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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Lindrücke

die italienischen Einheits- und Freiheitskriege an Großartigkeit mit den unsrigen
gar nicht vergleichen lassen und auch nur mit fremder Hilfe möglich waren.
Und doch wäre es unbillig, zu verkennen, daß auf der einen Seite die Lage
der Italiener sehr viel schwieriger war als die unsre, weil sie die Fremdherr¬
schaft im Lande und keine einheimische Großmacht hatten, und daß auf der
andern, was uns keineswegs zum Ruhme gereicht, der unmittelbare Anteil des
Volks an der Erringung seiner Einheit weit größer war als in Deutschland.
Dem halben Deutschland mußten die Vorbedingungen der Einheit durch das
siegreiche Preußen aufgezwungen werden, und es lebte sich erst allmählich in
sie hinein; die Italiener haben sie durch die Wucht des Volkswilleus durch¬
gesetzt, der Diplomatie zum Trotz. Diese Erinnerungen sind daher für sie
eine Quelle moralischer Kraft in weit höherm Maße, als die Größe der Er¬
eignisse an sich vielleicht rechtfertigt. Daraus hat sich nun freilich auch die
Thatsache ergeben, daß die nationale Monarchie des Hauses Savoyen auch
auf dem Volkswillen, nicht nur aus Erbschaft und Tradition beruht, daß sie
also parlamentarisch geworden ist und vermutlich auf absehbare Zeit auch
bleiben wird, trotz aller Gebrechen, die dieser Regierungsform anhaften, daß
sie demnach auch nicht entfernt die Stärke der deutscheu besitzt. Es ist daher
schon eine sehr bedeutende Leistung, daß es König Viktor Emanuel, obgleich
er als Persönlichkeit mit Kaiser Wilhelm I. gewiß keinen Vergleich aushült,
doch verstanden hat, weil er als treuer Sohn seines Landes feine Krone für
die Befreiung und Einigung Italiens einsetzte und ein tapfrer Degen war,
überall selbst populär zu werden und die Monarchie populär zu machen. Auch
seinem Nachfolger wird nachgerühmt, daß er seine schwierige Stellung mit Klug¬
heit und Takt vortrefflich zu behaupten wisse.

Eine der festesten Klammern, die Italien zusammenhält, ist seine nationale
Wehrkraft. Ohne mir ein fachmännisches Urteil erlauben zu wollen, muß ich
doch sagen, daß das, was ich davon gesehen habe, einen vorzüglichen Eindruck
machte. Die meist mittelgroßen, schlanken, klug aussehenden Leute sind ge¬
schmackvoll, kleidsam und Wohl auch zweckmäßig ausgerüstet und tragen
sich stets sehr sauber. Sehr eigentümlich nehmen sich die Bersaglieri in
ihren großen Federhüten und den roten fezartigen Feldmützen aus; wenn sie
marschieren, geschieht es beinahe im Laufschritt. Die Offiziere sind reich, ja
glänzend uniformirt und in ihrem Auftreten durchaus Gentlemen. Das Ver¬
hältnis zu den Leuten scheint, wenigstens außer Dienst, etwas zwangloser als
bei uns zu sein, auch die Haltung im Dienst weniger stramm. "Das Heer
ist ausgezeichnet, das Beste, was Italien hat," sagte mir ein Deutscher, der seit
laugen Jahren in Italien lebt. Ans die Kriegsflotte legen die Italiener, wie
begreiflich, ein ganz besondres Gewicht, und sie sind stolz darauf. Ich habe
davon nur zwei Schiffe im Kriegshafen von Neapel gesehen, aber die größten
und neuesten Panzer der gesamten Marine, "Sardegna" und "Re Umberto,"


Italienische Lindrücke

die italienischen Einheits- und Freiheitskriege an Großartigkeit mit den unsrigen
gar nicht vergleichen lassen und auch nur mit fremder Hilfe möglich waren.
Und doch wäre es unbillig, zu verkennen, daß auf der einen Seite die Lage
der Italiener sehr viel schwieriger war als die unsre, weil sie die Fremdherr¬
schaft im Lande und keine einheimische Großmacht hatten, und daß auf der
andern, was uns keineswegs zum Ruhme gereicht, der unmittelbare Anteil des
Volks an der Erringung seiner Einheit weit größer war als in Deutschland.
Dem halben Deutschland mußten die Vorbedingungen der Einheit durch das
siegreiche Preußen aufgezwungen werden, und es lebte sich erst allmählich in
sie hinein; die Italiener haben sie durch die Wucht des Volkswilleus durch¬
gesetzt, der Diplomatie zum Trotz. Diese Erinnerungen sind daher für sie
eine Quelle moralischer Kraft in weit höherm Maße, als die Größe der Er¬
eignisse an sich vielleicht rechtfertigt. Daraus hat sich nun freilich auch die
Thatsache ergeben, daß die nationale Monarchie des Hauses Savoyen auch
auf dem Volkswillen, nicht nur aus Erbschaft und Tradition beruht, daß sie
also parlamentarisch geworden ist und vermutlich auf absehbare Zeit auch
bleiben wird, trotz aller Gebrechen, die dieser Regierungsform anhaften, daß
sie demnach auch nicht entfernt die Stärke der deutscheu besitzt. Es ist daher
schon eine sehr bedeutende Leistung, daß es König Viktor Emanuel, obgleich
er als Persönlichkeit mit Kaiser Wilhelm I. gewiß keinen Vergleich aushült,
doch verstanden hat, weil er als treuer Sohn seines Landes feine Krone für
die Befreiung und Einigung Italiens einsetzte und ein tapfrer Degen war,
überall selbst populär zu werden und die Monarchie populär zu machen. Auch
seinem Nachfolger wird nachgerühmt, daß er seine schwierige Stellung mit Klug¬
heit und Takt vortrefflich zu behaupten wisse.

Eine der festesten Klammern, die Italien zusammenhält, ist seine nationale
Wehrkraft. Ohne mir ein fachmännisches Urteil erlauben zu wollen, muß ich
doch sagen, daß das, was ich davon gesehen habe, einen vorzüglichen Eindruck
machte. Die meist mittelgroßen, schlanken, klug aussehenden Leute sind ge¬
schmackvoll, kleidsam und Wohl auch zweckmäßig ausgerüstet und tragen
sich stets sehr sauber. Sehr eigentümlich nehmen sich die Bersaglieri in
ihren großen Federhüten und den roten fezartigen Feldmützen aus; wenn sie
marschieren, geschieht es beinahe im Laufschritt. Die Offiziere sind reich, ja
glänzend uniformirt und in ihrem Auftreten durchaus Gentlemen. Das Ver¬
hältnis zu den Leuten scheint, wenigstens außer Dienst, etwas zwangloser als
bei uns zu sein, auch die Haltung im Dienst weniger stramm. „Das Heer
ist ausgezeichnet, das Beste, was Italien hat," sagte mir ein Deutscher, der seit
laugen Jahren in Italien lebt. Ans die Kriegsflotte legen die Italiener, wie
begreiflich, ein ganz besondres Gewicht, und sie sind stolz darauf. Ich habe
davon nur zwei Schiffe im Kriegshafen von Neapel gesehen, aber die größten
und neuesten Panzer der gesamten Marine, „Sardegna" und „Re Umberto,"


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[0574] Italienische Lindrücke die italienischen Einheits- und Freiheitskriege an Großartigkeit mit den unsrigen gar nicht vergleichen lassen und auch nur mit fremder Hilfe möglich waren. Und doch wäre es unbillig, zu verkennen, daß auf der einen Seite die Lage der Italiener sehr viel schwieriger war als die unsre, weil sie die Fremdherr¬ schaft im Lande und keine einheimische Großmacht hatten, und daß auf der andern, was uns keineswegs zum Ruhme gereicht, der unmittelbare Anteil des Volks an der Erringung seiner Einheit weit größer war als in Deutschland. Dem halben Deutschland mußten die Vorbedingungen der Einheit durch das siegreiche Preußen aufgezwungen werden, und es lebte sich erst allmählich in sie hinein; die Italiener haben sie durch die Wucht des Volkswilleus durch¬ gesetzt, der Diplomatie zum Trotz. Diese Erinnerungen sind daher für sie eine Quelle moralischer Kraft in weit höherm Maße, als die Größe der Er¬ eignisse an sich vielleicht rechtfertigt. Daraus hat sich nun freilich auch die Thatsache ergeben, daß die nationale Monarchie des Hauses Savoyen auch auf dem Volkswillen, nicht nur aus Erbschaft und Tradition beruht, daß sie also parlamentarisch geworden ist und vermutlich auf absehbare Zeit auch bleiben wird, trotz aller Gebrechen, die dieser Regierungsform anhaften, daß sie demnach auch nicht entfernt die Stärke der deutscheu besitzt. Es ist daher schon eine sehr bedeutende Leistung, daß es König Viktor Emanuel, obgleich er als Persönlichkeit mit Kaiser Wilhelm I. gewiß keinen Vergleich aushült, doch verstanden hat, weil er als treuer Sohn seines Landes feine Krone für die Befreiung und Einigung Italiens einsetzte und ein tapfrer Degen war, überall selbst populär zu werden und die Monarchie populär zu machen. Auch seinem Nachfolger wird nachgerühmt, daß er seine schwierige Stellung mit Klug¬ heit und Takt vortrefflich zu behaupten wisse. Eine der festesten Klammern, die Italien zusammenhält, ist seine nationale Wehrkraft. Ohne mir ein fachmännisches Urteil erlauben zu wollen, muß ich doch sagen, daß das, was ich davon gesehen habe, einen vorzüglichen Eindruck machte. Die meist mittelgroßen, schlanken, klug aussehenden Leute sind ge¬ schmackvoll, kleidsam und Wohl auch zweckmäßig ausgerüstet und tragen sich stets sehr sauber. Sehr eigentümlich nehmen sich die Bersaglieri in ihren großen Federhüten und den roten fezartigen Feldmützen aus; wenn sie marschieren, geschieht es beinahe im Laufschritt. Die Offiziere sind reich, ja glänzend uniformirt und in ihrem Auftreten durchaus Gentlemen. Das Ver¬ hältnis zu den Leuten scheint, wenigstens außer Dienst, etwas zwangloser als bei uns zu sein, auch die Haltung im Dienst weniger stramm. „Das Heer ist ausgezeichnet, das Beste, was Italien hat," sagte mir ein Deutscher, der seit laugen Jahren in Italien lebt. Ans die Kriegsflotte legen die Italiener, wie begreiflich, ein ganz besondres Gewicht, und sie sind stolz darauf. Ich habe davon nur zwei Schiffe im Kriegshafen von Neapel gesehen, aber die größten und neuesten Panzer der gesamten Marine, „Sardegna" und „Re Umberto,"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/574>, abgerufen am 22.12.2024.