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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Italienische Eindrücke

ständig, unwiederbringlich. Es ist möglich, daß nicht überall der Weg zu dem
erreichten Ziele gebilligt wird, aber das Ziel selbst will deshalb niemand auf¬
geben. Ein Florentiner sagte mir, die Italiener hätten vielleicht besser gethan,
dem deutschen Beispiele zu folgen und statt eines Einheitsstaats einen Bundes¬
staat zu gründen. Der Einheitsstaat erschwere nur die Verschmelzung, na¬
mentlich zwischen dem Norden und dem Süden, denn die Neapolitaner seien
eine ganz andre Rasse, dort sei man schon halb in Afrika. Auch Schwieger¬
mutter und Schwiegertochter vertrügen sich gewöhnlich besser, wenn sie nicht
in demselben Hause wohnten. Trotz dieses hübschen Vergleichs wandte ich
ihm ein, die Lage beider Völker sei doch ganz verschieden gewesen; in
Italien hätten, mit einer einzigen Ausnahme, fremde Dynastien geherrscht, ein
großer Teil des Landes habe ganz unter fremder Herrschaft gestanden; min¬
destens für Oberitalien wäre also der Einheitsstaat unumgänglich gewesen, und
ob er denn die weltliche Herrschaft des Papstes erhalten zu sehen wünsche?
0 in>, fuhr er auf, nisi papg. lüöntö, lüönts <I<z1 Mpg, r<z! Daran denke kein
Mensch in Italien; es sei vollkommen falsch, wenn man im Auslande zuweilen
glaube, daß eine stärkere Partei die Wiederherstellung des Kirchenstaates wolle;
das seien höchstens einige wenige interessirte Leute. Übrigens wurde mir später
auch von andrer Seite ganz entschieden bestritten, daß für Italien eine andre
als die einheitsstaatliche Gestaltung möglich gewesen sei. Jedenfalls ist sie
eine Thatsache, an der nichts mehr zu ändern ist. Die ganze Zeit von 1848
bis 1870 erscheint den modernen Italienern als die große Periode des Nisor-
gimento, der nationalen Erhebung und Erneuerung. In zahllosen Zeichen und
Denkmälern tritt das jedem entgegen. Es giebt kaum eine Stadt in Nord-
uud Mittelitalien, die nicht einen ihrer alten Plätze zur Piazza Vittorio Ema-
nuele umgetauft oder eine Straße nach Garibaldi und Cavour benannt hätte,
selbst wenn es eine enge, schmale Gasse ist, wie etwa in Perugia der Corso
Garibaldi. Allerorten erhebt sich das Denkmal Viktor Emanuels. In Verona
reitet er angesichts des riesigen römischen Amphitheaters mit gezognen Säbel
über das Schlachtfeld -- ist doch Verona rings von Schlachtfeldern umgeben --,
in Bologna erhebt sich sein Standbild zwischen dem Stadthause und der ge¬
waltigen Kirche San Petronio, auf demselben Platze, der so viele bolognesische
Bürgerkämpfe gesehen hat, in Venedig blickt er von der Riva degli Schiavoni
wie triumphirend über die Lagunen hinüber nach dem Lido, von Perugia
aus sieht er über das "befreite Umbrien" hin, Florenz hat ihn in dem Augen¬
blicke des Einzugs dargestellt und das Postament mit Reliefs umgeben, die
sich wie in Bronze gegossene Augenblicksphotographien der Einzugsfeierlich¬
keiten ausnehmen, und in Rom steigen bereits die riesigen Unterbauten auf,
die sein Nationaldenkmal auf dem Kapitol neben Araeoeli tragen sollen. Mit
markigen Worten preist ihn die Inschrift in Verona als den König, der das
geknechtete und zerspaltne Italien gemacht habe zur lidsra., falva, uns. Padua


Italienische Eindrücke

ständig, unwiederbringlich. Es ist möglich, daß nicht überall der Weg zu dem
erreichten Ziele gebilligt wird, aber das Ziel selbst will deshalb niemand auf¬
geben. Ein Florentiner sagte mir, die Italiener hätten vielleicht besser gethan,
dem deutschen Beispiele zu folgen und statt eines Einheitsstaats einen Bundes¬
staat zu gründen. Der Einheitsstaat erschwere nur die Verschmelzung, na¬
mentlich zwischen dem Norden und dem Süden, denn die Neapolitaner seien
eine ganz andre Rasse, dort sei man schon halb in Afrika. Auch Schwieger¬
mutter und Schwiegertochter vertrügen sich gewöhnlich besser, wenn sie nicht
in demselben Hause wohnten. Trotz dieses hübschen Vergleichs wandte ich
ihm ein, die Lage beider Völker sei doch ganz verschieden gewesen; in
Italien hätten, mit einer einzigen Ausnahme, fremde Dynastien geherrscht, ein
großer Teil des Landes habe ganz unter fremder Herrschaft gestanden; min¬
destens für Oberitalien wäre also der Einheitsstaat unumgänglich gewesen, und
ob er denn die weltliche Herrschaft des Papstes erhalten zu sehen wünsche?
0 in>, fuhr er auf, nisi papg. lüöntö, lüönts <I<z1 Mpg, r<z! Daran denke kein
Mensch in Italien; es sei vollkommen falsch, wenn man im Auslande zuweilen
glaube, daß eine stärkere Partei die Wiederherstellung des Kirchenstaates wolle;
das seien höchstens einige wenige interessirte Leute. Übrigens wurde mir später
auch von andrer Seite ganz entschieden bestritten, daß für Italien eine andre
als die einheitsstaatliche Gestaltung möglich gewesen sei. Jedenfalls ist sie
eine Thatsache, an der nichts mehr zu ändern ist. Die ganze Zeit von 1848
bis 1870 erscheint den modernen Italienern als die große Periode des Nisor-
gimento, der nationalen Erhebung und Erneuerung. In zahllosen Zeichen und
Denkmälern tritt das jedem entgegen. Es giebt kaum eine Stadt in Nord-
uud Mittelitalien, die nicht einen ihrer alten Plätze zur Piazza Vittorio Ema-
nuele umgetauft oder eine Straße nach Garibaldi und Cavour benannt hätte,
selbst wenn es eine enge, schmale Gasse ist, wie etwa in Perugia der Corso
Garibaldi. Allerorten erhebt sich das Denkmal Viktor Emanuels. In Verona
reitet er angesichts des riesigen römischen Amphitheaters mit gezognen Säbel
über das Schlachtfeld — ist doch Verona rings von Schlachtfeldern umgeben —,
in Bologna erhebt sich sein Standbild zwischen dem Stadthause und der ge¬
waltigen Kirche San Petronio, auf demselben Platze, der so viele bolognesische
Bürgerkämpfe gesehen hat, in Venedig blickt er von der Riva degli Schiavoni
wie triumphirend über die Lagunen hinüber nach dem Lido, von Perugia
aus sieht er über das „befreite Umbrien" hin, Florenz hat ihn in dem Augen¬
blicke des Einzugs dargestellt und das Postament mit Reliefs umgeben, die
sich wie in Bronze gegossene Augenblicksphotographien der Einzugsfeierlich¬
keiten ausnehmen, und in Rom steigen bereits die riesigen Unterbauten auf,
die sein Nationaldenkmal auf dem Kapitol neben Araeoeli tragen sollen. Mit
markigen Worten preist ihn die Inschrift in Verona als den König, der das
geknechtete und zerspaltne Italien gemacht habe zur lidsra., falva, uns. Padua


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[0572] Italienische Eindrücke ständig, unwiederbringlich. Es ist möglich, daß nicht überall der Weg zu dem erreichten Ziele gebilligt wird, aber das Ziel selbst will deshalb niemand auf¬ geben. Ein Florentiner sagte mir, die Italiener hätten vielleicht besser gethan, dem deutschen Beispiele zu folgen und statt eines Einheitsstaats einen Bundes¬ staat zu gründen. Der Einheitsstaat erschwere nur die Verschmelzung, na¬ mentlich zwischen dem Norden und dem Süden, denn die Neapolitaner seien eine ganz andre Rasse, dort sei man schon halb in Afrika. Auch Schwieger¬ mutter und Schwiegertochter vertrügen sich gewöhnlich besser, wenn sie nicht in demselben Hause wohnten. Trotz dieses hübschen Vergleichs wandte ich ihm ein, die Lage beider Völker sei doch ganz verschieden gewesen; in Italien hätten, mit einer einzigen Ausnahme, fremde Dynastien geherrscht, ein großer Teil des Landes habe ganz unter fremder Herrschaft gestanden; min¬ destens für Oberitalien wäre also der Einheitsstaat unumgänglich gewesen, und ob er denn die weltliche Herrschaft des Papstes erhalten zu sehen wünsche? 0 in>, fuhr er auf, nisi papg. lüöntö, lüönts <I<z1 Mpg, r<z! Daran denke kein Mensch in Italien; es sei vollkommen falsch, wenn man im Auslande zuweilen glaube, daß eine stärkere Partei die Wiederherstellung des Kirchenstaates wolle; das seien höchstens einige wenige interessirte Leute. Übrigens wurde mir später auch von andrer Seite ganz entschieden bestritten, daß für Italien eine andre als die einheitsstaatliche Gestaltung möglich gewesen sei. Jedenfalls ist sie eine Thatsache, an der nichts mehr zu ändern ist. Die ganze Zeit von 1848 bis 1870 erscheint den modernen Italienern als die große Periode des Nisor- gimento, der nationalen Erhebung und Erneuerung. In zahllosen Zeichen und Denkmälern tritt das jedem entgegen. Es giebt kaum eine Stadt in Nord- uud Mittelitalien, die nicht einen ihrer alten Plätze zur Piazza Vittorio Ema- nuele umgetauft oder eine Straße nach Garibaldi und Cavour benannt hätte, selbst wenn es eine enge, schmale Gasse ist, wie etwa in Perugia der Corso Garibaldi. Allerorten erhebt sich das Denkmal Viktor Emanuels. In Verona reitet er angesichts des riesigen römischen Amphitheaters mit gezognen Säbel über das Schlachtfeld — ist doch Verona rings von Schlachtfeldern umgeben —, in Bologna erhebt sich sein Standbild zwischen dem Stadthause und der ge¬ waltigen Kirche San Petronio, auf demselben Platze, der so viele bolognesische Bürgerkämpfe gesehen hat, in Venedig blickt er von der Riva degli Schiavoni wie triumphirend über die Lagunen hinüber nach dem Lido, von Perugia aus sieht er über das „befreite Umbrien" hin, Florenz hat ihn in dem Augen¬ blicke des Einzugs dargestellt und das Postament mit Reliefs umgeben, die sich wie in Bronze gegossene Augenblicksphotographien der Einzugsfeierlich¬ keiten ausnehmen, und in Rom steigen bereits die riesigen Unterbauten auf, die sein Nationaldenkmal auf dem Kapitol neben Araeoeli tragen sollen. Mit markigen Worten preist ihn die Inschrift in Verona als den König, der das geknechtete und zerspaltne Italien gemacht habe zur lidsra., falva, uns. Padua

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/572>, abgerufen am 22.12.2024.