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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

gesichts der stillen, für das Auge wie ein Landsee geschlossenen Bucht mitten inne
lag zwischen dem damaligen ersten Handelshafen Italiens Puteoli (Pozzuoli), wo
der Apostel Paulus landete, und dem großen Kriegshafen am schönen Tafelberge
von Misenum, wo im Jahre 79 der ältere Plinius als kommandirender Admiral
den ersten und furchtbarsten Ausbruch des Vesuvs beobachtete, ist wenig mehr
übrig: einige Säulen des Serapistempels, das Amphitheater und Reste des
antiken Hafendammes in Pozzuoli. Dafür freilich liegt gegenüber Pompeji.
Goethe vergleicht es mit einem eingefahrenen Bergdorf; ich mochte es eher
eine ungeheure Brandstätte nennen, nur ohne Feuerspuren. Kein gebildeter
Mensch wird sich dem tiefen Eindruck dieser ausgestvrbnen Stadt entziehen
können. Denn hier tritt uns eine achtzehnhundertjährige Vergangenheit nicht
wie sonst in spärlichen Resten, mit spätern Zuthaten versetzt und dadurch näher
gerückt entgegen, sondern ganz unmittelbar in der Gestalt, die sie bei der
plötzlichen Vernichtung dieses Lebens gehabt hat. Am stärksten ist dieser Ein¬
druck bei einem erst jüngst ausgegrabnen Hause, an dessen Aufdeckung noch ge¬
arbeitet wurde: in dem schönen Peristyl stehen zwischen den weißen Marmor¬
stucksäulen noch heute die Tische, Springbrunnen und Statuetten aus Marmor
oder Bronze, wie an dem verhängnisvollen 24. August 79, die Marmorgebilde so
tadellos erhalten, als wenn sie gestern gemeißelt wären, und die Wände mehrerer
Zimmer zieren schöne Fresken in den frischesten Farben, darunter als das
merkwürdigste Gemälde eine Darstellung der Szene, die wir aus der Gruppe
des fnrnesischen Stieres kennen. Es ist, als ob der vor 1816 Jahren ge-
flüchtete Besitzer jeden Augenblick eintreten könnte, um sein Eigentum wieder
zu übernehmen und das stattliche Haus wieder wohnlich herzustellen, was
gar keine Schwierigkeiten haben würde. Sollte es denn überhaupt nicht möglich
und geraten sein, ein pompejanisches Haus, vielleicht gerade dieses, völlig in
seinen alten Zustand zurückzuversetzen? Das würde unendlich anschaulicher sein
als jedes Modell und vor allem besser, als die Anhäufung zahlloser Gegenstände
in einem Museum, wo sie, sauber nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet,
ungefähr den Eindruck machen wie ein antikes Magazin für häusliche Ein¬
richtung. Ein solches ist tot, das andre wäre lebendig.

Ich habe im Vorstehenden nur leichte Skizzen und persönliche Eindrücke
geben wollen. Ganze wichtige Kapitel habe ich beiseite gelassen, vor allem
jedes nähere Eingehen auf die tausendmal besprochnen Museen und einzelnen
Kunstwerke. Es kam mir, wie gesagt, vor allem auf das lebendige Italien
und seine großen Zusammenhänge mit der Vergangenheit an. Die Überzeugung
nimmt man doch aus dem Lande mit hinweg, daß dieses Volk nicht nur eine
Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat. Sie wird nicht so stolz sein
wie die Vergangenheit, weil die Voraussetzungen ganz andre geworden sind,
aber sie wird der Vergangenheit nicht unwürdig sein.


Veto llaemmel
Italienische Eindrücke

gesichts der stillen, für das Auge wie ein Landsee geschlossenen Bucht mitten inne
lag zwischen dem damaligen ersten Handelshafen Italiens Puteoli (Pozzuoli), wo
der Apostel Paulus landete, und dem großen Kriegshafen am schönen Tafelberge
von Misenum, wo im Jahre 79 der ältere Plinius als kommandirender Admiral
den ersten und furchtbarsten Ausbruch des Vesuvs beobachtete, ist wenig mehr
übrig: einige Säulen des Serapistempels, das Amphitheater und Reste des
antiken Hafendammes in Pozzuoli. Dafür freilich liegt gegenüber Pompeji.
Goethe vergleicht es mit einem eingefahrenen Bergdorf; ich mochte es eher
eine ungeheure Brandstätte nennen, nur ohne Feuerspuren. Kein gebildeter
Mensch wird sich dem tiefen Eindruck dieser ausgestvrbnen Stadt entziehen
können. Denn hier tritt uns eine achtzehnhundertjährige Vergangenheit nicht
wie sonst in spärlichen Resten, mit spätern Zuthaten versetzt und dadurch näher
gerückt entgegen, sondern ganz unmittelbar in der Gestalt, die sie bei der
plötzlichen Vernichtung dieses Lebens gehabt hat. Am stärksten ist dieser Ein¬
druck bei einem erst jüngst ausgegrabnen Hause, an dessen Aufdeckung noch ge¬
arbeitet wurde: in dem schönen Peristyl stehen zwischen den weißen Marmor¬
stucksäulen noch heute die Tische, Springbrunnen und Statuetten aus Marmor
oder Bronze, wie an dem verhängnisvollen 24. August 79, die Marmorgebilde so
tadellos erhalten, als wenn sie gestern gemeißelt wären, und die Wände mehrerer
Zimmer zieren schöne Fresken in den frischesten Farben, darunter als das
merkwürdigste Gemälde eine Darstellung der Szene, die wir aus der Gruppe
des fnrnesischen Stieres kennen. Es ist, als ob der vor 1816 Jahren ge-
flüchtete Besitzer jeden Augenblick eintreten könnte, um sein Eigentum wieder
zu übernehmen und das stattliche Haus wieder wohnlich herzustellen, was
gar keine Schwierigkeiten haben würde. Sollte es denn überhaupt nicht möglich
und geraten sein, ein pompejanisches Haus, vielleicht gerade dieses, völlig in
seinen alten Zustand zurückzuversetzen? Das würde unendlich anschaulicher sein
als jedes Modell und vor allem besser, als die Anhäufung zahlloser Gegenstände
in einem Museum, wo sie, sauber nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet,
ungefähr den Eindruck machen wie ein antikes Magazin für häusliche Ein¬
richtung. Ein solches ist tot, das andre wäre lebendig.

Ich habe im Vorstehenden nur leichte Skizzen und persönliche Eindrücke
geben wollen. Ganze wichtige Kapitel habe ich beiseite gelassen, vor allem
jedes nähere Eingehen auf die tausendmal besprochnen Museen und einzelnen
Kunstwerke. Es kam mir, wie gesagt, vor allem auf das lebendige Italien
und seine großen Zusammenhänge mit der Vergangenheit an. Die Überzeugung
nimmt man doch aus dem Lande mit hinweg, daß dieses Volk nicht nur eine
Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat. Sie wird nicht so stolz sein
wie die Vergangenheit, weil die Voraussetzungen ganz andre geworden sind,
aber sie wird der Vergangenheit nicht unwürdig sein.


Veto llaemmel
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[0616] Italienische Eindrücke gesichts der stillen, für das Auge wie ein Landsee geschlossenen Bucht mitten inne lag zwischen dem damaligen ersten Handelshafen Italiens Puteoli (Pozzuoli), wo der Apostel Paulus landete, und dem großen Kriegshafen am schönen Tafelberge von Misenum, wo im Jahre 79 der ältere Plinius als kommandirender Admiral den ersten und furchtbarsten Ausbruch des Vesuvs beobachtete, ist wenig mehr übrig: einige Säulen des Serapistempels, das Amphitheater und Reste des antiken Hafendammes in Pozzuoli. Dafür freilich liegt gegenüber Pompeji. Goethe vergleicht es mit einem eingefahrenen Bergdorf; ich mochte es eher eine ungeheure Brandstätte nennen, nur ohne Feuerspuren. Kein gebildeter Mensch wird sich dem tiefen Eindruck dieser ausgestvrbnen Stadt entziehen können. Denn hier tritt uns eine achtzehnhundertjährige Vergangenheit nicht wie sonst in spärlichen Resten, mit spätern Zuthaten versetzt und dadurch näher gerückt entgegen, sondern ganz unmittelbar in der Gestalt, die sie bei der plötzlichen Vernichtung dieses Lebens gehabt hat. Am stärksten ist dieser Ein¬ druck bei einem erst jüngst ausgegrabnen Hause, an dessen Aufdeckung noch ge¬ arbeitet wurde: in dem schönen Peristyl stehen zwischen den weißen Marmor¬ stucksäulen noch heute die Tische, Springbrunnen und Statuetten aus Marmor oder Bronze, wie an dem verhängnisvollen 24. August 79, die Marmorgebilde so tadellos erhalten, als wenn sie gestern gemeißelt wären, und die Wände mehrerer Zimmer zieren schöne Fresken in den frischesten Farben, darunter als das merkwürdigste Gemälde eine Darstellung der Szene, die wir aus der Gruppe des fnrnesischen Stieres kennen. Es ist, als ob der vor 1816 Jahren ge- flüchtete Besitzer jeden Augenblick eintreten könnte, um sein Eigentum wieder zu übernehmen und das stattliche Haus wieder wohnlich herzustellen, was gar keine Schwierigkeiten haben würde. Sollte es denn überhaupt nicht möglich und geraten sein, ein pompejanisches Haus, vielleicht gerade dieses, völlig in seinen alten Zustand zurückzuversetzen? Das würde unendlich anschaulicher sein als jedes Modell und vor allem besser, als die Anhäufung zahlloser Gegenstände in einem Museum, wo sie, sauber nach sachlichen Gesichtspunkten geordnet, ungefähr den Eindruck machen wie ein antikes Magazin für häusliche Ein¬ richtung. Ein solches ist tot, das andre wäre lebendig. Ich habe im Vorstehenden nur leichte Skizzen und persönliche Eindrücke geben wollen. Ganze wichtige Kapitel habe ich beiseite gelassen, vor allem jedes nähere Eingehen auf die tausendmal besprochnen Museen und einzelnen Kunstwerke. Es kam mir, wie gesagt, vor allem auf das lebendige Italien und seine großen Zusammenhänge mit der Vergangenheit an. Die Überzeugung nimmt man doch aus dem Lande mit hinweg, daß dieses Volk nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat. Sie wird nicht so stolz sein wie die Vergangenheit, weil die Voraussetzungen ganz andre geworden sind, aber sie wird der Vergangenheit nicht unwürdig sein. Veto llaemmel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/616>, abgerufen am 26.08.2024.