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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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!vio man sich verspricht

antwortung einiger Fragen aus der Geographie der Pyrenäenhalbinsel sind
vielleicht erwähnenswert Portagal, portugiesisch, Grandada, Gribaltar und
Sierra Nerada (dann korrigirt, ein andrer schreibt Sirena Nevada, obwohl
er vorher so und so oft richtig Sierra gesagt hatte). Die Maubeerbäume
und Dattebäume verdanken ihre Entstehung natürlich dem gleichen Anfang des
l und des b; sehr hübsch ist das Kab da Upar eines kleinen Notker mit seiner
Vorausnahme des medialen Charakters unmittelbar neben dem richtigen Kap
Tarifa.

Wie leicht übersieht man aber Schreib- und Druckfehler, wie leicht über¬
hört man, wenn sich der andre verspricht! Beides hat gewiß denselben Grund,
aber er liegt nicht da, wo ihn Meringer sucht. Er sagt (S. 11): "Der Haupt¬
grund des Überhörens von Sprechfehlern liegt darin, daß der Hörer ganz
ähnlich daran ist wie der Sprecher und wohl aus derselben Ursache überhört,
aus der der andre sich verspricht." Die Ursache, daß der andre sich verspricht,
liegt in den allermeisten Füllen in dem sein inneres Sprechen umgebenden
Wortmaterial. Das aber deckt sich doch nicht ohne weiteres mit dem des
Hörers, tritt ihm auch nicht entgegen; entgegen treten ihm nur die Worte, die
laut werden, und der Sinn der Aussage des andern. Daß der Hörer diesen
Sinn rechtzeitig erfaßt, und daß dieser, stärker wirkend als die Laute, das
falsche Lautbild gar nicht ins Bewußtsein des Hörers kommen läßt, darin liegt
doch wohl die Hauptursache davon, daß mau so viele Versprechen überhört,
ebenso wie der mehr den Sinn lesende Verfasser eines Buches die Druckfehler
viel leichter übersieht, als der Korrektor in der Druckerei, der die Buch¬
staben liest.

Das gelehrte Schlußkapitel von Meringers Buch bildet die Zusammen¬
stellung einiger Thatsachen der indogermanischen Sprachgeschichte, die in Helles
Licht rücken, wenn man sie als fest gewordne Versprechen auffaßt. Wenigstens
das deutsche Sprachgut, in dem alte Versprechungen stecken, sei hier zum Schluß
uoch mitgeteilt. Neben Erle steht das mundartliche Eller, wie schon in alter
Zeit eliiir neben erilii.. Auch das alte Lehnwort aostuur hat sehr früh eine
solche Vertauschung erfahren; denn g-kein ist die Urform für unser Essig. El"
bloßer Nachklang hätte beinahe das stark flektirende Wort Stamm in die
schwache Deklination hinüber gedrängt: in Oberdeutschland ist lange die Formel
"seines Namens und Staunens" in Gebrauch gewesen, und in Vaiern wird
darnach noch heute vielfach der Stammen, der Stammenbaum, das Stnmmen-
bnch gesagt. Als Vorklang, genauer gesagt als Vorausnahme der hellen Klang¬
farbe des i oder j einer End- oder Nebensilbe, haben wir unsern Amiant auf¬
zufassen; und auch an merkwürdigen Dissimilationen fehlt es nicht. Aus dem
lateinischen xvrsArinus haben unsre Vorfahren Pilgrim, aus turtur Turtel(taube)
und aus irmrwor Marmel(stein) gemacht, ans AMAödvrs ist Ingwer geworden,
und aus Mg, wenigstens in mehreren Mundarten, Gilge und Jlge (daher der


!vio man sich verspricht

antwortung einiger Fragen aus der Geographie der Pyrenäenhalbinsel sind
vielleicht erwähnenswert Portagal, portugiesisch, Grandada, Gribaltar und
Sierra Nerada (dann korrigirt, ein andrer schreibt Sirena Nevada, obwohl
er vorher so und so oft richtig Sierra gesagt hatte). Die Maubeerbäume
und Dattebäume verdanken ihre Entstehung natürlich dem gleichen Anfang des
l und des b; sehr hübsch ist das Kab da Upar eines kleinen Notker mit seiner
Vorausnahme des medialen Charakters unmittelbar neben dem richtigen Kap
Tarifa.

Wie leicht übersieht man aber Schreib- und Druckfehler, wie leicht über¬
hört man, wenn sich der andre verspricht! Beides hat gewiß denselben Grund,
aber er liegt nicht da, wo ihn Meringer sucht. Er sagt (S. 11): „Der Haupt¬
grund des Überhörens von Sprechfehlern liegt darin, daß der Hörer ganz
ähnlich daran ist wie der Sprecher und wohl aus derselben Ursache überhört,
aus der der andre sich verspricht." Die Ursache, daß der andre sich verspricht,
liegt in den allermeisten Füllen in dem sein inneres Sprechen umgebenden
Wortmaterial. Das aber deckt sich doch nicht ohne weiteres mit dem des
Hörers, tritt ihm auch nicht entgegen; entgegen treten ihm nur die Worte, die
laut werden, und der Sinn der Aussage des andern. Daß der Hörer diesen
Sinn rechtzeitig erfaßt, und daß dieser, stärker wirkend als die Laute, das
falsche Lautbild gar nicht ins Bewußtsein des Hörers kommen läßt, darin liegt
doch wohl die Hauptursache davon, daß mau so viele Versprechen überhört,
ebenso wie der mehr den Sinn lesende Verfasser eines Buches die Druckfehler
viel leichter übersieht, als der Korrektor in der Druckerei, der die Buch¬
staben liest.

Das gelehrte Schlußkapitel von Meringers Buch bildet die Zusammen¬
stellung einiger Thatsachen der indogermanischen Sprachgeschichte, die in Helles
Licht rücken, wenn man sie als fest gewordne Versprechen auffaßt. Wenigstens
das deutsche Sprachgut, in dem alte Versprechungen stecken, sei hier zum Schluß
uoch mitgeteilt. Neben Erle steht das mundartliche Eller, wie schon in alter
Zeit eliiir neben erilii.. Auch das alte Lehnwort aostuur hat sehr früh eine
solche Vertauschung erfahren; denn g-kein ist die Urform für unser Essig. El»
bloßer Nachklang hätte beinahe das stark flektirende Wort Stamm in die
schwache Deklination hinüber gedrängt: in Oberdeutschland ist lange die Formel
„seines Namens und Staunens" in Gebrauch gewesen, und in Vaiern wird
darnach noch heute vielfach der Stammen, der Stammenbaum, das Stnmmen-
bnch gesagt. Als Vorklang, genauer gesagt als Vorausnahme der hellen Klang¬
farbe des i oder j einer End- oder Nebensilbe, haben wir unsern Amiant auf¬
zufassen; und auch an merkwürdigen Dissimilationen fehlt es nicht. Aus dem
lateinischen xvrsArinus haben unsre Vorfahren Pilgrim, aus turtur Turtel(taube)
und aus irmrwor Marmel(stein) gemacht, ans AMAödvrs ist Ingwer geworden,
und aus Mg, wenigstens in mehreren Mundarten, Gilge und Jlge (daher der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/486>, abgerufen am 24.06.2024.