Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Italienische Eindrücke

Salerno selbst am Fuße zackiger Berggipfel mit dem wundervollen Blick auf
den Golf und die Steilküste von Amalfi, das liebliche Sorrent, mitten in
Orangengürten auf senkrecht abstürzenden, gelbbraunen Kalksteinwänden hoch
über dem blauen Meere thronend, endlich der steile, graurötliche Felsberg von
Capri, rings umspült von der lichten Flut. Und nach Griechenland wähnt man
sich versetzt, wenn man die Tempel von Püstum in ihrer schlichten Größe auf
einsamer grüner Ebne erblickt zwischen dem malerischen Ringe der Gebirge und
der See. Einst waren sie umgeben von einer rührigen, ansehnlichen Stadt,
jetzt liegen sie still zwischen Feldern und Wiesen und einzelnen stattlichen Pacht¬
höfen, die das noch wohlerhaltene Viereck der gewaltigen, fünf Meter starken
Stadtmauer ausfüllen, während sich in den Sümpfen des nahen Sele plumpe
Büffel tummeln.

Doch nicht die landschaftliche Schönheit ist es in erster Linie, die den
gebildeten Nordländer nach Italien zieht; noch stärkere Anziehungskraft üben die
Denkmäler einer hohen Kultur und einer großen Geschichte von zweiundeinhalb
Jahrtausenden. Die griechische Kultur ist älter und ursprünglicher, aber zwischen
ihren noch übrigen monumentalen Resten und der Gegenwart klafft eine Lücke, in
der das Land halb oder ganz der Barbarei verfallen war und unmittelbar nicht
den geringsten Einfluß auf das Abendland geübt hat. In Italien ist die Ent¬
wicklung zwar zuweilen ins Stocken geraten, aber doch eigentlich niemals unter¬
brochen worden, und kein fremdes Land hat mit uns in so innigen, mannichfaltigen
und fortgesetzten Beziehungen gestanden wie Italien, wie andrerseits Deutsch¬
land auf keines seiner romanischen Nachbarländer so tief und nachhaltig ein¬
gewirkt hat. Der tiefe Unterschied, der noch heute zwischen der Nord- und der
Südhälfte des Landes besteht, hängt wesentlich mit der Thatsache zusammen, daß
der Süden dieser germanischen Einwirkung so gut wie verschlossen blieb
-- denn die Normannen waren, als sie dort ihre Herrschaften gründeten, bereits
französirt, und die Hohenstaufen herrschten hier nur ganz vorübergehend mit
deutschen Kräften -- und dafür byzantinischen, arabischen, französischen und
spanischen Einflüssen offenstand. Daher vertreten die Städte Ober- und Mittel¬
italiens in ihrer trotzigen republikanischen Selbständigkeit auch ein germanisches
Element, und ihre Baudenkmäler reden vor allem vom Mittelalter und der
Renaissance, allerdings in charakteristisch italienischen Formen und ausgestattet
mit einer überwältigenden Fülle künstlerischer Arbeit, von der man im Norden
doch kaum eine Ahnung hat. Die hohen Häuser mit flachgeneigten, ziemlich
stark vorspringenden rotbraunen Ziegeldächern und hohen Fenstern hinter grünen
Jalousien an engen, mit prachtvollen, großen Kalksteinplatten gepflasterten
Straßen sind allen diesen Städten gemeinsam, die luftigen, oft spitzbogigen
Arkaden längs der Gassen besonders denen der Potiefebne, wie Bologna und
Padua, eigentümlich, obwohl sie z. B. auch in Pisa nicht fehlen. Dazwischen
öffnen sich weite Plätze mit stolzen mittelalterlichen öffentlichen Palästen, hie


Italienische Eindrücke

Salerno selbst am Fuße zackiger Berggipfel mit dem wundervollen Blick auf
den Golf und die Steilküste von Amalfi, das liebliche Sorrent, mitten in
Orangengürten auf senkrecht abstürzenden, gelbbraunen Kalksteinwänden hoch
über dem blauen Meere thronend, endlich der steile, graurötliche Felsberg von
Capri, rings umspült von der lichten Flut. Und nach Griechenland wähnt man
sich versetzt, wenn man die Tempel von Püstum in ihrer schlichten Größe auf
einsamer grüner Ebne erblickt zwischen dem malerischen Ringe der Gebirge und
der See. Einst waren sie umgeben von einer rührigen, ansehnlichen Stadt,
jetzt liegen sie still zwischen Feldern und Wiesen und einzelnen stattlichen Pacht¬
höfen, die das noch wohlerhaltene Viereck der gewaltigen, fünf Meter starken
Stadtmauer ausfüllen, während sich in den Sümpfen des nahen Sele plumpe
Büffel tummeln.

Doch nicht die landschaftliche Schönheit ist es in erster Linie, die den
gebildeten Nordländer nach Italien zieht; noch stärkere Anziehungskraft üben die
Denkmäler einer hohen Kultur und einer großen Geschichte von zweiundeinhalb
Jahrtausenden. Die griechische Kultur ist älter und ursprünglicher, aber zwischen
ihren noch übrigen monumentalen Resten und der Gegenwart klafft eine Lücke, in
der das Land halb oder ganz der Barbarei verfallen war und unmittelbar nicht
den geringsten Einfluß auf das Abendland geübt hat. In Italien ist die Ent¬
wicklung zwar zuweilen ins Stocken geraten, aber doch eigentlich niemals unter¬
brochen worden, und kein fremdes Land hat mit uns in so innigen, mannichfaltigen
und fortgesetzten Beziehungen gestanden wie Italien, wie andrerseits Deutsch¬
land auf keines seiner romanischen Nachbarländer so tief und nachhaltig ein¬
gewirkt hat. Der tiefe Unterschied, der noch heute zwischen der Nord- und der
Südhälfte des Landes besteht, hängt wesentlich mit der Thatsache zusammen, daß
der Süden dieser germanischen Einwirkung so gut wie verschlossen blieb
— denn die Normannen waren, als sie dort ihre Herrschaften gründeten, bereits
französirt, und die Hohenstaufen herrschten hier nur ganz vorübergehend mit
deutschen Kräften — und dafür byzantinischen, arabischen, französischen und
spanischen Einflüssen offenstand. Daher vertreten die Städte Ober- und Mittel¬
italiens in ihrer trotzigen republikanischen Selbständigkeit auch ein germanisches
Element, und ihre Baudenkmäler reden vor allem vom Mittelalter und der
Renaissance, allerdings in charakteristisch italienischen Formen und ausgestattet
mit einer überwältigenden Fülle künstlerischer Arbeit, von der man im Norden
doch kaum eine Ahnung hat. Die hohen Häuser mit flachgeneigten, ziemlich
stark vorspringenden rotbraunen Ziegeldächern und hohen Fenstern hinter grünen
Jalousien an engen, mit prachtvollen, großen Kalksteinplatten gepflasterten
Straßen sind allen diesen Städten gemeinsam, die luftigen, oft spitzbogigen
Arkaden längs der Gassen besonders denen der Potiefebne, wie Bologna und
Padua, eigentümlich, obwohl sie z. B. auch in Pisa nicht fehlen. Dazwischen
öffnen sich weite Plätze mit stolzen mittelalterlichen öffentlichen Palästen, hie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0611" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220287"/>
          <fw type="header" place="top"> Italienische Eindrücke</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2366" prev="#ID_2365"> Salerno selbst am Fuße zackiger Berggipfel mit dem wundervollen Blick auf<lb/>
den Golf und die Steilküste von Amalfi, das liebliche Sorrent, mitten in<lb/>
Orangengürten auf senkrecht abstürzenden, gelbbraunen Kalksteinwänden hoch<lb/>
über dem blauen Meere thronend, endlich der steile, graurötliche Felsberg von<lb/>
Capri, rings umspült von der lichten Flut. Und nach Griechenland wähnt man<lb/>
sich versetzt, wenn man die Tempel von Püstum in ihrer schlichten Größe auf<lb/>
einsamer grüner Ebne erblickt zwischen dem malerischen Ringe der Gebirge und<lb/>
der See. Einst waren sie umgeben von einer rührigen, ansehnlichen Stadt,<lb/>
jetzt liegen sie still zwischen Feldern und Wiesen und einzelnen stattlichen Pacht¬<lb/>
höfen, die das noch wohlerhaltene Viereck der gewaltigen, fünf Meter starken<lb/>
Stadtmauer ausfüllen, während sich in den Sümpfen des nahen Sele plumpe<lb/>
Büffel tummeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2367" next="#ID_2368"> Doch nicht die landschaftliche Schönheit ist es in erster Linie, die den<lb/>
gebildeten Nordländer nach Italien zieht; noch stärkere Anziehungskraft üben die<lb/>
Denkmäler einer hohen Kultur und einer großen Geschichte von zweiundeinhalb<lb/>
Jahrtausenden. Die griechische Kultur ist älter und ursprünglicher, aber zwischen<lb/>
ihren noch übrigen monumentalen Resten und der Gegenwart klafft eine Lücke, in<lb/>
der das Land halb oder ganz der Barbarei verfallen war und unmittelbar nicht<lb/>
den geringsten Einfluß auf das Abendland geübt hat. In Italien ist die Ent¬<lb/>
wicklung zwar zuweilen ins Stocken geraten, aber doch eigentlich niemals unter¬<lb/>
brochen worden, und kein fremdes Land hat mit uns in so innigen, mannichfaltigen<lb/>
und fortgesetzten Beziehungen gestanden wie Italien, wie andrerseits Deutsch¬<lb/>
land auf keines seiner romanischen Nachbarländer so tief und nachhaltig ein¬<lb/>
gewirkt hat. Der tiefe Unterschied, der noch heute zwischen der Nord- und der<lb/>
Südhälfte des Landes besteht, hängt wesentlich mit der Thatsache zusammen, daß<lb/>
der Süden dieser germanischen Einwirkung so gut wie verschlossen blieb<lb/>
&#x2014; denn die Normannen waren, als sie dort ihre Herrschaften gründeten, bereits<lb/>
französirt, und die Hohenstaufen herrschten hier nur ganz vorübergehend mit<lb/>
deutschen Kräften &#x2014; und dafür byzantinischen, arabischen, französischen und<lb/>
spanischen Einflüssen offenstand. Daher vertreten die Städte Ober- und Mittel¬<lb/>
italiens in ihrer trotzigen republikanischen Selbständigkeit auch ein germanisches<lb/>
Element, und ihre Baudenkmäler reden vor allem vom Mittelalter und der<lb/>
Renaissance, allerdings in charakteristisch italienischen Formen und ausgestattet<lb/>
mit einer überwältigenden Fülle künstlerischer Arbeit, von der man im Norden<lb/>
doch kaum eine Ahnung hat. Die hohen Häuser mit flachgeneigten, ziemlich<lb/>
stark vorspringenden rotbraunen Ziegeldächern und hohen Fenstern hinter grünen<lb/>
Jalousien an engen, mit prachtvollen, großen Kalksteinplatten gepflasterten<lb/>
Straßen sind allen diesen Städten gemeinsam, die luftigen, oft spitzbogigen<lb/>
Arkaden längs der Gassen besonders denen der Potiefebne, wie Bologna und<lb/>
Padua, eigentümlich, obwohl sie z. B. auch in Pisa nicht fehlen. Dazwischen<lb/>
öffnen sich weite Plätze mit stolzen mittelalterlichen öffentlichen Palästen, hie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0611] Italienische Eindrücke Salerno selbst am Fuße zackiger Berggipfel mit dem wundervollen Blick auf den Golf und die Steilküste von Amalfi, das liebliche Sorrent, mitten in Orangengürten auf senkrecht abstürzenden, gelbbraunen Kalksteinwänden hoch über dem blauen Meere thronend, endlich der steile, graurötliche Felsberg von Capri, rings umspült von der lichten Flut. Und nach Griechenland wähnt man sich versetzt, wenn man die Tempel von Püstum in ihrer schlichten Größe auf einsamer grüner Ebne erblickt zwischen dem malerischen Ringe der Gebirge und der See. Einst waren sie umgeben von einer rührigen, ansehnlichen Stadt, jetzt liegen sie still zwischen Feldern und Wiesen und einzelnen stattlichen Pacht¬ höfen, die das noch wohlerhaltene Viereck der gewaltigen, fünf Meter starken Stadtmauer ausfüllen, während sich in den Sümpfen des nahen Sele plumpe Büffel tummeln. Doch nicht die landschaftliche Schönheit ist es in erster Linie, die den gebildeten Nordländer nach Italien zieht; noch stärkere Anziehungskraft üben die Denkmäler einer hohen Kultur und einer großen Geschichte von zweiundeinhalb Jahrtausenden. Die griechische Kultur ist älter und ursprünglicher, aber zwischen ihren noch übrigen monumentalen Resten und der Gegenwart klafft eine Lücke, in der das Land halb oder ganz der Barbarei verfallen war und unmittelbar nicht den geringsten Einfluß auf das Abendland geübt hat. In Italien ist die Ent¬ wicklung zwar zuweilen ins Stocken geraten, aber doch eigentlich niemals unter¬ brochen worden, und kein fremdes Land hat mit uns in so innigen, mannichfaltigen und fortgesetzten Beziehungen gestanden wie Italien, wie andrerseits Deutsch¬ land auf keines seiner romanischen Nachbarländer so tief und nachhaltig ein¬ gewirkt hat. Der tiefe Unterschied, der noch heute zwischen der Nord- und der Südhälfte des Landes besteht, hängt wesentlich mit der Thatsache zusammen, daß der Süden dieser germanischen Einwirkung so gut wie verschlossen blieb — denn die Normannen waren, als sie dort ihre Herrschaften gründeten, bereits französirt, und die Hohenstaufen herrschten hier nur ganz vorübergehend mit deutschen Kräften — und dafür byzantinischen, arabischen, französischen und spanischen Einflüssen offenstand. Daher vertreten die Städte Ober- und Mittel¬ italiens in ihrer trotzigen republikanischen Selbständigkeit auch ein germanisches Element, und ihre Baudenkmäler reden vor allem vom Mittelalter und der Renaissance, allerdings in charakteristisch italienischen Formen und ausgestattet mit einer überwältigenden Fülle künstlerischer Arbeit, von der man im Norden doch kaum eine Ahnung hat. Die hohen Häuser mit flachgeneigten, ziemlich stark vorspringenden rotbraunen Ziegeldächern und hohen Fenstern hinter grünen Jalousien an engen, mit prachtvollen, großen Kalksteinplatten gepflasterten Straßen sind allen diesen Städten gemeinsam, die luftigen, oft spitzbogigen Arkaden längs der Gassen besonders denen der Potiefebne, wie Bologna und Padua, eigentümlich, obwohl sie z. B. auch in Pisa nicht fehlen. Dazwischen öffnen sich weite Plätze mit stolzen mittelalterlichen öffentlichen Palästen, hie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/611
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/611>, abgerufen am 22.12.2024.