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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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rente, und das Verhältnis der verschiednen Einkommenarten zu einander. Wie
im ersten und zweiten, so ruhen auch im dritten Buche die Ergebnisse auf
einem sehr reichhaltigen Thatsachenmaterial (u. a. werden größere Bruchstücke
aus den Verhören mitgeteilt, die in Zeiten von Geldkrisen englische Parlaments¬
kommissionen mit Geldmünnern angestellt haben), sowie auf zahlreichen Be¬
rechnungen und Tabellen. Wir beschränken uns hier darauf, zwei von den
Hauptgedanken des Buches kurz zu entwickeln und ein paar interessante Stellen
mitzuteilen.

Das jährliche Einkommen der Gesellschaft wird unter selbstverständlicher
Beihilfe von Naturkräften, von denen ja die Arbeitskraft des Menschen selbst
die wichtigste ist, durch Arbeit hervorgebracht. Die Produktion wie die Ver¬
teilung des Produkts wird von gesellschaftlichen Verhältnissen beherrscht, die
überall in Kulturstaaten die Form von Rechtsverhältnissen annehmen. Diese
Verhältnisse bringen es mit sich, daß der Lohnarbeiter einen Teil seines Ar¬
beitserzeugnisses, der von der einen Seite gesehen als Mehrwert, von der andern
als Profit erscheint, in den Händen des Fabrikanten lassen muß, daß dieser
den Profit mit dem Kaufmann, der die Waren vertreibt, und mit dem Grund¬
herrn teilen muß, auf dessen Boden die Fabrikgebäude stehen, aus dessen Boden
die Nahrungsmittel, die Rohstoffe und die Kohlen hervorgehen, daß bei all
diesen Tausch-, Wertübertragungs- und Teilgeschäften das Geld den unent¬
behrlichen Werttrüger bildet, daß deshalb Geld in Produktionsmittel, oder wie
der gewöhnliche Ausdruck lautet, in Kapital verwandelt, als Kapital benutzt,
und daß ohne Geld innerhalb der kapitalistisch organisirten Gesellschaft nichts
produzirt werden kann, daß daher der Geldbesitzer für die Geldleihe zu Pro¬
duktionszwecken so gut eine Entschädigung fordern kann und bereitwillig er¬
hält, wie der Rindviehbesitzer für das Wegleihen einer Milchkuh oder eines
Zuchtstiers, daß es also, wie Marx ganz richtig hervorhebt, ein eitler Traum
von Volkswissenschaftlern proudhonischer Richtung ist, innerhalb der kapita¬
listischen Gesellschaftsordnung den notleidenden Klassen durch unverzinsliche
Darlehen aufhelfen zu wollen: unverzinsliche Darlehen in großem Stil kann
die heutige Gesellschaft nicht zulassen, ohne ihre eigne Grundlage zu zerstören.
So erscheint zuguderletzt das Geld als der eigentliche Wertschöpfer, von dem
zuerst der Darleiher, dann der Fabrikant, der Kaufmann und der Grundbesitzer,
zuletzt die Arbeiter ihr Einkommen empfangen. Der ganze Produktionsprozeß
stellt sich dem Beschauer verkehrt dar: sein letztes Ergebnis, der Geldzins, als
die Grundlage, seine Grundlage, die Arbeit, als Geschenk des Geldes (daher
der schöne Name: Arbeitgeber!), und die ihn beherrschenden gesellschaftlichen
Verhältnisse haben sich in einem greifbaren Dinge, im Gelde verkörpert. So
ist, gleich der Ware, auch das Geld ein Fetisch geworden, ja der Fetisch aller
Fetische, der die Welt beherrscht und sich den Anschein giebt, als sei er es,
der alle Dinge hervorbringe und seiner Natur nach von selber Frucht trage,


rente, und das Verhältnis der verschiednen Einkommenarten zu einander. Wie
im ersten und zweiten, so ruhen auch im dritten Buche die Ergebnisse auf
einem sehr reichhaltigen Thatsachenmaterial (u. a. werden größere Bruchstücke
aus den Verhören mitgeteilt, die in Zeiten von Geldkrisen englische Parlaments¬
kommissionen mit Geldmünnern angestellt haben), sowie auf zahlreichen Be¬
rechnungen und Tabellen. Wir beschränken uns hier darauf, zwei von den
Hauptgedanken des Buches kurz zu entwickeln und ein paar interessante Stellen
mitzuteilen.

Das jährliche Einkommen der Gesellschaft wird unter selbstverständlicher
Beihilfe von Naturkräften, von denen ja die Arbeitskraft des Menschen selbst
die wichtigste ist, durch Arbeit hervorgebracht. Die Produktion wie die Ver¬
teilung des Produkts wird von gesellschaftlichen Verhältnissen beherrscht, die
überall in Kulturstaaten die Form von Rechtsverhältnissen annehmen. Diese
Verhältnisse bringen es mit sich, daß der Lohnarbeiter einen Teil seines Ar¬
beitserzeugnisses, der von der einen Seite gesehen als Mehrwert, von der andern
als Profit erscheint, in den Händen des Fabrikanten lassen muß, daß dieser
den Profit mit dem Kaufmann, der die Waren vertreibt, und mit dem Grund¬
herrn teilen muß, auf dessen Boden die Fabrikgebäude stehen, aus dessen Boden
die Nahrungsmittel, die Rohstoffe und die Kohlen hervorgehen, daß bei all
diesen Tausch-, Wertübertragungs- und Teilgeschäften das Geld den unent¬
behrlichen Werttrüger bildet, daß deshalb Geld in Produktionsmittel, oder wie
der gewöhnliche Ausdruck lautet, in Kapital verwandelt, als Kapital benutzt,
und daß ohne Geld innerhalb der kapitalistisch organisirten Gesellschaft nichts
produzirt werden kann, daß daher der Geldbesitzer für die Geldleihe zu Pro¬
duktionszwecken so gut eine Entschädigung fordern kann und bereitwillig er¬
hält, wie der Rindviehbesitzer für das Wegleihen einer Milchkuh oder eines
Zuchtstiers, daß es also, wie Marx ganz richtig hervorhebt, ein eitler Traum
von Volkswissenschaftlern proudhonischer Richtung ist, innerhalb der kapita¬
listischen Gesellschaftsordnung den notleidenden Klassen durch unverzinsliche
Darlehen aufhelfen zu wollen: unverzinsliche Darlehen in großem Stil kann
die heutige Gesellschaft nicht zulassen, ohne ihre eigne Grundlage zu zerstören.
So erscheint zuguderletzt das Geld als der eigentliche Wertschöpfer, von dem
zuerst der Darleiher, dann der Fabrikant, der Kaufmann und der Grundbesitzer,
zuletzt die Arbeiter ihr Einkommen empfangen. Der ganze Produktionsprozeß
stellt sich dem Beschauer verkehrt dar: sein letztes Ergebnis, der Geldzins, als
die Grundlage, seine Grundlage, die Arbeit, als Geschenk des Geldes (daher
der schöne Name: Arbeitgeber!), und die ihn beherrschenden gesellschaftlichen
Verhältnisse haben sich in einem greifbaren Dinge, im Gelde verkörpert. So
ist, gleich der Ware, auch das Geld ein Fetisch geworden, ja der Fetisch aller
Fetische, der die Welt beherrscht und sich den Anschein giebt, als sei er es,
der alle Dinge hervorbringe und seiner Natur nach von selber Frucht trage,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/135>, abgerufen am 01.09.2024.