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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Wie man sich verspricht

sein --: der breite! Oder: ein Gast ruft dem Kellner: ich bitte um Zündhölzer.
Sofort ruft sein Nachbar dazu: und mir um eine Flasche Wein! Wenn eine
Zeit lang von Patienten die Rede gewesen ist, kann es einem leicht begegnen,
daß man Patienten statt Studenten sagt, wenn von Heilkunde, daß einem
Warenheilkunde entschlüpft statt Warenkunde.

Hier mischt sich altes, das gleichsam noch in einer wirksamen Sphäre
im Gehirn schwebt, mit neuem, das mitten im Bewußtsein steht. Es kann
aber auch vorkommen, daß man zwei neue Wörter, Wendungen, Gedanken
gleichzeitig im Sprachbewußtsein bereit hat und sich nun dadurch verspricht,
daß der eine in den andern hereinspielt. Dann entsteht solcher Unsinn wie:
jemand einen Schreckschuß einjagen, man macht aus dem Verdampfen und dem
Verdunsten des Wassers ein Verdumpfen, man bildet Wörter wie saftlos und
überstaunt. Jemand erzählt: Da brach -- sprach er einen Toast, weil in
seinem Sprachbewußtsein "brachte aus" und "sprach" neben einander bereit
lagen, die sich noch dazu teilweise äußerlich fast decken, ein andrer redet von
der Verbetterung der Rassen, weil er ein das Fetterwcrden der Tiere dabei
gedacht hat. Sehr lehrreich ist folgendes Beispiel Meriugers. "Ich frage
einen Bekannten, wie es seinem kranken Pferde gehe. Er antwortet: Ja, das
traut -- dauert vielleicht uoch einen Monat. Das "traut" mit seinem r war
mir unverständlich, denn das r von "dauert" konnte unmöglich so gewirkt
haben. Ich machte ihn also aufmerksam, worauf er erklärte, er habe gedacht:
das ist eine traurige Geschichte." Ähnlich ist folgender komische Satz zu
stände gekommen: Als Friedrich Wilhelm IV. zur Negierung kam, setzte er
Arndt wieder auf den Thron. Offenbar hatte der Sprecher für den Nebensatz
im Sprachbewußtsein die Variante: als Friedrich Wilhelm IV. auf den Thron
kam, und diese drängte sich in den Hauptsatz, der ursprünglich heißen sollte:
setzte er Arndt wieder in die vollen Rechte seiner Professur ein, vermöge der
innern und äußern Verwandtschaft der beiden Ausdrücke auf deu Thron setzen
und einsetzen. Aber nicht nur zwei Parallelausdrücke, auch zwei Gegensätze
scheinen im Sprachbewußtem oft sofort neben einander dazuliegen, wenn der
eine von ihnen gebraucht wird. So erklärt es sich wenigstens am besten, daß
Wörter wie gewinnen und verlieren, der vorige und der folgende, östlich und
westlich, Nachkomme und Vorfahr so leicht verwechselt werden. Immerhin
sind das nur vereinzelte Wortpaare.^)



*) Auch die Zusammensetzungen mit un- verführen leicht dazu, das Gegenteil von dem
zu sagen, was man meint. Neulich las ich: sie konnten ihre Erbitterung nur unschwer unter¬
drücken, und ein junger Freund Pflegt seinen bescheidnen Beifall alles Ernstes in die Worte
zu kleiden: Nicht unnbel! Ja in Lessings Emilia Galotti (II, 6) ruft Klaudia aus: Gott!
Gott! wenn das dein Vater wüßte! wie wild er schon war, als er nur hörte, daß der Prinz
dich jüngst nicht ohne Mißfallen gesehen! ein Beispiel, über das man hundert Jahre lang
hinweg gelesen hat; F. Polle hat es in seinem lehrreichen Büchlein "Wie denkt das Volk
über die Sprache" S. 15 bemerkt und tihnliche Fälle hinzugefügt.
Wie man sich verspricht

sein —: der breite! Oder: ein Gast ruft dem Kellner: ich bitte um Zündhölzer.
Sofort ruft sein Nachbar dazu: und mir um eine Flasche Wein! Wenn eine
Zeit lang von Patienten die Rede gewesen ist, kann es einem leicht begegnen,
daß man Patienten statt Studenten sagt, wenn von Heilkunde, daß einem
Warenheilkunde entschlüpft statt Warenkunde.

Hier mischt sich altes, das gleichsam noch in einer wirksamen Sphäre
im Gehirn schwebt, mit neuem, das mitten im Bewußtsein steht. Es kann
aber auch vorkommen, daß man zwei neue Wörter, Wendungen, Gedanken
gleichzeitig im Sprachbewußtsein bereit hat und sich nun dadurch verspricht,
daß der eine in den andern hereinspielt. Dann entsteht solcher Unsinn wie:
jemand einen Schreckschuß einjagen, man macht aus dem Verdampfen und dem
Verdunsten des Wassers ein Verdumpfen, man bildet Wörter wie saftlos und
überstaunt. Jemand erzählt: Da brach — sprach er einen Toast, weil in
seinem Sprachbewußtsein „brachte aus" und „sprach" neben einander bereit
lagen, die sich noch dazu teilweise äußerlich fast decken, ein andrer redet von
der Verbetterung der Rassen, weil er ein das Fetterwcrden der Tiere dabei
gedacht hat. Sehr lehrreich ist folgendes Beispiel Meriugers. „Ich frage
einen Bekannten, wie es seinem kranken Pferde gehe. Er antwortet: Ja, das
traut — dauert vielleicht uoch einen Monat. Das »traut« mit seinem r war
mir unverständlich, denn das r von »dauert« konnte unmöglich so gewirkt
haben. Ich machte ihn also aufmerksam, worauf er erklärte, er habe gedacht:
das ist eine traurige Geschichte." Ähnlich ist folgender komische Satz zu
stände gekommen: Als Friedrich Wilhelm IV. zur Negierung kam, setzte er
Arndt wieder auf den Thron. Offenbar hatte der Sprecher für den Nebensatz
im Sprachbewußtsein die Variante: als Friedrich Wilhelm IV. auf den Thron
kam, und diese drängte sich in den Hauptsatz, der ursprünglich heißen sollte:
setzte er Arndt wieder in die vollen Rechte seiner Professur ein, vermöge der
innern und äußern Verwandtschaft der beiden Ausdrücke auf deu Thron setzen
und einsetzen. Aber nicht nur zwei Parallelausdrücke, auch zwei Gegensätze
scheinen im Sprachbewußtem oft sofort neben einander dazuliegen, wenn der
eine von ihnen gebraucht wird. So erklärt es sich wenigstens am besten, daß
Wörter wie gewinnen und verlieren, der vorige und der folgende, östlich und
westlich, Nachkomme und Vorfahr so leicht verwechselt werden. Immerhin
sind das nur vereinzelte Wortpaare.^)



*) Auch die Zusammensetzungen mit un- verführen leicht dazu, das Gegenteil von dem
zu sagen, was man meint. Neulich las ich: sie konnten ihre Erbitterung nur unschwer unter¬
drücken, und ein junger Freund Pflegt seinen bescheidnen Beifall alles Ernstes in die Worte
zu kleiden: Nicht unnbel! Ja in Lessings Emilia Galotti (II, 6) ruft Klaudia aus: Gott!
Gott! wenn das dein Vater wüßte! wie wild er schon war, als er nur hörte, daß der Prinz
dich jüngst nicht ohne Mißfallen gesehen! ein Beispiel, über das man hundert Jahre lang
hinweg gelesen hat; F. Polle hat es in seinem lehrreichen Büchlein „Wie denkt das Volk
über die Sprache" S. 15 bemerkt und tihnliche Fälle hinzugefügt.
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[0484] Wie man sich verspricht sein —: der breite! Oder: ein Gast ruft dem Kellner: ich bitte um Zündhölzer. Sofort ruft sein Nachbar dazu: und mir um eine Flasche Wein! Wenn eine Zeit lang von Patienten die Rede gewesen ist, kann es einem leicht begegnen, daß man Patienten statt Studenten sagt, wenn von Heilkunde, daß einem Warenheilkunde entschlüpft statt Warenkunde. Hier mischt sich altes, das gleichsam noch in einer wirksamen Sphäre im Gehirn schwebt, mit neuem, das mitten im Bewußtsein steht. Es kann aber auch vorkommen, daß man zwei neue Wörter, Wendungen, Gedanken gleichzeitig im Sprachbewußtsein bereit hat und sich nun dadurch verspricht, daß der eine in den andern hereinspielt. Dann entsteht solcher Unsinn wie: jemand einen Schreckschuß einjagen, man macht aus dem Verdampfen und dem Verdunsten des Wassers ein Verdumpfen, man bildet Wörter wie saftlos und überstaunt. Jemand erzählt: Da brach — sprach er einen Toast, weil in seinem Sprachbewußtsein „brachte aus" und „sprach" neben einander bereit lagen, die sich noch dazu teilweise äußerlich fast decken, ein andrer redet von der Verbetterung der Rassen, weil er ein das Fetterwcrden der Tiere dabei gedacht hat. Sehr lehrreich ist folgendes Beispiel Meriugers. „Ich frage einen Bekannten, wie es seinem kranken Pferde gehe. Er antwortet: Ja, das traut — dauert vielleicht uoch einen Monat. Das »traut« mit seinem r war mir unverständlich, denn das r von »dauert« konnte unmöglich so gewirkt haben. Ich machte ihn also aufmerksam, worauf er erklärte, er habe gedacht: das ist eine traurige Geschichte." Ähnlich ist folgender komische Satz zu stände gekommen: Als Friedrich Wilhelm IV. zur Negierung kam, setzte er Arndt wieder auf den Thron. Offenbar hatte der Sprecher für den Nebensatz im Sprachbewußtsein die Variante: als Friedrich Wilhelm IV. auf den Thron kam, und diese drängte sich in den Hauptsatz, der ursprünglich heißen sollte: setzte er Arndt wieder in die vollen Rechte seiner Professur ein, vermöge der innern und äußern Verwandtschaft der beiden Ausdrücke auf deu Thron setzen und einsetzen. Aber nicht nur zwei Parallelausdrücke, auch zwei Gegensätze scheinen im Sprachbewußtem oft sofort neben einander dazuliegen, wenn der eine von ihnen gebraucht wird. So erklärt es sich wenigstens am besten, daß Wörter wie gewinnen und verlieren, der vorige und der folgende, östlich und westlich, Nachkomme und Vorfahr so leicht verwechselt werden. Immerhin sind das nur vereinzelte Wortpaare.^) *) Auch die Zusammensetzungen mit un- verführen leicht dazu, das Gegenteil von dem zu sagen, was man meint. Neulich las ich: sie konnten ihre Erbitterung nur unschwer unter¬ drücken, und ein junger Freund Pflegt seinen bescheidnen Beifall alles Ernstes in die Worte zu kleiden: Nicht unnbel! Ja in Lessings Emilia Galotti (II, 6) ruft Klaudia aus: Gott! Gott! wenn das dein Vater wüßte! wie wild er schon war, als er nur hörte, daß der Prinz dich jüngst nicht ohne Mißfallen gesehen! ein Beispiel, über das man hundert Jahre lang hinweg gelesen hat; F. Polle hat es in seinem lehrreichen Büchlein „Wie denkt das Volk über die Sprache" S. 15 bemerkt und tihnliche Fälle hinzugefügt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/484>, abgerufen am 24.06.2024.