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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Lindrücke

meinderats mit den Namen, alles in Zinkdruck. Dasselbe Blatt begleitete den
Bericht über die Tassofeier in Rom mit einem großen Bilde des Klosters San
Onofrio in dem Augenblicke, wo die Majestäten die Treppe emporsteigen, und
die Tribuns,, jetzt Crispis Organ, brachte zu demselben Zwecke eine illustrirte
Nummer mit bunten Bildern Tassos, seiner Zelle und der Tassoeiche auf dem
Janiculus. Karten- und Planskizzen sind etwas ganz gewöhnliches. Unter dem
Strich kommt bei vielen Zeitungen der unvermeidliche Roman. Dagegen
scheinen die Geschäftsanzeigen eine sehr geringe Rolle zu spielen; die Blätter
erscheinen deshalb meist nur in der Stärke eines Bogens.

Was der italienischen Einheit das unterscheidende Gepräge giebt, das ist
im Vergleich mit der französischen das weit geringere Maß von Zentralisation,
im Verhältnis zur deutschen die städtisch-republikanische Vergangenheit des
Landes, aus der sich wieder das erstere erklärt. Mittel- und Oberitalien sind,
Piemont und den eigentlichen Kirchenstaat abgerechnet, seit acht Jahrhunderten
Vereinigungen von republikanisch oder später monarchisch regierten Stadt¬
gemeinden gewesen; nur die kleinere südliche Hälfte war etwa seit derselben
Zeit ein monarchischer Einheitsstaat unter fremden Dynastien. Aus dieser Ge¬
staltung konnte nur ein monarchischer Nationalstaat hervorgehen, denn eine
republikanisch-städtische Bundesverfassung hätte niemals die ganze Halbinsel
umfassen können. Aber da alle die großen Erinnerungen der italienischen Ver¬
gangenheit städtisch und republikanisch, nicht landschaftlich und monarchisch sind wie
in Deutschland, so folgt daraus weiter, daß die Gemeinden ein hohes Maß
von Selbstbewußtsein und Selbstverwaltung behaupteten, und daß die neue
Einteilung des Landes in sogenannte Provinzen nicht die Landschaften, sondern
die alten Stadtgebiete zu Grunde legen mußte, wie es geschehen und mit Un¬
recht getadelt worden ist. In der That hat der zähe Stolz, mit der die Städte
des Nordens und der Mitte die Erinnerung an ihre Vergangenheit und damit
den Lokalpatriotismus festhalten, etwas Imposantes. Die alten burgartigen,
oft zinnengekrönten Rathäuser in Padua, Verona, Bologna, Florenz, Pisa,
Pistoja, Perugia sind noch heute der Sitz der Stadtverwaltung, des Nuni-
oixio; der Stadtrat von Rom nennt sich stolz noch Senat, haust oben auf
dem Kapitol in den herrlichen Palästen Michelangelos, setzt das uralte 3.
über jede Bekanntmachung und unterhält noch heute am Kapitol ein Wolfspaar
zur Erinnerung an die Wölfin des Romulus und Nemus. Ebenso prangt in
Venedig der einst meerbeherrschende geflügelte Löwe von San Marco überall
als städtisches Wappenbild; Florenz hält fest an seinem graziösen AiMo rosso,
der roten Lilie im weißen Felde, dem alten guelfischeu Zeichen, wie Bologna
an seinein roten Kreuz ans weißem Schilde. Jede Stadt hält auch ihre Ge¬
schichte und ihre bedeutenden Männer in gutem Andenken. Alljährlich begeht
Rom sein Stiftungsfest im April; da wehen die Flaggen in den italienischen
und römischen Farben (Purpur und gold) von den Palästen um den Kapitols-


Grenzbvten II I89K 72
Italienische Lindrücke

meinderats mit den Namen, alles in Zinkdruck. Dasselbe Blatt begleitete den
Bericht über die Tassofeier in Rom mit einem großen Bilde des Klosters San
Onofrio in dem Augenblicke, wo die Majestäten die Treppe emporsteigen, und
die Tribuns,, jetzt Crispis Organ, brachte zu demselben Zwecke eine illustrirte
Nummer mit bunten Bildern Tassos, seiner Zelle und der Tassoeiche auf dem
Janiculus. Karten- und Planskizzen sind etwas ganz gewöhnliches. Unter dem
Strich kommt bei vielen Zeitungen der unvermeidliche Roman. Dagegen
scheinen die Geschäftsanzeigen eine sehr geringe Rolle zu spielen; die Blätter
erscheinen deshalb meist nur in der Stärke eines Bogens.

Was der italienischen Einheit das unterscheidende Gepräge giebt, das ist
im Vergleich mit der französischen das weit geringere Maß von Zentralisation,
im Verhältnis zur deutschen die städtisch-republikanische Vergangenheit des
Landes, aus der sich wieder das erstere erklärt. Mittel- und Oberitalien sind,
Piemont und den eigentlichen Kirchenstaat abgerechnet, seit acht Jahrhunderten
Vereinigungen von republikanisch oder später monarchisch regierten Stadt¬
gemeinden gewesen; nur die kleinere südliche Hälfte war etwa seit derselben
Zeit ein monarchischer Einheitsstaat unter fremden Dynastien. Aus dieser Ge¬
staltung konnte nur ein monarchischer Nationalstaat hervorgehen, denn eine
republikanisch-städtische Bundesverfassung hätte niemals die ganze Halbinsel
umfassen können. Aber da alle die großen Erinnerungen der italienischen Ver¬
gangenheit städtisch und republikanisch, nicht landschaftlich und monarchisch sind wie
in Deutschland, so folgt daraus weiter, daß die Gemeinden ein hohes Maß
von Selbstbewußtsein und Selbstverwaltung behaupteten, und daß die neue
Einteilung des Landes in sogenannte Provinzen nicht die Landschaften, sondern
die alten Stadtgebiete zu Grunde legen mußte, wie es geschehen und mit Un¬
recht getadelt worden ist. In der That hat der zähe Stolz, mit der die Städte
des Nordens und der Mitte die Erinnerung an ihre Vergangenheit und damit
den Lokalpatriotismus festhalten, etwas Imposantes. Die alten burgartigen,
oft zinnengekrönten Rathäuser in Padua, Verona, Bologna, Florenz, Pisa,
Pistoja, Perugia sind noch heute der Sitz der Stadtverwaltung, des Nuni-
oixio; der Stadtrat von Rom nennt sich stolz noch Senat, haust oben auf
dem Kapitol in den herrlichen Palästen Michelangelos, setzt das uralte 3.
über jede Bekanntmachung und unterhält noch heute am Kapitol ein Wolfspaar
zur Erinnerung an die Wölfin des Romulus und Nemus. Ebenso prangt in
Venedig der einst meerbeherrschende geflügelte Löwe von San Marco überall
als städtisches Wappenbild; Florenz hält fest an seinem graziösen AiMo rosso,
der roten Lilie im weißen Felde, dem alten guelfischeu Zeichen, wie Bologna
an seinein roten Kreuz ans weißem Schilde. Jede Stadt hält auch ihre Ge¬
schichte und ihre bedeutenden Männer in gutem Andenken. Alljährlich begeht
Rom sein Stiftungsfest im April; da wehen die Flaggen in den italienischen
und römischen Farben (Purpur und gold) von den Palästen um den Kapitols-


Grenzbvten II I89K 72
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[0577] Italienische Lindrücke meinderats mit den Namen, alles in Zinkdruck. Dasselbe Blatt begleitete den Bericht über die Tassofeier in Rom mit einem großen Bilde des Klosters San Onofrio in dem Augenblicke, wo die Majestäten die Treppe emporsteigen, und die Tribuns,, jetzt Crispis Organ, brachte zu demselben Zwecke eine illustrirte Nummer mit bunten Bildern Tassos, seiner Zelle und der Tassoeiche auf dem Janiculus. Karten- und Planskizzen sind etwas ganz gewöhnliches. Unter dem Strich kommt bei vielen Zeitungen der unvermeidliche Roman. Dagegen scheinen die Geschäftsanzeigen eine sehr geringe Rolle zu spielen; die Blätter erscheinen deshalb meist nur in der Stärke eines Bogens. Was der italienischen Einheit das unterscheidende Gepräge giebt, das ist im Vergleich mit der französischen das weit geringere Maß von Zentralisation, im Verhältnis zur deutschen die städtisch-republikanische Vergangenheit des Landes, aus der sich wieder das erstere erklärt. Mittel- und Oberitalien sind, Piemont und den eigentlichen Kirchenstaat abgerechnet, seit acht Jahrhunderten Vereinigungen von republikanisch oder später monarchisch regierten Stadt¬ gemeinden gewesen; nur die kleinere südliche Hälfte war etwa seit derselben Zeit ein monarchischer Einheitsstaat unter fremden Dynastien. Aus dieser Ge¬ staltung konnte nur ein monarchischer Nationalstaat hervorgehen, denn eine republikanisch-städtische Bundesverfassung hätte niemals die ganze Halbinsel umfassen können. Aber da alle die großen Erinnerungen der italienischen Ver¬ gangenheit städtisch und republikanisch, nicht landschaftlich und monarchisch sind wie in Deutschland, so folgt daraus weiter, daß die Gemeinden ein hohes Maß von Selbstbewußtsein und Selbstverwaltung behaupteten, und daß die neue Einteilung des Landes in sogenannte Provinzen nicht die Landschaften, sondern die alten Stadtgebiete zu Grunde legen mußte, wie es geschehen und mit Un¬ recht getadelt worden ist. In der That hat der zähe Stolz, mit der die Städte des Nordens und der Mitte die Erinnerung an ihre Vergangenheit und damit den Lokalpatriotismus festhalten, etwas Imposantes. Die alten burgartigen, oft zinnengekrönten Rathäuser in Padua, Verona, Bologna, Florenz, Pisa, Pistoja, Perugia sind noch heute der Sitz der Stadtverwaltung, des Nuni- oixio; der Stadtrat von Rom nennt sich stolz noch Senat, haust oben auf dem Kapitol in den herrlichen Palästen Michelangelos, setzt das uralte 3. über jede Bekanntmachung und unterhält noch heute am Kapitol ein Wolfspaar zur Erinnerung an die Wölfin des Romulus und Nemus. Ebenso prangt in Venedig der einst meerbeherrschende geflügelte Löwe von San Marco überall als städtisches Wappenbild; Florenz hält fest an seinem graziösen AiMo rosso, der roten Lilie im weißen Felde, dem alten guelfischeu Zeichen, wie Bologna an seinein roten Kreuz ans weißem Schilde. Jede Stadt hält auch ihre Ge¬ schichte und ihre bedeutenden Männer in gutem Andenken. Alljährlich begeht Rom sein Stiftungsfest im April; da wehen die Flaggen in den italienischen und römischen Farben (Purpur und gold) von den Palästen um den Kapitols- Grenzbvten II I89K 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/577>, abgerufen am 24.08.2024.