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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Unabenerziehimg und Knabenunterricht im alten Hellas

führte der Pädvtribe oder Turnmeister ein strenges Regiment. In den bild¬
lichen Darstellungen, wo er die Übungen beaufsichtigend dasteht, hat er meist
die Rute oder die Peitsche als Abzeichen seines Amtes. Außer Lehrgeschick
verlangte man von ihm besonders gewisse Kenntnisse in Diät und Körper¬
pflege, damit er seine Aufgabe, die Knaben "an Leib schön und stark zu
machen," auch wirklich erfüllen konnte. Daher wird er bei Plato auch meist
mit dem Arzte, seine Kunst mit der des Arztes verglichen. Namentlich in
Athen fehlte es zu Pindars wie zu Platos Zeit nie an tüchtigen Lehrern
dieser Kunst. Ihre Stellung war ursprünglich sogar angesehener, ihre Be¬
zahlung höher als die der Lehrer der Didaskaleia; später, seit der makedonischer
Zeit, stehen beide Klassen etwa gleich.

Wie alles in Griechenland, so hatte auch die Palästra eine religiöse
Weihe: sie stand unter dem Schutze des Hermes als des Gottes der Gym¬
nastik. Sein Bild bekränzten die Knaben mit Blumen; auf seinem Opferaltar
brachte der Pädvtribe mit einem der Knaben, den seine Kameraden zum
Opfervollzieher gewählt hatten, ihm Opfer dar. Besonders geschah das an
dem der Palästra eigentümlichen Feste der Hermäen, in das uns Platos
"Lysis" versetzt. Da findet Sokrates nach seinem Eintritt in den von einer
Mauer umschlossenen Hof, nachdem die eigentliche Festfeier bereits vorüber
ist, die Knaben bekränzt und in Festkleidung teils im Hofe, teils im Kleider¬
zimmer. Ein Teil spielt hier mit Würfeln, die andern sehen ihren spie¬
lenden Genossen zu. In solchen Ringschuleu, sowie in den teils bedeckten,
teils offnen Bahnen für Laufübungen (6^"?t) und auf Übungsplätzen oder
in Übungshallen für Speerwurf und Bogenschießen legten die Knaben, mit
den Jahren von leichtern zu schwerern Übungen fortschreitend, den Grund zu
einer Fertigkeit in Leibesübungen aller Art, wie sie jetzt annähernd nur in
gewissen höhern Schulen Englands, den sogenannten vublio selwols, erreicht
wird; eine Fertigkeit, die sie dann an den öffentlichen Festen ihrer Vaterstadt
vor den Augen der gesamten Bürgerschaft in gegenseitigem Wetteifer und
Wettkampf erprobten. Hier lernten sie den Weitsprung, übten den einfachen,
den Doppel-, den Dauer- und den Wasserlauf, warfen den Diskos, lernten
kunstgerecht boxen, schleuderten Speere und wurden vor allem in der Ring-
künst, die in hohem Ansehen stand, ausgebildet; übten sich doch selbst ältere
Männer wie Sokrates noch alltäglich im Ringen. Planmäßig gewöhnte dabei
der Pädvtribe die Knaben an das Ertragen der heißen südlichen Sonnen¬
strahlen und jeder Unbill des Wetters. Das Einreiben des entblößten Leibes
mit Öl und das darauffolgende Einstäuben mit feinem Sande, das der Ring¬
übung vorausging, erzeugte jene feste, straffe, bronzefarbene Haut und jene
gesunde bräunliche Gesichtsfarbe, in deren Besitz der Heitere voll Verachtung
auf die schlappen, weißen Leiber der Orientalen herabblickte. Der Ringübung
folgte dann ein mit Schwimmen verbundnes Bad, denn Schwimmen war


Unabenerziehimg und Knabenunterricht im alten Hellas

führte der Pädvtribe oder Turnmeister ein strenges Regiment. In den bild¬
lichen Darstellungen, wo er die Übungen beaufsichtigend dasteht, hat er meist
die Rute oder die Peitsche als Abzeichen seines Amtes. Außer Lehrgeschick
verlangte man von ihm besonders gewisse Kenntnisse in Diät und Körper¬
pflege, damit er seine Aufgabe, die Knaben „an Leib schön und stark zu
machen," auch wirklich erfüllen konnte. Daher wird er bei Plato auch meist
mit dem Arzte, seine Kunst mit der des Arztes verglichen. Namentlich in
Athen fehlte es zu Pindars wie zu Platos Zeit nie an tüchtigen Lehrern
dieser Kunst. Ihre Stellung war ursprünglich sogar angesehener, ihre Be¬
zahlung höher als die der Lehrer der Didaskaleia; später, seit der makedonischer
Zeit, stehen beide Klassen etwa gleich.

Wie alles in Griechenland, so hatte auch die Palästra eine religiöse
Weihe: sie stand unter dem Schutze des Hermes als des Gottes der Gym¬
nastik. Sein Bild bekränzten die Knaben mit Blumen; auf seinem Opferaltar
brachte der Pädvtribe mit einem der Knaben, den seine Kameraden zum
Opfervollzieher gewählt hatten, ihm Opfer dar. Besonders geschah das an
dem der Palästra eigentümlichen Feste der Hermäen, in das uns Platos
„Lysis" versetzt. Da findet Sokrates nach seinem Eintritt in den von einer
Mauer umschlossenen Hof, nachdem die eigentliche Festfeier bereits vorüber
ist, die Knaben bekränzt und in Festkleidung teils im Hofe, teils im Kleider¬
zimmer. Ein Teil spielt hier mit Würfeln, die andern sehen ihren spie¬
lenden Genossen zu. In solchen Ringschuleu, sowie in den teils bedeckten,
teils offnen Bahnen für Laufübungen (6^«?t) und auf Übungsplätzen oder
in Übungshallen für Speerwurf und Bogenschießen legten die Knaben, mit
den Jahren von leichtern zu schwerern Übungen fortschreitend, den Grund zu
einer Fertigkeit in Leibesübungen aller Art, wie sie jetzt annähernd nur in
gewissen höhern Schulen Englands, den sogenannten vublio selwols, erreicht
wird; eine Fertigkeit, die sie dann an den öffentlichen Festen ihrer Vaterstadt
vor den Augen der gesamten Bürgerschaft in gegenseitigem Wetteifer und
Wettkampf erprobten. Hier lernten sie den Weitsprung, übten den einfachen,
den Doppel-, den Dauer- und den Wasserlauf, warfen den Diskos, lernten
kunstgerecht boxen, schleuderten Speere und wurden vor allem in der Ring-
künst, die in hohem Ansehen stand, ausgebildet; übten sich doch selbst ältere
Männer wie Sokrates noch alltäglich im Ringen. Planmäßig gewöhnte dabei
der Pädvtribe die Knaben an das Ertragen der heißen südlichen Sonnen¬
strahlen und jeder Unbill des Wetters. Das Einreiben des entblößten Leibes
mit Öl und das darauffolgende Einstäuben mit feinem Sande, das der Ring¬
übung vorausging, erzeugte jene feste, straffe, bronzefarbene Haut und jene
gesunde bräunliche Gesichtsfarbe, in deren Besitz der Heitere voll Verachtung
auf die schlappen, weißen Leiber der Orientalen herabblickte. Der Ringübung
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[0083] Unabenerziehimg und Knabenunterricht im alten Hellas führte der Pädvtribe oder Turnmeister ein strenges Regiment. In den bild¬ lichen Darstellungen, wo er die Übungen beaufsichtigend dasteht, hat er meist die Rute oder die Peitsche als Abzeichen seines Amtes. Außer Lehrgeschick verlangte man von ihm besonders gewisse Kenntnisse in Diät und Körper¬ pflege, damit er seine Aufgabe, die Knaben „an Leib schön und stark zu machen," auch wirklich erfüllen konnte. Daher wird er bei Plato auch meist mit dem Arzte, seine Kunst mit der des Arztes verglichen. Namentlich in Athen fehlte es zu Pindars wie zu Platos Zeit nie an tüchtigen Lehrern dieser Kunst. Ihre Stellung war ursprünglich sogar angesehener, ihre Be¬ zahlung höher als die der Lehrer der Didaskaleia; später, seit der makedonischer Zeit, stehen beide Klassen etwa gleich. Wie alles in Griechenland, so hatte auch die Palästra eine religiöse Weihe: sie stand unter dem Schutze des Hermes als des Gottes der Gym¬ nastik. Sein Bild bekränzten die Knaben mit Blumen; auf seinem Opferaltar brachte der Pädvtribe mit einem der Knaben, den seine Kameraden zum Opfervollzieher gewählt hatten, ihm Opfer dar. Besonders geschah das an dem der Palästra eigentümlichen Feste der Hermäen, in das uns Platos „Lysis" versetzt. Da findet Sokrates nach seinem Eintritt in den von einer Mauer umschlossenen Hof, nachdem die eigentliche Festfeier bereits vorüber ist, die Knaben bekränzt und in Festkleidung teils im Hofe, teils im Kleider¬ zimmer. Ein Teil spielt hier mit Würfeln, die andern sehen ihren spie¬ lenden Genossen zu. In solchen Ringschuleu, sowie in den teils bedeckten, teils offnen Bahnen für Laufübungen (6^«?t) und auf Übungsplätzen oder in Übungshallen für Speerwurf und Bogenschießen legten die Knaben, mit den Jahren von leichtern zu schwerern Übungen fortschreitend, den Grund zu einer Fertigkeit in Leibesübungen aller Art, wie sie jetzt annähernd nur in gewissen höhern Schulen Englands, den sogenannten vublio selwols, erreicht wird; eine Fertigkeit, die sie dann an den öffentlichen Festen ihrer Vaterstadt vor den Augen der gesamten Bürgerschaft in gegenseitigem Wetteifer und Wettkampf erprobten. Hier lernten sie den Weitsprung, übten den einfachen, den Doppel-, den Dauer- und den Wasserlauf, warfen den Diskos, lernten kunstgerecht boxen, schleuderten Speere und wurden vor allem in der Ring- künst, die in hohem Ansehen stand, ausgebildet; übten sich doch selbst ältere Männer wie Sokrates noch alltäglich im Ringen. Planmäßig gewöhnte dabei der Pädvtribe die Knaben an das Ertragen der heißen südlichen Sonnen¬ strahlen und jeder Unbill des Wetters. Das Einreiben des entblößten Leibes mit Öl und das darauffolgende Einstäuben mit feinem Sande, das der Ring¬ übung vorausging, erzeugte jene feste, straffe, bronzefarbene Haut und jene gesunde bräunliche Gesichtsfarbe, in deren Besitz der Heitere voll Verachtung auf die schlappen, weißen Leiber der Orientalen herabblickte. Der Ringübung folgte dann ein mit Schwimmen verbundnes Bad, denn Schwimmen war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/83>, abgerufen am 25.08.2024.