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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Arzt, hilf dir selber!

Vom Staate erwarten wir wenig oder nichts. Ja, wenn es sich um eine
Reform auf tierärztlichem Gebiete handelte! Da wäre vielleicht neben bessern:
Verständnis und thatkräftigen Willen auch eine Öffnung in der Börse des
Fiiicmzministers zu finden. Aber wer die seit Jahrzehnten sich alljährlich im
Abgeordnetenhaus? wiederholenden tiefsinnigen Erörterungen zwischen den An¬
hängern der Medizinalreform und dem jeweiligen Kultusminister und seinen
Räten verfolgt hat, wer die wehmütige Klage des Herrn v. Bosse versteht,
daß er die Reform nicht allein macheu könne, sondern seinen Entwurf,
der vielleicht nur noch einer einzigen Sitzung zur Vollendung bedürfe, an
den Minister des Innern und an den Finanzminister senden müsse, um deren
Einwilligung zu erlangen, wer allein die Geschichte der Reformbestrebungen
in der Stellung der Kreisphysiker kennt, und weiß, daß diese Reform, die für
die Neuregelung des öffentlichen Gesundheitswesens ganz unentbehrlich ist,
stets an der Weigerung des Finanzministers gescheitert ist, ein paar Millionen
zur Verfügung zu stellen, kurz, wer sich ausschließlich an die offenkundiger
Thatsachen hält, der wird zwar die Behauptung des Kultusministers, daß
die Medizinalangelegenheiten im Kultusministerium mit warmem Herzen be¬
arbeitet würden, daß ein frischer Zug der Arbeit, des Wohlwollens und der
Förderung der Interessen der Medizinalverwaltung in seiner Abteilung vor¬
handen sei, nicht mit ungläubigem Lächeln ausnehmen, aber er wird seinen
Glauben an die tores in^eurs, die diese Bestrebungen niederhält, nicht eher
aufgeben, als bis die lendenlahme That dem flüchtigen Wort gefolgt ist.

Doch um nicht ungerecht zu sein, eine That ist dem Schoße des Mi¬
nisteriums entsprungen: er gebar einen neuen Entwurf einer Regelung der
ärztlichen Honorare, der dem Ausschuß der preußischen Ärztekammern zur Be¬
gutachtung vorgelegt worden ist. Der Entwurf soll die Taxe aus dem Jahre
1815 ersetzen, aus der der Richter in streitigen Füllen auch heute noch die
Lohnansprüche der Ärzte festsetzen muß. In der That, ein zeitgemäßes Unter¬
nehmen! Schon allein die Ausmerzung dieser vorsündflutlichen Lohnbemessung
für einen Stand, für den es weder Sonntags- noch Nachtruhe giebt, und dessen
Händen das höchste aller irdischen Güter, Leben und Gesundheit, anvertraut ist,
aus der Gesetzgebung verdient Anerkennung. Nur schade, daß die Ärzte seit
dem Jahre 1869 der Gewerbeordnung unterworfen sind, die in ihrem § 80
bestimmt, daß die Bezahlung der approbirten Ärzte der Vereinbarung dieser
mit ihren Patienten überlassen bleibt. Der Arzt also, der sich seiner gesetz¬
lichen Stellung im Reiche bewußt ist, bedarf dieser Taxe nicht; er kann sich
seine Ansprüche an den Geldbeutel seiner Arbeitgeber im voraus rechtlich sichern;
passen ihm die Lohnsätze nicht, so kann er streiken; unterläßt er dagegen als
schlechter Geschäftsmann die Preisbestimmung, so hat er sich den Schaden,
den er dadurch erleidet, daß der Richter in streitigen Fällen entweder nach
der Taxe oder nach dem Gutachten von Sachverständigen seine Rechnung fest-


Arzt, hilf dir selber!

Vom Staate erwarten wir wenig oder nichts. Ja, wenn es sich um eine
Reform auf tierärztlichem Gebiete handelte! Da wäre vielleicht neben bessern:
Verständnis und thatkräftigen Willen auch eine Öffnung in der Börse des
Fiiicmzministers zu finden. Aber wer die seit Jahrzehnten sich alljährlich im
Abgeordnetenhaus? wiederholenden tiefsinnigen Erörterungen zwischen den An¬
hängern der Medizinalreform und dem jeweiligen Kultusminister und seinen
Räten verfolgt hat, wer die wehmütige Klage des Herrn v. Bosse versteht,
daß er die Reform nicht allein macheu könne, sondern seinen Entwurf,
der vielleicht nur noch einer einzigen Sitzung zur Vollendung bedürfe, an
den Minister des Innern und an den Finanzminister senden müsse, um deren
Einwilligung zu erlangen, wer allein die Geschichte der Reformbestrebungen
in der Stellung der Kreisphysiker kennt, und weiß, daß diese Reform, die für
die Neuregelung des öffentlichen Gesundheitswesens ganz unentbehrlich ist,
stets an der Weigerung des Finanzministers gescheitert ist, ein paar Millionen
zur Verfügung zu stellen, kurz, wer sich ausschließlich an die offenkundiger
Thatsachen hält, der wird zwar die Behauptung des Kultusministers, daß
die Medizinalangelegenheiten im Kultusministerium mit warmem Herzen be¬
arbeitet würden, daß ein frischer Zug der Arbeit, des Wohlwollens und der
Förderung der Interessen der Medizinalverwaltung in seiner Abteilung vor¬
handen sei, nicht mit ungläubigem Lächeln ausnehmen, aber er wird seinen
Glauben an die tores in^eurs, die diese Bestrebungen niederhält, nicht eher
aufgeben, als bis die lendenlahme That dem flüchtigen Wort gefolgt ist.

Doch um nicht ungerecht zu sein, eine That ist dem Schoße des Mi¬
nisteriums entsprungen: er gebar einen neuen Entwurf einer Regelung der
ärztlichen Honorare, der dem Ausschuß der preußischen Ärztekammern zur Be¬
gutachtung vorgelegt worden ist. Der Entwurf soll die Taxe aus dem Jahre
1815 ersetzen, aus der der Richter in streitigen Füllen auch heute noch die
Lohnansprüche der Ärzte festsetzen muß. In der That, ein zeitgemäßes Unter¬
nehmen! Schon allein die Ausmerzung dieser vorsündflutlichen Lohnbemessung
für einen Stand, für den es weder Sonntags- noch Nachtruhe giebt, und dessen
Händen das höchste aller irdischen Güter, Leben und Gesundheit, anvertraut ist,
aus der Gesetzgebung verdient Anerkennung. Nur schade, daß die Ärzte seit
dem Jahre 1869 der Gewerbeordnung unterworfen sind, die in ihrem § 80
bestimmt, daß die Bezahlung der approbirten Ärzte der Vereinbarung dieser
mit ihren Patienten überlassen bleibt. Der Arzt also, der sich seiner gesetz¬
lichen Stellung im Reiche bewußt ist, bedarf dieser Taxe nicht; er kann sich
seine Ansprüche an den Geldbeutel seiner Arbeitgeber im voraus rechtlich sichern;
passen ihm die Lohnsätze nicht, so kann er streiken; unterläßt er dagegen als
schlechter Geschäftsmann die Preisbestimmung, so hat er sich den Schaden,
den er dadurch erleidet, daß der Richter in streitigen Fällen entweder nach
der Taxe oder nach dem Gutachten von Sachverständigen seine Rechnung fest-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/598>, abgerufen am 24.08.2024.