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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Arr Kenntnis der englischen Weltpolitik

mische Greuel entrüste, wurde moralisch niedergeschlagen. Ähnlich verlor die
I'iinss allen Anstand bei der Besprechung des Versuchs einiger Parlaments¬
mitglieder, das Unrecht der indischen Opiumpolitik nachzuweisen; die Armen
wurden wie Schwachsinnige behandelt. Gegen den indischen Baumwollenzoll
wurde der Ruf der Entrüstung erhoben: Ein Schutzzoll zwischen Ländern unter
demselben Parlament! Darin ist gar kein Sinn, denn das englische Parlament
beschließt sür Indien, Indien hat aber kein Parlament, es hat nur seine Be¬
amten! Die Verbesserungen, die seit der Auflösung der Ostindischen Kompagnie
und dem Übergang aller ihrer Besitzungen an die Krone in und für Indien
eingeführt worden sind, mußten fast alle gegen den Willen des Parlaments
durchgesetzt werden. Es ist vorwiegend das Verdienst der anglo-indischen Be¬
amten, die Indien kennen, daß der zum Teil sinnlosen Ausbeutung des fernen
Landes nach und nach Grenzen gezogen worden sind. Das indische Amt be¬
schäftigte früher ein Heer von Beamten mit Ankäufen für die Armee, für die
Eisenbahnen u. s. w. Auch jetzt sollen noch etwa sechshundert von den zwölf-
hundert dort beschäftigten damit beauftragt sein. Die Armeeleitung hat es
zuerst durchgesetzt, daß sie ihre Monturen, ihr Schuhwerk und ihre Munition
-- neuerdings selbst Corbie und Stahlgeschosse -- in Indien selbst herstellt,
und die Eisenbahnen folgen langsam diesem Beispiel. Weite Kreise Englands
sehen aber die Stärkung der indischen Industrie sehr ungern. Als die indische
Regierung, nicht um die herangewachsene Baumwollenindustrie Indiens zu
schützen, sondern um eine neue Geldquelle zu erschließen, einen Zoll auf ein¬
geführte Baumwollgewebe legte, dessen Ertrag zunächst auf IV" Million Rupien
angeschlagen wurde, drang die englische Regierung darauf, daß gleichzeitig eine
Steuer, die 7 Lakh Rupien bringen soll, auf die bessern, d. h. den Pro¬
dukten der englischen Webstuhle Konkurrenz machenden Erzeugnisse der indischen
Baumwolleuweber gelegt wurde, damit die englischen Spinner und Weber nicht
geschädigt würden. Der Finanzsekretär erklärte ganz offen im indischen Staats¬
rat, daß die indische Regierung nie daran gedacht haben würde, die heimische
Regierung habe es verlangt. Der Zwiespalt dauert aber fort. Man hat durch
diesen die Jndier doppelt betastenden Kompromiß nur ein Anzeichen beseitigt.

Zwischen Lancashire mit seinen 440000 Arbeitern in der Baumwoll¬
industrie, deren gewaltige Entwicklung in England (1890 44,5 Millionen
Spindeln) fast zu vier Fünfteln hier konzentrirt ist, und Indien, dessen Spindeln
und Fabriken von 1882 bis 1892 um 104 und 111 Prozent gewachsen sind (1892
3^8 Millionen Spindeln in 127 Fabriken) steht nun England in auskuuftsloser
Verlegenheit. Die indische Negierung behauptet, ohne neue Einnahmen angesichts
ihrer Goldvcrbindlichkeiten gegenüber dem Mutterlands sich vor dem Bankerott
zu befinden, und wünscht eine parlamentarische Untersuchung, die zeigen soll,
daß sie die Ausgaben auf das kleinste Maß herabgesetzt habe und ohne den fünf- .
undzwanzigprozentigen Einfuhrzoll, den alle Einfuhren gleichmüßig tragen,

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Arr Kenntnis der englischen Weltpolitik

mische Greuel entrüste, wurde moralisch niedergeschlagen. Ähnlich verlor die
I'iinss allen Anstand bei der Besprechung des Versuchs einiger Parlaments¬
mitglieder, das Unrecht der indischen Opiumpolitik nachzuweisen; die Armen
wurden wie Schwachsinnige behandelt. Gegen den indischen Baumwollenzoll
wurde der Ruf der Entrüstung erhoben: Ein Schutzzoll zwischen Ländern unter
demselben Parlament! Darin ist gar kein Sinn, denn das englische Parlament
beschließt sür Indien, Indien hat aber kein Parlament, es hat nur seine Be¬
amten! Die Verbesserungen, die seit der Auflösung der Ostindischen Kompagnie
und dem Übergang aller ihrer Besitzungen an die Krone in und für Indien
eingeführt worden sind, mußten fast alle gegen den Willen des Parlaments
durchgesetzt werden. Es ist vorwiegend das Verdienst der anglo-indischen Be¬
amten, die Indien kennen, daß der zum Teil sinnlosen Ausbeutung des fernen
Landes nach und nach Grenzen gezogen worden sind. Das indische Amt be¬
schäftigte früher ein Heer von Beamten mit Ankäufen für die Armee, für die
Eisenbahnen u. s. w. Auch jetzt sollen noch etwa sechshundert von den zwölf-
hundert dort beschäftigten damit beauftragt sein. Die Armeeleitung hat es
zuerst durchgesetzt, daß sie ihre Monturen, ihr Schuhwerk und ihre Munition
— neuerdings selbst Corbie und Stahlgeschosse — in Indien selbst herstellt,
und die Eisenbahnen folgen langsam diesem Beispiel. Weite Kreise Englands
sehen aber die Stärkung der indischen Industrie sehr ungern. Als die indische
Regierung, nicht um die herangewachsene Baumwollenindustrie Indiens zu
schützen, sondern um eine neue Geldquelle zu erschließen, einen Zoll auf ein¬
geführte Baumwollgewebe legte, dessen Ertrag zunächst auf IV» Million Rupien
angeschlagen wurde, drang die englische Regierung darauf, daß gleichzeitig eine
Steuer, die 7 Lakh Rupien bringen soll, auf die bessern, d. h. den Pro¬
dukten der englischen Webstuhle Konkurrenz machenden Erzeugnisse der indischen
Baumwolleuweber gelegt wurde, damit die englischen Spinner und Weber nicht
geschädigt würden. Der Finanzsekretär erklärte ganz offen im indischen Staats¬
rat, daß die indische Regierung nie daran gedacht haben würde, die heimische
Regierung habe es verlangt. Der Zwiespalt dauert aber fort. Man hat durch
diesen die Jndier doppelt betastenden Kompromiß nur ein Anzeichen beseitigt.

Zwischen Lancashire mit seinen 440000 Arbeitern in der Baumwoll¬
industrie, deren gewaltige Entwicklung in England (1890 44,5 Millionen
Spindeln) fast zu vier Fünfteln hier konzentrirt ist, und Indien, dessen Spindeln
und Fabriken von 1882 bis 1892 um 104 und 111 Prozent gewachsen sind (1892
3^8 Millionen Spindeln in 127 Fabriken) steht nun England in auskuuftsloser
Verlegenheit. Die indische Negierung behauptet, ohne neue Einnahmen angesichts
ihrer Goldvcrbindlichkeiten gegenüber dem Mutterlands sich vor dem Bankerott
zu befinden, und wünscht eine parlamentarische Untersuchung, die zeigen soll,
daß sie die Ausgaben auf das kleinste Maß herabgesetzt habe und ohne den fünf- .
undzwanzigprozentigen Einfuhrzoll, den alle Einfuhren gleichmüßig tragen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/500>, abgerufen am 24.06.2024.