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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.

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Eiserne Brücken

und daß es bei der Konstruktion eiserner Brücken weniger auf große Massen
von Material ankommt, die die Brücken nur unnütz schwer machen, als auf
zweckmäßige Anordnung der Teile. Man darf daher auch nicht allzu viel Ge¬
wicht legen auf den schnellen Durchbruch einer unter einem scharfen Winkel
abwechselnd vor- und rückwärts gebognen Eisenstange, mit der ein englischer In¬
genieur die Eisenbrücken verglichen hat; auch an den Brücken soll sich "genau
dieselbe Wirkung nach entsprechend langen Zeiträumen einstellen, wenn die
jeweilige Durchbiegung auch so geringfügig ist, daß sie dem Auge des Be¬
obachters entgeht." Wir zweifeln keinen Augenblick an der Richtigkeit dieser
Behauptung, möchten aber doch dem reisenden Publikum, um es vor unnützer
Furcht zu bewahren, raten, sich diese Zeiträume nicht zu kurz vorzustellen. Es
giebt Maschinenteile, die eine ganz ungeheure Arbeit im Durchbiegen leisten
müssen und dabei doch jahrelang aushalten; ich erinnere nur an die Bart¬
federn der Nüttelvorrichtungen in Mühlen u. dergl. und an die haardünnen
Spiralfedern unsrer Taschenuhren, die sich in der Minute bis 240mal, daher
im Jahre über 126 Millionen mal durchbiegen, d. h. öffnen und schließen müssen,
und dabei doch oft zehn Jahre und darüber halten. Wie viele Millionen mal
mag sich eine Eisenstange, und wäre sie auch aus mehreren Stücken zusammen¬
genietet, biegen lassen, ehe sie bricht, wenn die Biegung nicht unter einem scharfen
Winkel, wie oben in dem Beispiele angenommen ist, sondern unter flachem
Bogen geschieht, wie es der Durchbiegung der Brücken in Wirklichkeit ent¬
spricht! Wollte man aus der Zahl der Durchbiegungen jener Federn einen
Schluß auf die Dauer der eisernen Brücken ziehen, so würden die Brücken das
Alter der altrömischen Aquädukte weit übertreffen; denn eine Eisenbrücke, über
die täglich 100 Bahnzüge fahren, wird im Jahre 36 500mal, daher in 2000
Jahren erst 73 Millionen mal durchgebogen, und zwar um einen Abstand, der
im Verhältnis zu den Spannweiten verschwindend klein ist. Eine solche Lebens¬
dauer dürfen wir aber den eisernen Brücken im allgemeinen auch bei der sorg¬
fältigsten Unterhaltung nicht zutrauen. Es bleibt daher nichts weiter übrig,
als daß wir die Hauptursache ihres Verfalls in den Erschütterungen suchen.
Aus demselben Gründe müssen ja die Bahnschienen, die Radreifen und die
Wagenachsen, die durch jede Unebenheit der Fahrbahn den Erschütterungen in
erster Linie preisgegeben sind, nach einer bestimmten Zeit, und noch ehe sie
irgend ein äußeres Zeichen der Brüchigkeit zeigen, gegen neue ausgetauscht
werden. Eine dankbare Aufgabe für den Konstrukteur würde es daher sein,
ein Mittel zu erfinden, wodurch die Erschütterungen der Brücken aufgehoben
oder wenigstens gemildert werden könnten. - Mit Federn oder Gummiunter¬
lagen würde dieser Zweck nur unvollständig und nur für kurze Zeit erreicht
werden. Vielleicht ließe sich das Fahrgleise aus besonders konstruirten starken
Schienen herstellen, die, soweit sie auf der Brücke liegen, an ihren Enden mit
einander senkrecht verplattet und verschraubt werden, während die zur Aus-


Eiserne Brücken

und daß es bei der Konstruktion eiserner Brücken weniger auf große Massen
von Material ankommt, die die Brücken nur unnütz schwer machen, als auf
zweckmäßige Anordnung der Teile. Man darf daher auch nicht allzu viel Ge¬
wicht legen auf den schnellen Durchbruch einer unter einem scharfen Winkel
abwechselnd vor- und rückwärts gebognen Eisenstange, mit der ein englischer In¬
genieur die Eisenbrücken verglichen hat; auch an den Brücken soll sich „genau
dieselbe Wirkung nach entsprechend langen Zeiträumen einstellen, wenn die
jeweilige Durchbiegung auch so geringfügig ist, daß sie dem Auge des Be¬
obachters entgeht." Wir zweifeln keinen Augenblick an der Richtigkeit dieser
Behauptung, möchten aber doch dem reisenden Publikum, um es vor unnützer
Furcht zu bewahren, raten, sich diese Zeiträume nicht zu kurz vorzustellen. Es
giebt Maschinenteile, die eine ganz ungeheure Arbeit im Durchbiegen leisten
müssen und dabei doch jahrelang aushalten; ich erinnere nur an die Bart¬
federn der Nüttelvorrichtungen in Mühlen u. dergl. und an die haardünnen
Spiralfedern unsrer Taschenuhren, die sich in der Minute bis 240mal, daher
im Jahre über 126 Millionen mal durchbiegen, d. h. öffnen und schließen müssen,
und dabei doch oft zehn Jahre und darüber halten. Wie viele Millionen mal
mag sich eine Eisenstange, und wäre sie auch aus mehreren Stücken zusammen¬
genietet, biegen lassen, ehe sie bricht, wenn die Biegung nicht unter einem scharfen
Winkel, wie oben in dem Beispiele angenommen ist, sondern unter flachem
Bogen geschieht, wie es der Durchbiegung der Brücken in Wirklichkeit ent¬
spricht! Wollte man aus der Zahl der Durchbiegungen jener Federn einen
Schluß auf die Dauer der eisernen Brücken ziehen, so würden die Brücken das
Alter der altrömischen Aquädukte weit übertreffen; denn eine Eisenbrücke, über
die täglich 100 Bahnzüge fahren, wird im Jahre 36 500mal, daher in 2000
Jahren erst 73 Millionen mal durchgebogen, und zwar um einen Abstand, der
im Verhältnis zu den Spannweiten verschwindend klein ist. Eine solche Lebens¬
dauer dürfen wir aber den eisernen Brücken im allgemeinen auch bei der sorg¬
fältigsten Unterhaltung nicht zutrauen. Es bleibt daher nichts weiter übrig,
als daß wir die Hauptursache ihres Verfalls in den Erschütterungen suchen.
Aus demselben Gründe müssen ja die Bahnschienen, die Radreifen und die
Wagenachsen, die durch jede Unebenheit der Fahrbahn den Erschütterungen in
erster Linie preisgegeben sind, nach einer bestimmten Zeit, und noch ehe sie
irgend ein äußeres Zeichen der Brüchigkeit zeigen, gegen neue ausgetauscht
werden. Eine dankbare Aufgabe für den Konstrukteur würde es daher sein,
ein Mittel zu erfinden, wodurch die Erschütterungen der Brücken aufgehoben
oder wenigstens gemildert werden könnten. - Mit Federn oder Gummiunter¬
lagen würde dieser Zweck nur unvollständig und nur für kurze Zeit erreicht
werden. Vielleicht ließe sich das Fahrgleise aus besonders konstruirten starken
Schienen herstellen, die, soweit sie auf der Brücke liegen, an ihren Enden mit
einander senkrecht verplattet und verschraubt werden, während die zur Aus-


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[0122] Eiserne Brücken und daß es bei der Konstruktion eiserner Brücken weniger auf große Massen von Material ankommt, die die Brücken nur unnütz schwer machen, als auf zweckmäßige Anordnung der Teile. Man darf daher auch nicht allzu viel Ge¬ wicht legen auf den schnellen Durchbruch einer unter einem scharfen Winkel abwechselnd vor- und rückwärts gebognen Eisenstange, mit der ein englischer In¬ genieur die Eisenbrücken verglichen hat; auch an den Brücken soll sich „genau dieselbe Wirkung nach entsprechend langen Zeiträumen einstellen, wenn die jeweilige Durchbiegung auch so geringfügig ist, daß sie dem Auge des Be¬ obachters entgeht." Wir zweifeln keinen Augenblick an der Richtigkeit dieser Behauptung, möchten aber doch dem reisenden Publikum, um es vor unnützer Furcht zu bewahren, raten, sich diese Zeiträume nicht zu kurz vorzustellen. Es giebt Maschinenteile, die eine ganz ungeheure Arbeit im Durchbiegen leisten müssen und dabei doch jahrelang aushalten; ich erinnere nur an die Bart¬ federn der Nüttelvorrichtungen in Mühlen u. dergl. und an die haardünnen Spiralfedern unsrer Taschenuhren, die sich in der Minute bis 240mal, daher im Jahre über 126 Millionen mal durchbiegen, d. h. öffnen und schließen müssen, und dabei doch oft zehn Jahre und darüber halten. Wie viele Millionen mal mag sich eine Eisenstange, und wäre sie auch aus mehreren Stücken zusammen¬ genietet, biegen lassen, ehe sie bricht, wenn die Biegung nicht unter einem scharfen Winkel, wie oben in dem Beispiele angenommen ist, sondern unter flachem Bogen geschieht, wie es der Durchbiegung der Brücken in Wirklichkeit ent¬ spricht! Wollte man aus der Zahl der Durchbiegungen jener Federn einen Schluß auf die Dauer der eisernen Brücken ziehen, so würden die Brücken das Alter der altrömischen Aquädukte weit übertreffen; denn eine Eisenbrücke, über die täglich 100 Bahnzüge fahren, wird im Jahre 36 500mal, daher in 2000 Jahren erst 73 Millionen mal durchgebogen, und zwar um einen Abstand, der im Verhältnis zu den Spannweiten verschwindend klein ist. Eine solche Lebens¬ dauer dürfen wir aber den eisernen Brücken im allgemeinen auch bei der sorg¬ fältigsten Unterhaltung nicht zutrauen. Es bleibt daher nichts weiter übrig, als daß wir die Hauptursache ihres Verfalls in den Erschütterungen suchen. Aus demselben Gründe müssen ja die Bahnschienen, die Radreifen und die Wagenachsen, die durch jede Unebenheit der Fahrbahn den Erschütterungen in erster Linie preisgegeben sind, nach einer bestimmten Zeit, und noch ehe sie irgend ein äußeres Zeichen der Brüchigkeit zeigen, gegen neue ausgetauscht werden. Eine dankbare Aufgabe für den Konstrukteur würde es daher sein, ein Mittel zu erfinden, wodurch die Erschütterungen der Brücken aufgehoben oder wenigstens gemildert werden könnten. - Mit Federn oder Gummiunter¬ lagen würde dieser Zweck nur unvollständig und nur für kurze Zeit erreicht werden. Vielleicht ließe sich das Fahrgleise aus besonders konstruirten starken Schienen herstellen, die, soweit sie auf der Brücke liegen, an ihren Enden mit einander senkrecht verplattet und verschraubt werden, während die zur Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/122>, abgerufen am 01.09.2024.