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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Airche und Schule

unbillig ist es jedenfalls, wenn sich die Kirchschullehrer über die niedern
Küsterdienste beschweren und sie abzuschütteln versuchen, aber das Küsterein¬
kommen ganz behalten oder doch nur soviel davon abgeben wollen, daß die
Gemeinden zulegen müssen. Darüber, ob die Kirche Leute finden wird, die
sähig und bereit sind, die Küsterpflichten zu übernehmen, brauchen sich die
Lehrer ebensowenig wie die Vertreter des Staats den Kopf zu zerbrechen,
umsoweniger, als die zum Teil bedeutende Nebeneinnahme, die das freie
Küsteramt bietet, bald viele Handwerker veranlassen wird, sich die Fertigkeit
namentlich im Orgelspiel zu erwerben, um die es sich hauptsächlich handeln
wird; denn alle andern Obliegenheiten kann jeder ohne besondre Vorkenntnisse
übernehmen.

Der dritte und letzte Punkt, in dem sich die Kirche und die Volksschule
noch berühren, ist der Religionsunterricht in der Volksschule. Der Staat
schreibt -- ohne unmittelbare amtliche Mitwirkung der Kirche, etwa der Landes¬
synode -- den Inhalt und Umfang des Religionsunterrichts vor und über¬
läßt der Kirche nur die Beaufsichtigung. Der Staat wird sehr bald aus
seinem eignen Wesen die Folgerung ziehen müssen, daß er, für den die Re¬
ligion sonst schon längst eine Privatangelegenheit ist, sie nicht in seinen Schulen
als Staatsangelegenheit behandeln darf. Viele, gerade die tüchtigsten Volks¬
schullehrer werden es als einen großen Verlust empfinden, wenn ihnen der
Religionsunterricht genommen wird. Die Kirche aber wird es nur froh be¬
grüßen können, wenn ihr endlich auch der Religionsunterricht wieder ganz zu¬
fällt. Denn es ist ein Unding, daß die Kirche einen wichtigen Teil ihres
Arbeitsfeldes an Männer abtritt, auf deren Ausbildung und Amtsführung sie
nur durch des Staates Gnade unmittelbaren Einfluß hat. Es ist ein Unding,
daß die Kirche die religiöse Erziehung Männern überläßt, die im ganzen übrigen
Unterricht die Mitteilung von Kenntnissen als Hauptziel vor Augen haben und
nicht die Erziehung, und dies natürlich auch auf den Religionsunterricht über¬
tragen. Es ist ein Unding, daß der Religionsunterricht von Männern erteilt
wird, die zum Teil nicht nur den Lehren, dem Bekenntnis der Kirche ab¬
lehnend, ja feindlich gegenüberstehen, die nicht nur gerade die bekenntnismäßige
Unterweisung in der christlichen Religion verwerfen und besser als die Theo¬
logen, als Diener der Kirche zu wissen vorgeben, was eigentlich Christentum
sei, sondern die zum Teil das Christentum selbst verwerfen.") Daraus, daß
die Volksschule als Einrichtung des verweltlichten Staats kein Interesse mehr



So hat kürzlich ein junger Lehrer namens Adam in Se. Peter bei Würzburg aus
einer Lehrerkonferenz gesagt, die Moral Jesu sei heute nicht mehr das Ideal der Erziehung,
sie sei die reinste Lazzaronimoral. Mit der Lehre Jesu: Sorget nicht sür morgen u. s. w.
erziehe man Faulenzer und Taugenichtse, und wenn Jesus sagt: Schlägt dich dein Feind auf
die Wange u. s. w., so sei das einfach lächerlich, heutzutage koste die Ohrfeige fünf Mark.
Dieser junge Mann hat nur ausgesprochen, was viele seiner Kollegen denken.
Airche und Schule

unbillig ist es jedenfalls, wenn sich die Kirchschullehrer über die niedern
Küsterdienste beschweren und sie abzuschütteln versuchen, aber das Küsterein¬
kommen ganz behalten oder doch nur soviel davon abgeben wollen, daß die
Gemeinden zulegen müssen. Darüber, ob die Kirche Leute finden wird, die
sähig und bereit sind, die Küsterpflichten zu übernehmen, brauchen sich die
Lehrer ebensowenig wie die Vertreter des Staats den Kopf zu zerbrechen,
umsoweniger, als die zum Teil bedeutende Nebeneinnahme, die das freie
Küsteramt bietet, bald viele Handwerker veranlassen wird, sich die Fertigkeit
namentlich im Orgelspiel zu erwerben, um die es sich hauptsächlich handeln
wird; denn alle andern Obliegenheiten kann jeder ohne besondre Vorkenntnisse
übernehmen.

Der dritte und letzte Punkt, in dem sich die Kirche und die Volksschule
noch berühren, ist der Religionsunterricht in der Volksschule. Der Staat
schreibt — ohne unmittelbare amtliche Mitwirkung der Kirche, etwa der Landes¬
synode — den Inhalt und Umfang des Religionsunterrichts vor und über¬
läßt der Kirche nur die Beaufsichtigung. Der Staat wird sehr bald aus
seinem eignen Wesen die Folgerung ziehen müssen, daß er, für den die Re¬
ligion sonst schon längst eine Privatangelegenheit ist, sie nicht in seinen Schulen
als Staatsangelegenheit behandeln darf. Viele, gerade die tüchtigsten Volks¬
schullehrer werden es als einen großen Verlust empfinden, wenn ihnen der
Religionsunterricht genommen wird. Die Kirche aber wird es nur froh be¬
grüßen können, wenn ihr endlich auch der Religionsunterricht wieder ganz zu¬
fällt. Denn es ist ein Unding, daß die Kirche einen wichtigen Teil ihres
Arbeitsfeldes an Männer abtritt, auf deren Ausbildung und Amtsführung sie
nur durch des Staates Gnade unmittelbaren Einfluß hat. Es ist ein Unding,
daß die Kirche die religiöse Erziehung Männern überläßt, die im ganzen übrigen
Unterricht die Mitteilung von Kenntnissen als Hauptziel vor Augen haben und
nicht die Erziehung, und dies natürlich auch auf den Religionsunterricht über¬
tragen. Es ist ein Unding, daß der Religionsunterricht von Männern erteilt
wird, die zum Teil nicht nur den Lehren, dem Bekenntnis der Kirche ab¬
lehnend, ja feindlich gegenüberstehen, die nicht nur gerade die bekenntnismäßige
Unterweisung in der christlichen Religion verwerfen und besser als die Theo¬
logen, als Diener der Kirche zu wissen vorgeben, was eigentlich Christentum
sei, sondern die zum Teil das Christentum selbst verwerfen.") Daraus, daß
die Volksschule als Einrichtung des verweltlichten Staats kein Interesse mehr



So hat kürzlich ein junger Lehrer namens Adam in Se. Peter bei Würzburg aus
einer Lehrerkonferenz gesagt, die Moral Jesu sei heute nicht mehr das Ideal der Erziehung,
sie sei die reinste Lazzaronimoral. Mit der Lehre Jesu: Sorget nicht sür morgen u. s. w.
erziehe man Faulenzer und Taugenichtse, und wenn Jesus sagt: Schlägt dich dein Feind auf
die Wange u. s. w., so sei das einfach lächerlich, heutzutage koste die Ohrfeige fünf Mark.
Dieser junge Mann hat nur ausgesprochen, was viele seiner Kollegen denken.
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[0470] Airche und Schule unbillig ist es jedenfalls, wenn sich die Kirchschullehrer über die niedern Küsterdienste beschweren und sie abzuschütteln versuchen, aber das Küsterein¬ kommen ganz behalten oder doch nur soviel davon abgeben wollen, daß die Gemeinden zulegen müssen. Darüber, ob die Kirche Leute finden wird, die sähig und bereit sind, die Küsterpflichten zu übernehmen, brauchen sich die Lehrer ebensowenig wie die Vertreter des Staats den Kopf zu zerbrechen, umsoweniger, als die zum Teil bedeutende Nebeneinnahme, die das freie Küsteramt bietet, bald viele Handwerker veranlassen wird, sich die Fertigkeit namentlich im Orgelspiel zu erwerben, um die es sich hauptsächlich handeln wird; denn alle andern Obliegenheiten kann jeder ohne besondre Vorkenntnisse übernehmen. Der dritte und letzte Punkt, in dem sich die Kirche und die Volksschule noch berühren, ist der Religionsunterricht in der Volksschule. Der Staat schreibt — ohne unmittelbare amtliche Mitwirkung der Kirche, etwa der Landes¬ synode — den Inhalt und Umfang des Religionsunterrichts vor und über¬ läßt der Kirche nur die Beaufsichtigung. Der Staat wird sehr bald aus seinem eignen Wesen die Folgerung ziehen müssen, daß er, für den die Re¬ ligion sonst schon längst eine Privatangelegenheit ist, sie nicht in seinen Schulen als Staatsangelegenheit behandeln darf. Viele, gerade die tüchtigsten Volks¬ schullehrer werden es als einen großen Verlust empfinden, wenn ihnen der Religionsunterricht genommen wird. Die Kirche aber wird es nur froh be¬ grüßen können, wenn ihr endlich auch der Religionsunterricht wieder ganz zu¬ fällt. Denn es ist ein Unding, daß die Kirche einen wichtigen Teil ihres Arbeitsfeldes an Männer abtritt, auf deren Ausbildung und Amtsführung sie nur durch des Staates Gnade unmittelbaren Einfluß hat. Es ist ein Unding, daß die Kirche die religiöse Erziehung Männern überläßt, die im ganzen übrigen Unterricht die Mitteilung von Kenntnissen als Hauptziel vor Augen haben und nicht die Erziehung, und dies natürlich auch auf den Religionsunterricht über¬ tragen. Es ist ein Unding, daß der Religionsunterricht von Männern erteilt wird, die zum Teil nicht nur den Lehren, dem Bekenntnis der Kirche ab¬ lehnend, ja feindlich gegenüberstehen, die nicht nur gerade die bekenntnismäßige Unterweisung in der christlichen Religion verwerfen und besser als die Theo¬ logen, als Diener der Kirche zu wissen vorgeben, was eigentlich Christentum sei, sondern die zum Teil das Christentum selbst verwerfen.") Daraus, daß die Volksschule als Einrichtung des verweltlichten Staats kein Interesse mehr So hat kürzlich ein junger Lehrer namens Adam in Se. Peter bei Würzburg aus einer Lehrerkonferenz gesagt, die Moral Jesu sei heute nicht mehr das Ideal der Erziehung, sie sei die reinste Lazzaronimoral. Mit der Lehre Jesu: Sorget nicht sür morgen u. s. w. erziehe man Faulenzer und Taugenichtse, und wenn Jesus sagt: Schlägt dich dein Feind auf die Wange u. s. w., so sei das einfach lächerlich, heutzutage koste die Ohrfeige fünf Mark. Dieser junge Mann hat nur ausgesprochen, was viele seiner Kollegen denken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/470>, abgerufen am 24.06.2024.