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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

nach der andern Seite das Auge weithin schweift über die Schlachtfelder bis
zum weißen Turme von Custozza. Wieder ganz anders erscheint Florenz
von der aussichtsreichen Hügelstraße (Vais alvi Lotti) und dem großartigen
Piazzale Michelangelo mit seinem David in der Mitte oder dem stimmungs¬
vollen Friedhof bei San Miniato aus gesehen: gegenüber schimmert das
uralte Fiesole auf seinem Bergsattel, dessen Abhänge mit Oliven und Wein¬
pflanzungen bedeckt sind, weit und breit dehnt sich das reich bebaute Arnothal
mit Schlössern, Villen und Höfen, über allem erheben sich die schroffen, grauen
Massen der Apenninen, von deren höchsten Teilen noch im April der Schnee
in die blühende Landschaft schaut, und mitten drin in weiter Thalebne liegt die
Stadt selbst, aus deren Häusermasse hier die stolze Domkuppel Brunelleschos
neben dem schlanken Campanile Giottos, dort der trotzige Wehrturm des Palazzo
vecchio über hoher Zinnenmauer aufragt. Ju offner grüner Ebne erstreckt sich
Pisa, aber höchst malerisch in weiterer Entfernung von den geschwungnen Linien
und scharfen Zacken des Apennin umgeben, den man weit bis nach der Ri-
viera hin verfolgen kann, während von der andern Seite der silberne Spiegel
des Mittelländischen Meeres aufblitzt. Nichts charakteristischer dann als eine
Hvhenstadt wie Perugia hoch oben auf isolirten, steilansteigendem Bergrücken
über der Ebne, namentlich bei wechselnder Beleuchtung. Dann erscheint die
malerische umbrische Landschaft bald dunkelblau, bald hellblau oder violett; hier
leuchtet ein Weißes Gehöft oder eine Ortschaft plötzlich auf, dort verschwindet eine
andre im Dunkel, oder ein Regenbogen steht im Osten über den Apenninen und
dem Tiberthale, und über das westliche Hügelland hängen die grauen Schleier,
bis wieder die sinkende Sonne durch die Wolkenbank bricht und alles, Stadt und
Landschaft, mit goldnem Schimmer übergießt. Und mit diesem wechselnden
Farbenspiel verbinden sich so scharfe Linien, daß man wohl begreift, wie diese
Gegend die Heimat einer großen Malerschule hat werden können, auf deren
Bildern man diese Hintergründe überall wiederfindet. Vollends auf dem Wege
nach Rom wechselt ein prächtiges Landschaftsbild mit dem andern: Assisi, die
Stadt des heiligen Franziskus mit dem Mutterkloster seines Ordens auf
kolossalen Substruktionsmauern am Ende des Stadthügels, den noch die Rocca
maggiore (große Festung) und dahinter die graue Wand des Monte Subasio
überragen, das alte Spoleto am Fuße seiner trotzigen Herzogsburg, dann jen¬
seits der wild zerrissenen Schluchten und Felsmassen, die das Thal der Tiber
und der Nera scheiden, Temi am Eingange einer grünen Thalebne mit dem
Schneehaupte des Gran Sasso über den blauen Randbergen, am andern Ende
Narni an steiler Bergwand mit der hochgespannter Römerbrücke über der Nera,
bis endlich der zackige Sorakte, das langgestreckte Sabinergebirge und der Kegel
des Monte Cavo über dem Bergringe des Albanergebirgs auftauchen, und in der
weiten, grünen, stillen Ebne der Campagna die Peterskuppel die "ewige Stadt"
verkündet. Ich habe niemals das Urteil Goethes begriffen, Rom käme ihm, mit


Grenzboten II 189S 70
Italienische Eindrücke

nach der andern Seite das Auge weithin schweift über die Schlachtfelder bis
zum weißen Turme von Custozza. Wieder ganz anders erscheint Florenz
von der aussichtsreichen Hügelstraße (Vais alvi Lotti) und dem großartigen
Piazzale Michelangelo mit seinem David in der Mitte oder dem stimmungs¬
vollen Friedhof bei San Miniato aus gesehen: gegenüber schimmert das
uralte Fiesole auf seinem Bergsattel, dessen Abhänge mit Oliven und Wein¬
pflanzungen bedeckt sind, weit und breit dehnt sich das reich bebaute Arnothal
mit Schlössern, Villen und Höfen, über allem erheben sich die schroffen, grauen
Massen der Apenninen, von deren höchsten Teilen noch im April der Schnee
in die blühende Landschaft schaut, und mitten drin in weiter Thalebne liegt die
Stadt selbst, aus deren Häusermasse hier die stolze Domkuppel Brunelleschos
neben dem schlanken Campanile Giottos, dort der trotzige Wehrturm des Palazzo
vecchio über hoher Zinnenmauer aufragt. Ju offner grüner Ebne erstreckt sich
Pisa, aber höchst malerisch in weiterer Entfernung von den geschwungnen Linien
und scharfen Zacken des Apennin umgeben, den man weit bis nach der Ri-
viera hin verfolgen kann, während von der andern Seite der silberne Spiegel
des Mittelländischen Meeres aufblitzt. Nichts charakteristischer dann als eine
Hvhenstadt wie Perugia hoch oben auf isolirten, steilansteigendem Bergrücken
über der Ebne, namentlich bei wechselnder Beleuchtung. Dann erscheint die
malerische umbrische Landschaft bald dunkelblau, bald hellblau oder violett; hier
leuchtet ein Weißes Gehöft oder eine Ortschaft plötzlich auf, dort verschwindet eine
andre im Dunkel, oder ein Regenbogen steht im Osten über den Apenninen und
dem Tiberthale, und über das westliche Hügelland hängen die grauen Schleier,
bis wieder die sinkende Sonne durch die Wolkenbank bricht und alles, Stadt und
Landschaft, mit goldnem Schimmer übergießt. Und mit diesem wechselnden
Farbenspiel verbinden sich so scharfe Linien, daß man wohl begreift, wie diese
Gegend die Heimat einer großen Malerschule hat werden können, auf deren
Bildern man diese Hintergründe überall wiederfindet. Vollends auf dem Wege
nach Rom wechselt ein prächtiges Landschaftsbild mit dem andern: Assisi, die
Stadt des heiligen Franziskus mit dem Mutterkloster seines Ordens auf
kolossalen Substruktionsmauern am Ende des Stadthügels, den noch die Rocca
maggiore (große Festung) und dahinter die graue Wand des Monte Subasio
überragen, das alte Spoleto am Fuße seiner trotzigen Herzogsburg, dann jen¬
seits der wild zerrissenen Schluchten und Felsmassen, die das Thal der Tiber
und der Nera scheiden, Temi am Eingange einer grünen Thalebne mit dem
Schneehaupte des Gran Sasso über den blauen Randbergen, am andern Ende
Narni an steiler Bergwand mit der hochgespannter Römerbrücke über der Nera,
bis endlich der zackige Sorakte, das langgestreckte Sabinergebirge und der Kegel
des Monte Cavo über dem Bergringe des Albanergebirgs auftauchen, und in der
weiten, grünen, stillen Ebne der Campagna die Peterskuppel die „ewige Stadt"
verkündet. Ich habe niemals das Urteil Goethes begriffen, Rom käme ihm, mit


Grenzboten II 189S 70
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[0609] Italienische Eindrücke nach der andern Seite das Auge weithin schweift über die Schlachtfelder bis zum weißen Turme von Custozza. Wieder ganz anders erscheint Florenz von der aussichtsreichen Hügelstraße (Vais alvi Lotti) und dem großartigen Piazzale Michelangelo mit seinem David in der Mitte oder dem stimmungs¬ vollen Friedhof bei San Miniato aus gesehen: gegenüber schimmert das uralte Fiesole auf seinem Bergsattel, dessen Abhänge mit Oliven und Wein¬ pflanzungen bedeckt sind, weit und breit dehnt sich das reich bebaute Arnothal mit Schlössern, Villen und Höfen, über allem erheben sich die schroffen, grauen Massen der Apenninen, von deren höchsten Teilen noch im April der Schnee in die blühende Landschaft schaut, und mitten drin in weiter Thalebne liegt die Stadt selbst, aus deren Häusermasse hier die stolze Domkuppel Brunelleschos neben dem schlanken Campanile Giottos, dort der trotzige Wehrturm des Palazzo vecchio über hoher Zinnenmauer aufragt. Ju offner grüner Ebne erstreckt sich Pisa, aber höchst malerisch in weiterer Entfernung von den geschwungnen Linien und scharfen Zacken des Apennin umgeben, den man weit bis nach der Ri- viera hin verfolgen kann, während von der andern Seite der silberne Spiegel des Mittelländischen Meeres aufblitzt. Nichts charakteristischer dann als eine Hvhenstadt wie Perugia hoch oben auf isolirten, steilansteigendem Bergrücken über der Ebne, namentlich bei wechselnder Beleuchtung. Dann erscheint die malerische umbrische Landschaft bald dunkelblau, bald hellblau oder violett; hier leuchtet ein Weißes Gehöft oder eine Ortschaft plötzlich auf, dort verschwindet eine andre im Dunkel, oder ein Regenbogen steht im Osten über den Apenninen und dem Tiberthale, und über das westliche Hügelland hängen die grauen Schleier, bis wieder die sinkende Sonne durch die Wolkenbank bricht und alles, Stadt und Landschaft, mit goldnem Schimmer übergießt. Und mit diesem wechselnden Farbenspiel verbinden sich so scharfe Linien, daß man wohl begreift, wie diese Gegend die Heimat einer großen Malerschule hat werden können, auf deren Bildern man diese Hintergründe überall wiederfindet. Vollends auf dem Wege nach Rom wechselt ein prächtiges Landschaftsbild mit dem andern: Assisi, die Stadt des heiligen Franziskus mit dem Mutterkloster seines Ordens auf kolossalen Substruktionsmauern am Ende des Stadthügels, den noch die Rocca maggiore (große Festung) und dahinter die graue Wand des Monte Subasio überragen, das alte Spoleto am Fuße seiner trotzigen Herzogsburg, dann jen¬ seits der wild zerrissenen Schluchten und Felsmassen, die das Thal der Tiber und der Nera scheiden, Temi am Eingange einer grünen Thalebne mit dem Schneehaupte des Gran Sasso über den blauen Randbergen, am andern Ende Narni an steiler Bergwand mit der hochgespannter Römerbrücke über der Nera, bis endlich der zackige Sorakte, das langgestreckte Sabinergebirge und der Kegel des Monte Cavo über dem Bergringe des Albanergebirgs auftauchen, und in der weiten, grünen, stillen Ebne der Campagna die Peterskuppel die „ewige Stadt" verkündet. Ich habe niemals das Urteil Goethes begriffen, Rom käme ihm, mit Grenzboten II 189S 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/609>, abgerufen am 22.12.2024.