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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Die Genossenschaft Pan und die allermodernste Kunst

Wunderung solcher Dinge ist bezeichnend für ein Publikum, das ein Buch wie
"Rembrandt als Erzieher" für bare Münze genommen hat.

Ehe wir uns zu den einzelnen künstlerischen Beiträgen dieser Hefte wenden,
sei ein Wort über den internationalen Charakter der Zeitschrift gestattet. Die
Genossenschaft Pari ist im wesentlichen eine deutsche. Unter ihren etwa drei¬
hundert Mitgliedern befinden sich, soweit ich nachkommen kann, nur etwa
zwanzig Ausländer. Ob es angesichts dieses Verhältnisses notwendig war,
unter achtunddreißig Mitgliedern des Anfsichtsrats fünf Ausländer, nämlich
Burne-Jones, Holger Drachmann, Arne Garborg, Fernand Khnopff, Fetialen
Rops, zu wählen, will ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls ist es ein an¬
erkennenswertes Zeichen nationaler Selbstverleugnung, daß unter den ersten
hundertfünfunddreißig künstlerischen Beiträgen (alle einzelnen Vignetten mitge¬
rechnet) nicht weniger als sechzig ausländische (!) sind. Wenn man damit sym¬
bolisch die verhältnismüßige Überlegenheit der ausländischen Kunst über die
deutsche zeigen wollte, so ist das allerdings nicht gelungen. Denn die fremden
Beiträge sind mit wenigen Ausnahmen nicht geeignet, der ausländischen Kunst
zum Ruhme zu gereichen. Ich bin durchaus damit einverstanden, daß unsre
deutschen Künstler von der Kunst andrer Völker lernen, daß auch in dieser
Zeitschrift Meisterwerke ausländischer Künstler -- wie zum Beispiel die fran¬
zösischen Medaillen -- publizirt werden. Aber das, was uns hier von Fremden
geboten wird, ist zum größten Teil nur geeignet, unsern deutschen Künstlern
zu zeigen, wie sie es nicht machen sollen.

Gleich beim Aufschlagen des ersten Heftes füllt der Blick auf ein scheu߬
liches Bild, eine Illustration des Finnlünders Axel Gallon zu Paul Scheer-
barts Köuigslied. Will sich die Redaktion etwa einen schlechten Witz mit
uns erlauben? Ein paar dürre, roh gezeichnete Gestalten mit klotzigen, lieb¬
losen Umrissen, ein stangenartig leblos in die Luft gestreckter Arm, Bäume,
die wie Maiskolben, Wolken, die wie Kuchenteig, Sterne, die wie Weihnachts-
gebäck aussehen, das ganze theatermüßig von unten beleuchtet, dazu eine lyrische
Prosa, in der unter andern die Worte vorkommen: "Ich bin so selig, daß nie¬
mand seliger sein kann. Und wer etwas selig anschaut, der besitzt das, was
er anschaut. Siehst du, jetzt weißt du, was Eigentum ist," und am Schluß
eine rohe und ganz dekorative Vignette von demselben Gallon!

Ich habe mit Leuten, die das Französische vollkommen beherrschen, über
das noch dazu im Faksimilie der Handschrift wiedcrgegebne Sonett des be¬
rüchtigten Symbolisten Stephane Mallarmo gesprochen, und sie haben mir
versichert, was ich freilich schon vorher wußte, daß es von A bis Z Unsinn
sei. Vielleicht würde man es verstehen, wenn man I. Plowerts ?oeil ^lossairo
xour hin'vir ü, l'intölli^suos av8 auwurs ave-ulönts "zö s/mdolistss (Paris, 1887)
zu Rate zöge, allein dazu habe ich keine Zeit. Ich sehe auch durchaus nicht
ein, warum man Gedichte in einer Sprache der vierten Dimension, für die


Die Genossenschaft Pan und die allermodernste Kunst

Wunderung solcher Dinge ist bezeichnend für ein Publikum, das ein Buch wie
„Rembrandt als Erzieher" für bare Münze genommen hat.

Ehe wir uns zu den einzelnen künstlerischen Beiträgen dieser Hefte wenden,
sei ein Wort über den internationalen Charakter der Zeitschrift gestattet. Die
Genossenschaft Pari ist im wesentlichen eine deutsche. Unter ihren etwa drei¬
hundert Mitgliedern befinden sich, soweit ich nachkommen kann, nur etwa
zwanzig Ausländer. Ob es angesichts dieses Verhältnisses notwendig war,
unter achtunddreißig Mitgliedern des Anfsichtsrats fünf Ausländer, nämlich
Burne-Jones, Holger Drachmann, Arne Garborg, Fernand Khnopff, Fetialen
Rops, zu wählen, will ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls ist es ein an¬
erkennenswertes Zeichen nationaler Selbstverleugnung, daß unter den ersten
hundertfünfunddreißig künstlerischen Beiträgen (alle einzelnen Vignetten mitge¬
rechnet) nicht weniger als sechzig ausländische (!) sind. Wenn man damit sym¬
bolisch die verhältnismüßige Überlegenheit der ausländischen Kunst über die
deutsche zeigen wollte, so ist das allerdings nicht gelungen. Denn die fremden
Beiträge sind mit wenigen Ausnahmen nicht geeignet, der ausländischen Kunst
zum Ruhme zu gereichen. Ich bin durchaus damit einverstanden, daß unsre
deutschen Künstler von der Kunst andrer Völker lernen, daß auch in dieser
Zeitschrift Meisterwerke ausländischer Künstler — wie zum Beispiel die fran¬
zösischen Medaillen — publizirt werden. Aber das, was uns hier von Fremden
geboten wird, ist zum größten Teil nur geeignet, unsern deutschen Künstlern
zu zeigen, wie sie es nicht machen sollen.

Gleich beim Aufschlagen des ersten Heftes füllt der Blick auf ein scheu߬
liches Bild, eine Illustration des Finnlünders Axel Gallon zu Paul Scheer-
barts Köuigslied. Will sich die Redaktion etwa einen schlechten Witz mit
uns erlauben? Ein paar dürre, roh gezeichnete Gestalten mit klotzigen, lieb¬
losen Umrissen, ein stangenartig leblos in die Luft gestreckter Arm, Bäume,
die wie Maiskolben, Wolken, die wie Kuchenteig, Sterne, die wie Weihnachts-
gebäck aussehen, das ganze theatermüßig von unten beleuchtet, dazu eine lyrische
Prosa, in der unter andern die Worte vorkommen: „Ich bin so selig, daß nie¬
mand seliger sein kann. Und wer etwas selig anschaut, der besitzt das, was
er anschaut. Siehst du, jetzt weißt du, was Eigentum ist," und am Schluß
eine rohe und ganz dekorative Vignette von demselben Gallon!

Ich habe mit Leuten, die das Französische vollkommen beherrschen, über
das noch dazu im Faksimilie der Handschrift wiedcrgegebne Sonett des be¬
rüchtigten Symbolisten Stephane Mallarmo gesprochen, und sie haben mir
versichert, was ich freilich schon vorher wußte, daß es von A bis Z Unsinn
sei. Vielleicht würde man es verstehen, wenn man I. Plowerts ?oeil ^lossairo
xour hin'vir ü, l'intölli^suos av8 auwurs ave-ulönts «zö s/mdolistss (Paris, 1887)
zu Rate zöge, allein dazu habe ich keine Zeit. Ich sehe auch durchaus nicht
ein, warum man Gedichte in einer Sprache der vierten Dimension, für die


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[0191] Die Genossenschaft Pan und die allermodernste Kunst Wunderung solcher Dinge ist bezeichnend für ein Publikum, das ein Buch wie „Rembrandt als Erzieher" für bare Münze genommen hat. Ehe wir uns zu den einzelnen künstlerischen Beiträgen dieser Hefte wenden, sei ein Wort über den internationalen Charakter der Zeitschrift gestattet. Die Genossenschaft Pari ist im wesentlichen eine deutsche. Unter ihren etwa drei¬ hundert Mitgliedern befinden sich, soweit ich nachkommen kann, nur etwa zwanzig Ausländer. Ob es angesichts dieses Verhältnisses notwendig war, unter achtunddreißig Mitgliedern des Anfsichtsrats fünf Ausländer, nämlich Burne-Jones, Holger Drachmann, Arne Garborg, Fernand Khnopff, Fetialen Rops, zu wählen, will ich dahingestellt sein lassen. Jedenfalls ist es ein an¬ erkennenswertes Zeichen nationaler Selbstverleugnung, daß unter den ersten hundertfünfunddreißig künstlerischen Beiträgen (alle einzelnen Vignetten mitge¬ rechnet) nicht weniger als sechzig ausländische (!) sind. Wenn man damit sym¬ bolisch die verhältnismüßige Überlegenheit der ausländischen Kunst über die deutsche zeigen wollte, so ist das allerdings nicht gelungen. Denn die fremden Beiträge sind mit wenigen Ausnahmen nicht geeignet, der ausländischen Kunst zum Ruhme zu gereichen. Ich bin durchaus damit einverstanden, daß unsre deutschen Künstler von der Kunst andrer Völker lernen, daß auch in dieser Zeitschrift Meisterwerke ausländischer Künstler — wie zum Beispiel die fran¬ zösischen Medaillen — publizirt werden. Aber das, was uns hier von Fremden geboten wird, ist zum größten Teil nur geeignet, unsern deutschen Künstlern zu zeigen, wie sie es nicht machen sollen. Gleich beim Aufschlagen des ersten Heftes füllt der Blick auf ein scheu߬ liches Bild, eine Illustration des Finnlünders Axel Gallon zu Paul Scheer- barts Köuigslied. Will sich die Redaktion etwa einen schlechten Witz mit uns erlauben? Ein paar dürre, roh gezeichnete Gestalten mit klotzigen, lieb¬ losen Umrissen, ein stangenartig leblos in die Luft gestreckter Arm, Bäume, die wie Maiskolben, Wolken, die wie Kuchenteig, Sterne, die wie Weihnachts- gebäck aussehen, das ganze theatermüßig von unten beleuchtet, dazu eine lyrische Prosa, in der unter andern die Worte vorkommen: „Ich bin so selig, daß nie¬ mand seliger sein kann. Und wer etwas selig anschaut, der besitzt das, was er anschaut. Siehst du, jetzt weißt du, was Eigentum ist," und am Schluß eine rohe und ganz dekorative Vignette von demselben Gallon! Ich habe mit Leuten, die das Französische vollkommen beherrschen, über das noch dazu im Faksimilie der Handschrift wiedcrgegebne Sonett des be¬ rüchtigten Symbolisten Stephane Mallarmo gesprochen, und sie haben mir versichert, was ich freilich schon vorher wußte, daß es von A bis Z Unsinn sei. Vielleicht würde man es verstehen, wenn man I. Plowerts ?oeil ^lossairo xour hin'vir ü, l'intölli^suos av8 auwurs ave-ulönts «zö s/mdolistss (Paris, 1887) zu Rate zöge, allein dazu habe ich keine Zeit. Ich sehe auch durchaus nicht ein, warum man Gedichte in einer Sprache der vierten Dimension, für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/191>, abgerufen am 24.06.2024.