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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Namen Längs Reck, Jngogo und Majuba Hill sind nie vergessen worden.
Wenn man sie anch Hütte vergessen wollen, wie war es möglich, da die vorher
so zurückhaltender, fast scheuen Buren plötzlich den Kopf höher zu tragen an¬
fingen? Die Engländer erklären die Hinnahme der drei Niederlagen ohne Versuch,
die Scharte auszuwetzen, mit dein Telegramm, das Gladstone gleich nach dem
Gefecht auf dem Majuba Hill an den Gouverneur des Kaps sandte: "Wir
haben den Buren Unrecht gethan. Machen Sie Frieden." Damit enthüllen
sie unwillkürlich die Hauptursache ihrer eignen Unzufriedenheit mit den Dingen
in Südafrika: sie wissen, daß das Unrecht gegen die Buren nicht bloß in
Transvaal begangen wurde, sondern es hat sich von der ersten Annexion an
vergrößert und wird fortdauernd Unfrieden gebären. Die Buren sind, bis im
Jahre 1852 im Sand River-Vertrag die Unabhängigkeit der über den Orauje-
fluß hinausgewauderten anerkannt wurde, schlechter als die Kaffern behandelt
worden. Wie ihnen Raten und später noch das Diamantengcbiet abgenommen
wurden, ist empörend zu lesen. Heute wagt kein Engländer die Schlechtigkeiten
zu verteidigen, die an ihnen begangen wurden. Man lese ihre Darstellung in
dem südafrikanischen Kapitel von Anthony Froudcs Oevang. (1886), das dem
eignen Volke ein förmliches Sündenregister aufrollt.

In der nichtenglischen germanischen Welt sind diese holländisch-englischen
Mißverständnisse immer mit tiefer Teilnahme verfolgt worden. Man ahnte
etwas bedeutenderes in den Zusammenstößen der Niederdeutschen mit den Kelto-
Angelsachen. In der Zahl von höchstens 200000 Buren, die man zwischen
dem Kap und dem Limpopo zählt, konnte kein Grund liegen, auch selbst dem
Verlauf der Kampfe an der Trnnsvaalgreuze 1881 soviel Beachtung zu schenken.
Aber hier messen die Vertreter der zwei größten germanischen Familien ihre
Kräfte auf kolonisatorischem Gebiet. Wer möchte es für unmöglich erklären,
daß sich diese Wettkämpfe in größerm Raume wiederholten? Es ist nicht bloß
interessant, es ist nützlich, zu sehen, wie sich der einzige deutsche Stamm be¬
währt hat, der berufen wurde, an der großen Arbeit der Gewinnung der außer¬
europäischen Erdteile für die Kultur selbständig teilzunehmen. Er hat that¬
sächlich eine gesündere Politik und Wirtschaft in Südafrika gemacht als die
Engländer, und nur eins, aber etwas Großes hat ihm gefehlt: der Anschluß
an eine große Macht, der den Blick für die großen Aussichten und Gefahren
der südafrikanischen Entfaltung geöffnet und die Einseitigkeit und den trägen
Gang einer biunenläudisch-baucruhaftcn Entwicklung nicht zugelassen hätte.
Ohne Deutschlands Verfall, dessen tiefster Punkt unglücklicherweise mit dem
Beginn der holländischen Kolonisation in Südafrika um die Mitte des sieb¬
zehnten Jahrhunderts zusammentrifft, wäre dieser Anschluß von selbst gekom¬
men. Haben doch zahlreiche einzelne deutsche Auswanderer, Missionare, Sol¬
daten, Gelehrte, dieses holländische Afrika ausbauen helfen. Es will uns
auch heute nicht in den Sinn, die Notwendigkeit des Cecil Rhodesschen Grund-


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Namen Längs Reck, Jngogo und Majuba Hill sind nie vergessen worden.
Wenn man sie anch Hütte vergessen wollen, wie war es möglich, da die vorher
so zurückhaltender, fast scheuen Buren plötzlich den Kopf höher zu tragen an¬
fingen? Die Engländer erklären die Hinnahme der drei Niederlagen ohne Versuch,
die Scharte auszuwetzen, mit dein Telegramm, das Gladstone gleich nach dem
Gefecht auf dem Majuba Hill an den Gouverneur des Kaps sandte: „Wir
haben den Buren Unrecht gethan. Machen Sie Frieden." Damit enthüllen
sie unwillkürlich die Hauptursache ihrer eignen Unzufriedenheit mit den Dingen
in Südafrika: sie wissen, daß das Unrecht gegen die Buren nicht bloß in
Transvaal begangen wurde, sondern es hat sich von der ersten Annexion an
vergrößert und wird fortdauernd Unfrieden gebären. Die Buren sind, bis im
Jahre 1852 im Sand River-Vertrag die Unabhängigkeit der über den Orauje-
fluß hinausgewauderten anerkannt wurde, schlechter als die Kaffern behandelt
worden. Wie ihnen Raten und später noch das Diamantengcbiet abgenommen
wurden, ist empörend zu lesen. Heute wagt kein Engländer die Schlechtigkeiten
zu verteidigen, die an ihnen begangen wurden. Man lese ihre Darstellung in
dem südafrikanischen Kapitel von Anthony Froudcs Oevang. (1886), das dem
eignen Volke ein förmliches Sündenregister aufrollt.

In der nichtenglischen germanischen Welt sind diese holländisch-englischen
Mißverständnisse immer mit tiefer Teilnahme verfolgt worden. Man ahnte
etwas bedeutenderes in den Zusammenstößen der Niederdeutschen mit den Kelto-
Angelsachen. In der Zahl von höchstens 200000 Buren, die man zwischen
dem Kap und dem Limpopo zählt, konnte kein Grund liegen, auch selbst dem
Verlauf der Kampfe an der Trnnsvaalgreuze 1881 soviel Beachtung zu schenken.
Aber hier messen die Vertreter der zwei größten germanischen Familien ihre
Kräfte auf kolonisatorischem Gebiet. Wer möchte es für unmöglich erklären,
daß sich diese Wettkämpfe in größerm Raume wiederholten? Es ist nicht bloß
interessant, es ist nützlich, zu sehen, wie sich der einzige deutsche Stamm be¬
währt hat, der berufen wurde, an der großen Arbeit der Gewinnung der außer¬
europäischen Erdteile für die Kultur selbständig teilzunehmen. Er hat that¬
sächlich eine gesündere Politik und Wirtschaft in Südafrika gemacht als die
Engländer, und nur eins, aber etwas Großes hat ihm gefehlt: der Anschluß
an eine große Macht, der den Blick für die großen Aussichten und Gefahren
der südafrikanischen Entfaltung geöffnet und die Einseitigkeit und den trägen
Gang einer biunenläudisch-baucruhaftcn Entwicklung nicht zugelassen hätte.
Ohne Deutschlands Verfall, dessen tiefster Punkt unglücklicherweise mit dem
Beginn der holländischen Kolonisation in Südafrika um die Mitte des sieb¬
zehnten Jahrhunderts zusammentrifft, wäre dieser Anschluß von selbst gekom¬
men. Haben doch zahlreiche einzelne deutsche Auswanderer, Missionare, Sol¬
daten, Gelehrte, dieses holländische Afrika ausbauen helfen. Es will uns
auch heute nicht in den Sinn, die Notwendigkeit des Cecil Rhodesschen Grund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/19>, abgerufen am 28.06.2024.