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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Das Kapital von Karl Marx

Verteilung für den Beschauer in eine Zusammensetzung verkehrt, beruht ein
zweiter Irrtum Proudhons, der bei den heutigen Plänen Flürscheims und
seiner Gesinnungsgenossen wiederkehrt. Diese Leute wollen dem produktiven
Arbeiter dadurch zu seinem gerechten Anteil und zugleich den Konsumenten zu
billigen Waren verhelfen, daß sie durch Warenbanken den "Aufschlag" besei¬
tigen, um den der Kaufmann vermeintlich den Preis erhöht. Nun leugnet
Marx selbst nicht, daß in einzelnen Fällen ein solcher Aufschlag wirklich er¬
folgt. So z. B. (wir entnehmen nicht ihm diese Beispiele) wenn ein Händler
den zum Wochenmarkt einer kleinen Stadt ziehenden Gemüsebauern ihre Waren
vor dem Thore abnimmt, worauf er dann einen willkürlich hohen Preis machen
kann. Auch bei Modeartikeln, z. B. Damenhüten und Herrenschlipsen, die nicht
Masfenwarcn sind, und für die sich schon deswegen kein Marktpreis bilden
kann, weil jedes einzelne Stück vom Käufer nach seinem Geschmack gewählt
wird, den Kostenpreis aber nur der Sachverständige zu schätzen vermag, auch
bei solchen Artikeln ist ein willkürlicher Preiszuschlag um so möglicher, je ent¬
fernter der Laden von den großen Mittelpunkten des Verkehrs liegt, wo die
größere Erfahrung der Kunden und die stärkere Konkurrenz auch für solche
Sachen einigermaßen einen Marktpreis herstellen. Ob aber auch bei Massen¬
waren wie Getreide und Leinwand, für die ein offenkundiger Marktpreis be¬
steht, der Händler einen willkürlichen Zuschlag zu machen imstande sei (die
Entschädigung für Transport, Lagerung, Verkauf u. f. w. gehört zu den not¬
wendigen Kosten, die auch keine Warenbank sparen kann), diese Frage soll eben
jetzt bei uns praktisch entschieden werden. Und zwar wird die Entscheidung
von zwei Seiten herbeizuführen gesucht. Einerseits sollen die unnützen Ver¬
mittler beseitigt werden (wirklich unnütze Vermittler müssen allerdings den
Preis erhöhen, wenn sie nicht zu Grunde gehen wollen), andrerseits soll der
Getreidepreis künstlich erhöht werden. Die Agrarier wollen nicht mit dem
Anteile zufrieden sein, der ihnen bei der Teilung des Marktpreises zufällt,
sondern wollen den Preis "komponiren" oder "konstituiren," indem sie den
Produktionskosten ihre Grundrente zurechnen und die Käufer zwingen, den so
herausgerechneten Preis zu bezahlen. Daß auch dieses eine Zeit lang und bis
zu einem gewissen Grade möglich sei, haben die Zölle, die Ausfuhrprämien,
bei andern, in nicht so ungeheuern Massen vorhandnen Waren die Ringe und
Monopole bewiesen. Ob es aber auf die Dauer möglich sein und dadurch
die Marxische Preistheorie wird widerlegt werden könne", bleibt einstweilen
abzuwarten.

Das zweite, was wir hervorheben wollen, ist die Lösung des Wider¬
spruchs zwischen Marxens Werttheorie und der schon von Malthus erkannten
Thatsache, daß gleiche Kapitale durchschnittlich gleiche Gewinne abwerfen. Um
diesen Widerspruch zu verstehe", muß man die Terminologie kennen. Die
Nationalökonomen teilen das Kapital in fixes und zirkulirendes ein, können


Grenzboten III 1895 17
Das Kapital von Karl Marx

Verteilung für den Beschauer in eine Zusammensetzung verkehrt, beruht ein
zweiter Irrtum Proudhons, der bei den heutigen Plänen Flürscheims und
seiner Gesinnungsgenossen wiederkehrt. Diese Leute wollen dem produktiven
Arbeiter dadurch zu seinem gerechten Anteil und zugleich den Konsumenten zu
billigen Waren verhelfen, daß sie durch Warenbanken den „Aufschlag" besei¬
tigen, um den der Kaufmann vermeintlich den Preis erhöht. Nun leugnet
Marx selbst nicht, daß in einzelnen Fällen ein solcher Aufschlag wirklich er¬
folgt. So z. B. (wir entnehmen nicht ihm diese Beispiele) wenn ein Händler
den zum Wochenmarkt einer kleinen Stadt ziehenden Gemüsebauern ihre Waren
vor dem Thore abnimmt, worauf er dann einen willkürlich hohen Preis machen
kann. Auch bei Modeartikeln, z. B. Damenhüten und Herrenschlipsen, die nicht
Masfenwarcn sind, und für die sich schon deswegen kein Marktpreis bilden
kann, weil jedes einzelne Stück vom Käufer nach seinem Geschmack gewählt
wird, den Kostenpreis aber nur der Sachverständige zu schätzen vermag, auch
bei solchen Artikeln ist ein willkürlicher Preiszuschlag um so möglicher, je ent¬
fernter der Laden von den großen Mittelpunkten des Verkehrs liegt, wo die
größere Erfahrung der Kunden und die stärkere Konkurrenz auch für solche
Sachen einigermaßen einen Marktpreis herstellen. Ob aber auch bei Massen¬
waren wie Getreide und Leinwand, für die ein offenkundiger Marktpreis be¬
steht, der Händler einen willkürlichen Zuschlag zu machen imstande sei (die
Entschädigung für Transport, Lagerung, Verkauf u. f. w. gehört zu den not¬
wendigen Kosten, die auch keine Warenbank sparen kann), diese Frage soll eben
jetzt bei uns praktisch entschieden werden. Und zwar wird die Entscheidung
von zwei Seiten herbeizuführen gesucht. Einerseits sollen die unnützen Ver¬
mittler beseitigt werden (wirklich unnütze Vermittler müssen allerdings den
Preis erhöhen, wenn sie nicht zu Grunde gehen wollen), andrerseits soll der
Getreidepreis künstlich erhöht werden. Die Agrarier wollen nicht mit dem
Anteile zufrieden sein, der ihnen bei der Teilung des Marktpreises zufällt,
sondern wollen den Preis „komponiren" oder „konstituiren," indem sie den
Produktionskosten ihre Grundrente zurechnen und die Käufer zwingen, den so
herausgerechneten Preis zu bezahlen. Daß auch dieses eine Zeit lang und bis
zu einem gewissen Grade möglich sei, haben die Zölle, die Ausfuhrprämien,
bei andern, in nicht so ungeheuern Massen vorhandnen Waren die Ringe und
Monopole bewiesen. Ob es aber auf die Dauer möglich sein und dadurch
die Marxische Preistheorie wird widerlegt werden könne», bleibt einstweilen
abzuwarten.

Das zweite, was wir hervorheben wollen, ist die Lösung des Wider¬
spruchs zwischen Marxens Werttheorie und der schon von Malthus erkannten
Thatsache, daß gleiche Kapitale durchschnittlich gleiche Gewinne abwerfen. Um
diesen Widerspruch zu verstehe», muß man die Terminologie kennen. Die
Nationalökonomen teilen das Kapital in fixes und zirkulirendes ein, können


Grenzboten III 1895 17
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[0137] Das Kapital von Karl Marx Verteilung für den Beschauer in eine Zusammensetzung verkehrt, beruht ein zweiter Irrtum Proudhons, der bei den heutigen Plänen Flürscheims und seiner Gesinnungsgenossen wiederkehrt. Diese Leute wollen dem produktiven Arbeiter dadurch zu seinem gerechten Anteil und zugleich den Konsumenten zu billigen Waren verhelfen, daß sie durch Warenbanken den „Aufschlag" besei¬ tigen, um den der Kaufmann vermeintlich den Preis erhöht. Nun leugnet Marx selbst nicht, daß in einzelnen Fällen ein solcher Aufschlag wirklich er¬ folgt. So z. B. (wir entnehmen nicht ihm diese Beispiele) wenn ein Händler den zum Wochenmarkt einer kleinen Stadt ziehenden Gemüsebauern ihre Waren vor dem Thore abnimmt, worauf er dann einen willkürlich hohen Preis machen kann. Auch bei Modeartikeln, z. B. Damenhüten und Herrenschlipsen, die nicht Masfenwarcn sind, und für die sich schon deswegen kein Marktpreis bilden kann, weil jedes einzelne Stück vom Käufer nach seinem Geschmack gewählt wird, den Kostenpreis aber nur der Sachverständige zu schätzen vermag, auch bei solchen Artikeln ist ein willkürlicher Preiszuschlag um so möglicher, je ent¬ fernter der Laden von den großen Mittelpunkten des Verkehrs liegt, wo die größere Erfahrung der Kunden und die stärkere Konkurrenz auch für solche Sachen einigermaßen einen Marktpreis herstellen. Ob aber auch bei Massen¬ waren wie Getreide und Leinwand, für die ein offenkundiger Marktpreis be¬ steht, der Händler einen willkürlichen Zuschlag zu machen imstande sei (die Entschädigung für Transport, Lagerung, Verkauf u. f. w. gehört zu den not¬ wendigen Kosten, die auch keine Warenbank sparen kann), diese Frage soll eben jetzt bei uns praktisch entschieden werden. Und zwar wird die Entscheidung von zwei Seiten herbeizuführen gesucht. Einerseits sollen die unnützen Ver¬ mittler beseitigt werden (wirklich unnütze Vermittler müssen allerdings den Preis erhöhen, wenn sie nicht zu Grunde gehen wollen), andrerseits soll der Getreidepreis künstlich erhöht werden. Die Agrarier wollen nicht mit dem Anteile zufrieden sein, der ihnen bei der Teilung des Marktpreises zufällt, sondern wollen den Preis „komponiren" oder „konstituiren," indem sie den Produktionskosten ihre Grundrente zurechnen und die Käufer zwingen, den so herausgerechneten Preis zu bezahlen. Daß auch dieses eine Zeit lang und bis zu einem gewissen Grade möglich sei, haben die Zölle, die Ausfuhrprämien, bei andern, in nicht so ungeheuern Massen vorhandnen Waren die Ringe und Monopole bewiesen. Ob es aber auf die Dauer möglich sein und dadurch die Marxische Preistheorie wird widerlegt werden könne», bleibt einstweilen abzuwarten. Das zweite, was wir hervorheben wollen, ist die Lösung des Wider¬ spruchs zwischen Marxens Werttheorie und der schon von Malthus erkannten Thatsache, daß gleiche Kapitale durchschnittlich gleiche Gewinne abwerfen. Um diesen Widerspruch zu verstehe», muß man die Terminologie kennen. Die Nationalökonomen teilen das Kapital in fixes und zirkulirendes ein, können Grenzboten III 1895 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/137>, abgerufen am 28.07.2024.