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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

danken steht, kann niemand entgehen, der ihre Universitätspaläste aufmerksam
durchwandert. Jeder muß vielmehr den Eindruck gewinnen, daß ihm die ge¬
bildete italienische Jugend mit Begeisterung zugethan ist. Denn überall er¬
innern Marmortafeln an die Kommilitonen, die für Italien gefallen sind. In
Bologna wird der ganze Zeitraum von 1794 bis 1867 als eine große Einheit
zusammengefaßt und den Gebliebnen nachgerühmt, sie hätten gelehrt, daß
"Wissenschaft und Freiheit verbunden sind," in Pisa und Padua sind solche
Tafeln den Opfern der Kämpfe seit 1848 gewidmet.

In der Errichtung von Universitäten ist einst Italien allen andern Ländern
Europas vorangegangen, und auch in jeder andern Beziehung war es das erste
moderne Land Europas, Florenz das Vorbild aller modernen politischen und
wirtschaftlichen Entwicklung. Bekanntlich hat es diesen Vorrang längst ein¬
gebüßt, und zumal in wirtschaftlicher Beziehung ist das jetzige Italien nicht
ohne weiteres ein modernes Land, mit Ausnahme etwa des westlichen Ober¬
italien mit Mailand, Turin, Genua, Livorno. Mailand bezeichnete mir ein
Italiener als die geistige und wirtschaftliche Hauptstadt des ganzen Landes, das
venezianische Leben dagegen als ein Traumleben (vitg, al sog'vo). In der That
tritt der Mangel an industriellen Anlagen in den meisten Teilen augenfällig
hervor. Weder Verona noch Bologna, weder Florenz noch Neapel noch vollends
Rom kann man als Industriestädte im modernen Sinne bezeichnen; die hohen
Schornsteine und "die Rauchwimpel der Zivilisation" fehlen durchweg. Es
wird auch in Deutschland viele Leute geben, die sie nicht gerade vermissen,
weil sie im heutigen Fabrikwesen nicht ohne weiteres den Gipfelpunkt der
Kultur zu erkennen vermögen. Dafür hat sich das Handwerk, namentlich das
Kunsthandwerk, begünstigt durch alte Überlieferung, vorzügliche Vorbilder,
Geschmack und Intelligenz in großer Vollkommenheit erhalten und weiter¬
gebildet, und es ist dabei merkwürdig, wie fest die einzelnen Zweige an be¬
stimmten Orten haften. Unübertroffen ist noch heute Venedig in seinen Glas¬
waren, Glasmosaiken, Bronzen und Kupferwareu, Florenz in zierlichen Stroh-
slechtereien, schönen geschnitzten Holzrahmen, feinen Juwelierarbeiten und den
prachtvollen, unverwüstlich farbenschönen Mosaiken in hartem Stein (xisti-g,
ckura), Rom ebenfalls in Glasmosaiken und Kupfergefäßen, Neapel in Korallen¬
schmuck und Schildpatt, Sorrento und Capri in feinen Jntarsiaarbeiten. All¬
gemein verbreitet ist die Nachbildung von Kunstwerken im eigentlichen Sinne,
großartig entwickelt die Photographie, die Marmorarbeit und der Bronze¬
guß. Da der ganze Betrieb notwendig handwerksmäßig, persönlich bleiben
muß, so ist der Produzent oft zugleich der Verkäufer, ohne Zwischenhandel
und ohne Konzentration. Wie viele kleine Geschäfte in Jntarsiawaren giebt
es allein in Sorrent, wo fast jedes zweite Haus eins aufzuweisen hat! Und
wer einmal die Arkaden des Markusplatzes, die Lüde" des Lungarno, des
Pontevecchio und der Via Tvrnabuoni in Florenz gemustert hat, die zugleich


Italienische Eindrücke

danken steht, kann niemand entgehen, der ihre Universitätspaläste aufmerksam
durchwandert. Jeder muß vielmehr den Eindruck gewinnen, daß ihm die ge¬
bildete italienische Jugend mit Begeisterung zugethan ist. Denn überall er¬
innern Marmortafeln an die Kommilitonen, die für Italien gefallen sind. In
Bologna wird der ganze Zeitraum von 1794 bis 1867 als eine große Einheit
zusammengefaßt und den Gebliebnen nachgerühmt, sie hätten gelehrt, daß
„Wissenschaft und Freiheit verbunden sind," in Pisa und Padua sind solche
Tafeln den Opfern der Kämpfe seit 1848 gewidmet.

In der Errichtung von Universitäten ist einst Italien allen andern Ländern
Europas vorangegangen, und auch in jeder andern Beziehung war es das erste
moderne Land Europas, Florenz das Vorbild aller modernen politischen und
wirtschaftlichen Entwicklung. Bekanntlich hat es diesen Vorrang längst ein¬
gebüßt, und zumal in wirtschaftlicher Beziehung ist das jetzige Italien nicht
ohne weiteres ein modernes Land, mit Ausnahme etwa des westlichen Ober¬
italien mit Mailand, Turin, Genua, Livorno. Mailand bezeichnete mir ein
Italiener als die geistige und wirtschaftliche Hauptstadt des ganzen Landes, das
venezianische Leben dagegen als ein Traumleben (vitg, al sog'vo). In der That
tritt der Mangel an industriellen Anlagen in den meisten Teilen augenfällig
hervor. Weder Verona noch Bologna, weder Florenz noch Neapel noch vollends
Rom kann man als Industriestädte im modernen Sinne bezeichnen; die hohen
Schornsteine und „die Rauchwimpel der Zivilisation" fehlen durchweg. Es
wird auch in Deutschland viele Leute geben, die sie nicht gerade vermissen,
weil sie im heutigen Fabrikwesen nicht ohne weiteres den Gipfelpunkt der
Kultur zu erkennen vermögen. Dafür hat sich das Handwerk, namentlich das
Kunsthandwerk, begünstigt durch alte Überlieferung, vorzügliche Vorbilder,
Geschmack und Intelligenz in großer Vollkommenheit erhalten und weiter¬
gebildet, und es ist dabei merkwürdig, wie fest die einzelnen Zweige an be¬
stimmten Orten haften. Unübertroffen ist noch heute Venedig in seinen Glas¬
waren, Glasmosaiken, Bronzen und Kupferwareu, Florenz in zierlichen Stroh-
slechtereien, schönen geschnitzten Holzrahmen, feinen Juwelierarbeiten und den
prachtvollen, unverwüstlich farbenschönen Mosaiken in hartem Stein (xisti-g,
ckura), Rom ebenfalls in Glasmosaiken und Kupfergefäßen, Neapel in Korallen¬
schmuck und Schildpatt, Sorrento und Capri in feinen Jntarsiaarbeiten. All¬
gemein verbreitet ist die Nachbildung von Kunstwerken im eigentlichen Sinne,
großartig entwickelt die Photographie, die Marmorarbeit und der Bronze¬
guß. Da der ganze Betrieb notwendig handwerksmäßig, persönlich bleiben
muß, so ist der Produzent oft zugleich der Verkäufer, ohne Zwischenhandel
und ohne Konzentration. Wie viele kleine Geschäfte in Jntarsiawaren giebt
es allein in Sorrent, wo fast jedes zweite Haus eins aufzuweisen hat! Und
wer einmal die Arkaden des Markusplatzes, die Lüde» des Lungarno, des
Pontevecchio und der Via Tvrnabuoni in Florenz gemustert hat, die zugleich


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[0603] Italienische Eindrücke danken steht, kann niemand entgehen, der ihre Universitätspaläste aufmerksam durchwandert. Jeder muß vielmehr den Eindruck gewinnen, daß ihm die ge¬ bildete italienische Jugend mit Begeisterung zugethan ist. Denn überall er¬ innern Marmortafeln an die Kommilitonen, die für Italien gefallen sind. In Bologna wird der ganze Zeitraum von 1794 bis 1867 als eine große Einheit zusammengefaßt und den Gebliebnen nachgerühmt, sie hätten gelehrt, daß „Wissenschaft und Freiheit verbunden sind," in Pisa und Padua sind solche Tafeln den Opfern der Kämpfe seit 1848 gewidmet. In der Errichtung von Universitäten ist einst Italien allen andern Ländern Europas vorangegangen, und auch in jeder andern Beziehung war es das erste moderne Land Europas, Florenz das Vorbild aller modernen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Bekanntlich hat es diesen Vorrang längst ein¬ gebüßt, und zumal in wirtschaftlicher Beziehung ist das jetzige Italien nicht ohne weiteres ein modernes Land, mit Ausnahme etwa des westlichen Ober¬ italien mit Mailand, Turin, Genua, Livorno. Mailand bezeichnete mir ein Italiener als die geistige und wirtschaftliche Hauptstadt des ganzen Landes, das venezianische Leben dagegen als ein Traumleben (vitg, al sog'vo). In der That tritt der Mangel an industriellen Anlagen in den meisten Teilen augenfällig hervor. Weder Verona noch Bologna, weder Florenz noch Neapel noch vollends Rom kann man als Industriestädte im modernen Sinne bezeichnen; die hohen Schornsteine und „die Rauchwimpel der Zivilisation" fehlen durchweg. Es wird auch in Deutschland viele Leute geben, die sie nicht gerade vermissen, weil sie im heutigen Fabrikwesen nicht ohne weiteres den Gipfelpunkt der Kultur zu erkennen vermögen. Dafür hat sich das Handwerk, namentlich das Kunsthandwerk, begünstigt durch alte Überlieferung, vorzügliche Vorbilder, Geschmack und Intelligenz in großer Vollkommenheit erhalten und weiter¬ gebildet, und es ist dabei merkwürdig, wie fest die einzelnen Zweige an be¬ stimmten Orten haften. Unübertroffen ist noch heute Venedig in seinen Glas¬ waren, Glasmosaiken, Bronzen und Kupferwareu, Florenz in zierlichen Stroh- slechtereien, schönen geschnitzten Holzrahmen, feinen Juwelierarbeiten und den prachtvollen, unverwüstlich farbenschönen Mosaiken in hartem Stein (xisti-g, ckura), Rom ebenfalls in Glasmosaiken und Kupfergefäßen, Neapel in Korallen¬ schmuck und Schildpatt, Sorrento und Capri in feinen Jntarsiaarbeiten. All¬ gemein verbreitet ist die Nachbildung von Kunstwerken im eigentlichen Sinne, großartig entwickelt die Photographie, die Marmorarbeit und der Bronze¬ guß. Da der ganze Betrieb notwendig handwerksmäßig, persönlich bleiben muß, so ist der Produzent oft zugleich der Verkäufer, ohne Zwischenhandel und ohne Konzentration. Wie viele kleine Geschäfte in Jntarsiawaren giebt es allein in Sorrent, wo fast jedes zweite Haus eins aufzuweisen hat! Und wer einmal die Arkaden des Markusplatzes, die Lüde» des Lungarno, des Pontevecchio und der Via Tvrnabuoni in Florenz gemustert hat, die zugleich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/603>, abgerufen am 22.12.2024.