretärs für Indien, also praktisch<lb/>
gesprochen, des Parlaments, bestimmt worden, daß die ohnehin durch die kurz-<lb/>
stapclige indische Baumwolle begünstigten gröbern Nummern Vaumwvllgewebe<lb/>
unter zwanzig frei bleiben, die über zwanzig, in denen Lcmecishire mit Indien<lb/>
konkurrirt, aber mit der Accise belegt werden sollen. Indien wird durch eine<lb/>
solche schwächliche Auskunft nicht gehindert werden, sich in derselben Richtung<lb/>
industriell weiter zu entwickeln, die es mit der Baumwollenindustrie einge¬<lb/>
schlagen hat. Fehlt es ihm doch uicht an Handelsgeist, Kapital und vor allem<lb/>
an billigen Arbeitskräften. Das wirkt naturgesetzlich zusammen. Daß der<lb/>
niedrigste Preis für Material und Arbeit doch erst erreicht wird, wenn Ein¬<lb/>
heimische die ganze Arbeit vom Plan bis zur Ausführung in der Hand haben,<lb/>
hob mit besondrer Betonung der Lieutenant Governor von Bengalen hervor,<lb/>
als er im April 1895 die erste mit indischem Kapital und von einem indischen<lb/>
Ingenieur gebaute Bahn, eine fünfzig Kilometer lauge Schmalspurbahn, eröffnete.<lb/>
Er bezeichnete sie als einen Markstein in der Entwicklung des Eisenbahnwesens<lb/>
in Indien. Was würden aber die Hochofenbcsitzer von Wales sagen, wenn<lb/>
Indien billigere Schienen und Lokomotiven herstellen oder aus Deutschland<lb/>
oder Belgien beziehen wollte? Auf verhältnismäßig kleine Posten, die einge¬<lb/>
führt worden sind, wurde sogar in der politischen Presse eifersüchtig und mit<lb/>
warnender Stimme hingewiesen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1975" next="#ID_1976"> In diesem wirtschaftlichen Gegensatz liegt der Keim viel tiefer gehender,<lb/>
folgenreicher Verwicklungen. Es ist einfach so, daß dieselbe Ursache, die Eng¬<lb/>
land einst das Übergewicht im Handel mit Indien und Ostasten verschaffte,<lb/>
die billige Arbeit seiner mit eignen Kohlen geheizten und aus eignem Eisen<lb/>
gebauten Maschinen, nun langsam seine eigne überragende Stellung unter¬<lb/>
wühlt. Der Strom hat es gebracht, der Strom nimmt es auch wieder mit<lb/>
fort. Japan ist schon reich an Kohlen und billiger Arbeit, die Arbeit Indiens<lb/>
ist aber noch billiger. In beiden Ländern entfaltet sich viel mehr Geschick-<lb/>
lichkeit in industrieller Arbeit, als je für möglich gehalten worden ist. Selbst<lb/>
die japanischen Dampfer beschränken sich uicht mehr darauf, den englischen den</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik nicht wirtschaften könne. In weitern Kreisen Indiens hat aber die ganze Aus¬ einandersetzung, die besonders von den indischen Vertretern im Kuxre-uis I^Zis- I-Mos Louneil und den indischen Zeitungen mit Erbitterung geführt wurde, das allgemeinere Verlangen nur klarer hervortreten lassen, daß Indien in seinem eignen Interesse besteuert werde. Die Macht des Bodens über den Menschen zeigte sich einmal wieder recht klar, denn Judoeuropäer und Jndier waren in dieser Sache genau derselben Meinung. Auch wurde mit Recht geltend gemacht, daß die ohnehin schon bestehende Neigung der gedrückten In¬ dustrien, auf den Boden der Eingebornenstaaten oder der französischen und portugiesischen Besitzungen auszuwandern, nicht durch zu schroffe Fincmzmaß- regeln gestärkt werden dürfe. Gegen die Ansicht der indischen Regierung ist durch die entscheidende Stimme des Staatssekretärs für Indien, also praktisch gesprochen, des Parlaments, bestimmt worden, daß die ohnehin durch die kurz- stapclige indische Baumwolle begünstigten gröbern Nummern Vaumwvllgewebe unter zwanzig frei bleiben, die über zwanzig, in denen Lcmecishire mit Indien konkurrirt, aber mit der Accise belegt werden sollen. Indien wird durch eine solche schwächliche Auskunft nicht gehindert werden, sich in derselben Richtung industriell weiter zu entwickeln, die es mit der Baumwollenindustrie einge¬ schlagen hat. Fehlt es ihm doch uicht an Handelsgeist, Kapital und vor allem an billigen Arbeitskräften. Das wirkt naturgesetzlich zusammen. Daß der niedrigste Preis für Material und Arbeit doch erst erreicht wird, wenn Ein¬ heimische die ganze Arbeit vom Plan bis zur Ausführung in der Hand haben, hob mit besondrer Betonung der Lieutenant Governor von Bengalen hervor, als er im April 1895 die erste mit indischem Kapital und von einem indischen Ingenieur gebaute Bahn, eine fünfzig Kilometer lauge Schmalspurbahn, eröffnete. Er bezeichnete sie als einen Markstein in der Entwicklung des Eisenbahnwesens in Indien. Was würden aber die Hochofenbcsitzer von Wales sagen, wenn Indien billigere Schienen und Lokomotiven herstellen oder aus Deutschland oder Belgien beziehen wollte? Auf verhältnismäßig kleine Posten, die einge¬ führt worden sind, wurde sogar in der politischen Presse eifersüchtig und mit warnender Stimme hingewiesen. In diesem wirtschaftlichen Gegensatz liegt der Keim viel tiefer gehender, folgenreicher Verwicklungen. Es ist einfach so, daß dieselbe Ursache, die Eng¬ land einst das Übergewicht im Handel mit Indien und Ostasten verschaffte, die billige Arbeit seiner mit eignen Kohlen geheizten und aus eignem Eisen gebauten Maschinen, nun langsam seine eigne überragende Stellung unter¬ wühlt. Der Strom hat es gebracht, der Strom nimmt es auch wieder mit fort. Japan ist schon reich an Kohlen und billiger Arbeit, die Arbeit Indiens ist aber noch billiger. In beiden Ländern entfaltet sich viel mehr Geschick- lichkeit in industrieller Arbeit, als je für möglich gehalten worden ist. Selbst die japanischen Dampfer beschränken sich uicht mehr darauf, den englischen den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/501>, abgerufen am 23.06.2024.