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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

zu reichen; aber kam sie, dann konnten die Sperlinge nicht heran, die sich sonst
in Scharen vorm Gartenhäuschen um Krumen balgten, und mußten ärgerlich
von den Bäumen herab zusehen; mit möglichster Unparteilichkeit suchte er einen
Turnus herzustellen, den aber Mimerle als gewandte Turnerin durch Sprünge
aus dem Fenster oft durchbrach. Der Hühnerhof, der nicht ganz so gut bestellt
war wie in Rehberg, hatte eine große Merkwürdigkeit aufzuweisen: ein ur¬
altes klapperdürres Entenpaar, das in zärtlichster Ehe lebte; wo er hin¬
watschelte, dahin watschelte sie mit, und niemals waren sie auch nur zehn
Zoll weit von einander entfernt. Vor dem Schlachtmesser waren sie sicher;
Menzel würde es für die größte Ruchlosigkeit gehalten Kaden, ein so seltenes
Eheglück zu zerstören, sei es durch den gleichzeitigen Mord beider Gatten, sei
es durch eine grausamere Trennung. Und eines Morgens verkündigte Johanna,
die Wirtin, glückstrahlenden Antlitzes, daß die Entenurgroßmutter ein El gelegt
habe. Dieser Jubel! Und diese Glückwünsche! Und diese'ehrenvollen Anerken¬
nungen des außerordentlichen Verdienstes! Eine Gratulationskour an irgend
einem Hofe ist nichts dagegen.

Johanna war das gutmütigste Geschöpf von der Welt, und nur aus
Furcht vor einer neuen Auflage des Windhundes hatte sie bei meinem Em¬
pfange ein so böses Gesicht gemacht. Dürr war ich nun zwar auch, und zu
laufen pflegte ich wie ein Windhund, aber sonst glich ich meinem Vorgänger
nicht. Nur in einem Stück gereichte ich ihr zum Ärgernis, daß ich dürr blieb.
Wir andern sind alle so schön rund, pflegte sie zu sagen, Sie allein machen
mir Schande. Sie hatte nämlich mit Elisen uur das eine gemein, daß sie
gut kochte und but, wenn auch vielleicht nicht ganz so gut; jedenfalls in einem
andern Stil, denn Menzels Magen war auf süß gestimmt und verabscheute
alles Saure. Für ihn hatten übrigens alle Süßigkeiten einen bittern Bei¬
geschmack, denn sie kamen ihm sehr teuer zu stehe". Um die Geburtstage
herum, wo sie sich auf die Zuckerbäckerei verlegte, angeblich für uns, in Wirklich¬
keit aber für ihre Kaffeeschwestern, und im Herbst zur Zeit des Früchte-
einmachens heischte sie aller Angenblicke einen Dukaten für Zucker. Damals
gab es noch keine hochherzigen Zuckerbarone, die ihr Vermögen opfern, um der
armen Menschheit das Leben mit billiger Süße zu würzen, und der Zucker
war teuer. Ob so teuer, daß als Einheit für Zuckereinkäufe ein für allemal
der Dukaten festgesetzt werden mußte, habe ich damals zu berechnen versäumt.
Den Glanzpunkt der kulinarischen Erfolge Johannas bildete alljährlich die
Gänseleberpastete an Menzels Geburtstage; aber ein neidisches Geschick verdarb
ihr jedesmal den Triumph. Menzel litt an Magenschwäche, und da er kein
zweites Frühstück nahm und es bis um zwölf Uhr an seinem Stehpult nicht
aushielt, so wurde schon um halb zwölf zu Mittag gegessen. Da aber zwölf
Uhr die amtliche Gratulationsstunde ist, so sielen Sanitätsrath immer gerade
in die Pastete hinein, was um so unangenehmer war, da das an der Küche


Wandlungen des Ich im Zeitenstrome

zu reichen; aber kam sie, dann konnten die Sperlinge nicht heran, die sich sonst
in Scharen vorm Gartenhäuschen um Krumen balgten, und mußten ärgerlich
von den Bäumen herab zusehen; mit möglichster Unparteilichkeit suchte er einen
Turnus herzustellen, den aber Mimerle als gewandte Turnerin durch Sprünge
aus dem Fenster oft durchbrach. Der Hühnerhof, der nicht ganz so gut bestellt
war wie in Rehberg, hatte eine große Merkwürdigkeit aufzuweisen: ein ur¬
altes klapperdürres Entenpaar, das in zärtlichster Ehe lebte; wo er hin¬
watschelte, dahin watschelte sie mit, und niemals waren sie auch nur zehn
Zoll weit von einander entfernt. Vor dem Schlachtmesser waren sie sicher;
Menzel würde es für die größte Ruchlosigkeit gehalten Kaden, ein so seltenes
Eheglück zu zerstören, sei es durch den gleichzeitigen Mord beider Gatten, sei
es durch eine grausamere Trennung. Und eines Morgens verkündigte Johanna,
die Wirtin, glückstrahlenden Antlitzes, daß die Entenurgroßmutter ein El gelegt
habe. Dieser Jubel! Und diese Glückwünsche! Und diese'ehrenvollen Anerken¬
nungen des außerordentlichen Verdienstes! Eine Gratulationskour an irgend
einem Hofe ist nichts dagegen.

Johanna war das gutmütigste Geschöpf von der Welt, und nur aus
Furcht vor einer neuen Auflage des Windhundes hatte sie bei meinem Em¬
pfange ein so böses Gesicht gemacht. Dürr war ich nun zwar auch, und zu
laufen pflegte ich wie ein Windhund, aber sonst glich ich meinem Vorgänger
nicht. Nur in einem Stück gereichte ich ihr zum Ärgernis, daß ich dürr blieb.
Wir andern sind alle so schön rund, pflegte sie zu sagen, Sie allein machen
mir Schande. Sie hatte nämlich mit Elisen uur das eine gemein, daß sie
gut kochte und but, wenn auch vielleicht nicht ganz so gut; jedenfalls in einem
andern Stil, denn Menzels Magen war auf süß gestimmt und verabscheute
alles Saure. Für ihn hatten übrigens alle Süßigkeiten einen bittern Bei¬
geschmack, denn sie kamen ihm sehr teuer zu stehe«. Um die Geburtstage
herum, wo sie sich auf die Zuckerbäckerei verlegte, angeblich für uns, in Wirklich¬
keit aber für ihre Kaffeeschwestern, und im Herbst zur Zeit des Früchte-
einmachens heischte sie aller Angenblicke einen Dukaten für Zucker. Damals
gab es noch keine hochherzigen Zuckerbarone, die ihr Vermögen opfern, um der
armen Menschheit das Leben mit billiger Süße zu würzen, und der Zucker
war teuer. Ob so teuer, daß als Einheit für Zuckereinkäufe ein für allemal
der Dukaten festgesetzt werden mußte, habe ich damals zu berechnen versäumt.
Den Glanzpunkt der kulinarischen Erfolge Johannas bildete alljährlich die
Gänseleberpastete an Menzels Geburtstage; aber ein neidisches Geschick verdarb
ihr jedesmal den Triumph. Menzel litt an Magenschwäche, und da er kein
zweites Frühstück nahm und es bis um zwölf Uhr an seinem Stehpult nicht
aushielt, so wurde schon um halb zwölf zu Mittag gegessen. Da aber zwölf
Uhr die amtliche Gratulationsstunde ist, so sielen Sanitätsrath immer gerade
in die Pastete hinein, was um so unangenehmer war, da das an der Küche


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[0620] Wandlungen des Ich im Zeitenstrome zu reichen; aber kam sie, dann konnten die Sperlinge nicht heran, die sich sonst in Scharen vorm Gartenhäuschen um Krumen balgten, und mußten ärgerlich von den Bäumen herab zusehen; mit möglichster Unparteilichkeit suchte er einen Turnus herzustellen, den aber Mimerle als gewandte Turnerin durch Sprünge aus dem Fenster oft durchbrach. Der Hühnerhof, der nicht ganz so gut bestellt war wie in Rehberg, hatte eine große Merkwürdigkeit aufzuweisen: ein ur¬ altes klapperdürres Entenpaar, das in zärtlichster Ehe lebte; wo er hin¬ watschelte, dahin watschelte sie mit, und niemals waren sie auch nur zehn Zoll weit von einander entfernt. Vor dem Schlachtmesser waren sie sicher; Menzel würde es für die größte Ruchlosigkeit gehalten Kaden, ein so seltenes Eheglück zu zerstören, sei es durch den gleichzeitigen Mord beider Gatten, sei es durch eine grausamere Trennung. Und eines Morgens verkündigte Johanna, die Wirtin, glückstrahlenden Antlitzes, daß die Entenurgroßmutter ein El gelegt habe. Dieser Jubel! Und diese Glückwünsche! Und diese'ehrenvollen Anerken¬ nungen des außerordentlichen Verdienstes! Eine Gratulationskour an irgend einem Hofe ist nichts dagegen. Johanna war das gutmütigste Geschöpf von der Welt, und nur aus Furcht vor einer neuen Auflage des Windhundes hatte sie bei meinem Em¬ pfange ein so böses Gesicht gemacht. Dürr war ich nun zwar auch, und zu laufen pflegte ich wie ein Windhund, aber sonst glich ich meinem Vorgänger nicht. Nur in einem Stück gereichte ich ihr zum Ärgernis, daß ich dürr blieb. Wir andern sind alle so schön rund, pflegte sie zu sagen, Sie allein machen mir Schande. Sie hatte nämlich mit Elisen uur das eine gemein, daß sie gut kochte und but, wenn auch vielleicht nicht ganz so gut; jedenfalls in einem andern Stil, denn Menzels Magen war auf süß gestimmt und verabscheute alles Saure. Für ihn hatten übrigens alle Süßigkeiten einen bittern Bei¬ geschmack, denn sie kamen ihm sehr teuer zu stehe«. Um die Geburtstage herum, wo sie sich auf die Zuckerbäckerei verlegte, angeblich für uns, in Wirklich¬ keit aber für ihre Kaffeeschwestern, und im Herbst zur Zeit des Früchte- einmachens heischte sie aller Angenblicke einen Dukaten für Zucker. Damals gab es noch keine hochherzigen Zuckerbarone, die ihr Vermögen opfern, um der armen Menschheit das Leben mit billiger Süße zu würzen, und der Zucker war teuer. Ob so teuer, daß als Einheit für Zuckereinkäufe ein für allemal der Dukaten festgesetzt werden mußte, habe ich damals zu berechnen versäumt. Den Glanzpunkt der kulinarischen Erfolge Johannas bildete alljährlich die Gänseleberpastete an Menzels Geburtstage; aber ein neidisches Geschick verdarb ihr jedesmal den Triumph. Menzel litt an Magenschwäche, und da er kein zweites Frühstück nahm und es bis um zwölf Uhr an seinem Stehpult nicht aushielt, so wurde schon um halb zwölf zu Mittag gegessen. Da aber zwölf Uhr die amtliche Gratulationsstunde ist, so sielen Sanitätsrath immer gerade in die Pastete hinein, was um so unangenehmer war, da das an der Küche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/620>, abgerufen am 26.08.2024.